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Wie der Hungerstreik des Jürgen T. mit Schokolade endet

15. Februar 2021

Tagebuch von Bernd E. Althans 1994, Stadelheim. © International Institute of Social History, Amsterdam. Foto: Olivier Pasqual.

Der Bedienstete Herr B. aus dem B Flügel der Justizvollzugsanstalt Werl sprach mich auf dem Gang an, ob ich mich mal um den Inhaftierten Jürgen T. kümmern könne. Der sei wieder mal im Hungerstreik. Sonst gehe er ihm reichlich auf den Zeiger; was er jetzt treibt, ist zu viel. Er hätte „ein Rad ab“ und einen riesigen Dachschaden. Dauernd schreibt er Beschwerden und stellt blödsinnigsten Anträge. „Arbeit über Arbeit und alles für die Katz.“ Was der Gefangene jetzt mit aller Macht wollte, das weiß er Minuten später nicht mehr. Und prompt kommt neuer Ärger. Jetzt noch die Drohung mit Hungerstreik bis hin zur Suizidandrohung.

„Wissen Sie, was dann auf mich zukommt? Dann schreibe ich mir die Finger wund. Von denen da oben wird sich keiner für mich verwenden. Für solchen Stress und Ärger sind wir kleinen Leute da, die den Dreck haben und nachher wegmachen dürfen. Die da oben stecken sich nur die Federn und Lorbeeren an den Hut. Wo wir bleiben, juckt die doch nicht.“ Das war bis dahin wohl unser längstes Gespräch. Da ich auf der Abteilung war, ging ich gleich zu Jürgen T. Der begrüßte mich giftig: „Ich habe nicht ‚herein’ gerufen. Was wollen Sie? Ich brauche Sie nicht. Hauen Sie ab.“ Ich: „Das war ein bisschen viel auf einmal. Ich habe etwas gehört, das ich als ‚herein’ gedeutet habe. Dann habe ich mitbekommen, dass Sie nicht gut drauf und im Hungerstreik sind. Mein Anliegen ist, zu schauen und zu fragen, wie es Ihnen geht, und ob ich für Sie was tun kann. Aber wenn Sie das nicht wollen, gehe ich wieder.“ Jürgen T. „Wenn Sie schon mal hier sind, dann setzen Sie sich auch. Ich kann nicht haben, wenn jemand so über mir steht.“

Sie sind im Hungerstreik?

Er lag auf dem Bett. Ich: „Weshalb sind Sie im Hungerstreik? Und das bereits einige Tage?“ Jürgen T. platzte förmlich: „Was die hier mit mir machen, lasse ich mir nicht mehr gefallen! Die halten mich für bekloppt. Ich werde denen zeigen, wie bekloppt die sind!“ Und dann sprudelten Ärger, Zorn, Enttäuschung, Verletzungen, Beleidigungen, Drohungen, Forderungen und was sonst noch möglich ist, aus ihm heraus. Viel verstanden, habe ich nicht. Doch wohl so viel, dass ich diesem Mann nicht mit vernünftigem Zureden kommen konnte. Da jammerte einer aus tiefstem Herzen; verstand weder sich noch die Welt; verzweifelte an der ausweglosen Lage, zumal er in keiner Richtung eine Chance für sich sah. Nach Verbüßung einer langen Haftstrafe stand die Einweisung in eine geschlossene Anstalt an. Mit Macht wollte er diese Einweisung vor Strafende erzwingen, damit ihm sobald wie möglich therapeutisch geholfen werden kann. Dies auf dem Instanzenweg durchzusetzen, war endgültig gescheitert. Als letzten Weg sah er den Hungerstreik. „Bevor ich hier krepiere, verlegen die mich. Die wollen keine Leiche. Wenn die Lebendigen nichts erreichen, dann vielleicht die Toten!“

Schokolade im Vorrat

Das zumindest war ihm klar. Die Zeit verrann, seine Stimmung stieg, meine Hilflosigkeit nahm zu. In der Verfassung hielt ich es für sinnlos, ihn vom Hungerstreik durch gutes Zureden abbringen zu können. Bei einem hilflosen Blick durch die Zelle fiel mein Blick auf ein Schokoladenpapier. Ich sagte: „Sie essen Schokolade?“ Jürgen T. verschmitzt: „Das brauchen Sie denen aber nicht zu sagen. Ich hatte noch einigen Vorrat. Der ist jetzt alle. Ich habe nichts mehr.“ Darauf ich: „Ich will mal sehen.“ Ich verabschiedete mich, ging in mein Büro, holte eine Tafel Schokolade und brachte sie ihm. Der Hungerstreik war vorbei. Als ich Herrn B. begegnete, schüttelte er den Kopf und sagte etwa: Da bemühen wir uns tage- und stundenlang vergeblich. Sie gehen einmal hin und schon kommt der zur Vernunft. Dieses Spiel wiederholte sich mehrmals. Ein Unterschied war, dass Herr B. mich gleich ansprach oder anrief und nicht Tage wartete.

Gelächter laut und herzhaft

Der frühe Abbruch der Hungerstreiks fiel allmählich auf. Herr B. verwies die Fachdienste an mich. Er wisse nicht, was ich mache; doch immer, wenn ich bei Jürgen T. gewesen sei, habe der den Hungerstreik abgebrochen. Den Fachdiensten gegenüber habe ich meinen Trick für mich behalten. Als Jürgen T. irgendwann in eine Psychiatrie verlegt war, teilte ich es Herrn B. mit; bat aber um Verschwiegenheit. Irgendwie sickerte doch was durch. Mir wurde zugetragen, das Gelächter in einigen Konferenzen sei laut und lebhaft gewesen. Inzwischen ist Jürgen T. in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie; mit weit weniger Aussichten und Spielräumen als im Knast, gegen den er meinte, kämpferisch etwas erzwingen zu können.

 Ein Kapitel aus: Erinnerungen eines Gefängnispfarrers. (K)eine Satire

 

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