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Hey Alter, achtzig und (k)ein bisschen weise…

9. März 2023

Man soll die Feste feiern, wie sie fallen. Petrus Ceelen´s Geburtstag am 11. Februar fällt meistens in die Faschingszeit. Jubel, Trubel, Heiterkeit. Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Schluss mit lustig. „Bedenke, Mensch, Staub bist du und zu Staub kehrst du wieder zurück.“ Da gibt es nichts zu lachen. Eines Tages sind wir an der Reihe. Beerdigen oder einäschern? „Ich gehe nicht in den Ofen. Das ist mir zu heiß. Aber auch wenn wir uns beerdigen lassen, zerfällt unsere Leiche letztlich zu Staub“, sagt Ceelen.

Wir wischen Staub, saugen Staub. Woher kommt der Staub eigentlich? Was ist er vorher gewesen? Wir schütteln den Staub aus. Wir leeren den Staubbeutel. Aber der Staub ist nicht weg! Wo geht der Staub hin? Wo gehen wir hin, wenn wir uns aus dem Staub gemacht haben? Gehen wir wieder dorthin zurück, wo wir hergekommen sind? Das sind die Fragen, die großen Fragen. Ich weiß keine Antwort. Obwohl ich nichts weiß, freut es mich, dass ich lebe, dass ich so viel erleben durfte. Ich bin dankbar, dass ich seit meiner Krebsdiagnose vor gut zwei Jahren immer noch leben darf. Ich erlebe jeden neuen Tag als eine Zugabe, zu meinem reichen Leben noch dazu gegeben. Ich lebe nun schon zehn Jahre länger als mein Vater. Und wie oft stand ich schon am Grab von einem Menschen, der nicht einmal halb so alt war, wie ich es heute bin! Männer, Frauen, die an Aids gestorben waren oder an einer Überdosis Drogen. Oder Menschen, die Hand an sich gelegt hatten, weil sie das Leben hier auf Erden nicht länger ertragen konnten. Wie viele Trauerfeiern habe ich schon gehalten von Frauen und Männern, die viel zu früh von uns gegangen sind! Mein Bruder war 23, als er mit dem Flugzeug abstürzte. Ich war damals 19. Zu der Zeit habe ich alle über dreißig noch für schrecklich alt gehalten. lm Rückblick sehe ich, dass ich mit 30 noch jung war. Unsere Töchter waren damals noch Babys. Und die sind inzwischen auch schon fünfzig.

50 + 30 = …

Ich war in Mathe schon immer schlecht. Ich habe schon x-Mal nachgerechnet, ob ich am 11. Februar tatsächlich 80 geworden bin. Ich kann es immer noch nicht glauben. Achtzig. Das darf doch nicht wahr sein. Achtzig. Das ist zwei mal vierzig. Mein 40. Geburtstag ist mir damals voll in die Knochen gefahren. Ab jetzt geht es nur noch abwärts, dachte ich. Ich war ganz unten und wäre am liebsten in Quarantäne gegangen. Auch der Spruch: „Ab 40 wird der Schwab gescheit“, vermochte mich nicht zu trösten. „Vierzig ist sexy!“, sagte mir Ruth, die mit 87 angab, immer noch rote Unterwäsche zu tragen. Und mein Freund Jupp haute mir das Wort von Schopenhauer um die Ohren: „Ab vierzig ist jeder für sein Gesicht selbst verantwortlich.“ Oh Gott, da schaue ich lieber nicht in den Spiegel. Und dann bekam ich noch eine Tasse geschenkt: Vierzig ist viel, aber noch bist du nicht senil. Also: Hoch die Tassen!

Ich wurde 41, 42, 43…

Die vier vorne störte mich kaum noch, bis dann die Jahre 48, 49 kamen und die 50 immer näher rückte. Am 11. Februar 1993 war es dann so weit. 50 Jahre! lch dachte, ich überlebe den Tag nicht. Aber in dem Alter weißt du, was sich gehört. Du lädst nette Leute ein. Und die sagen dir dann: „Fünfzig – so alt wird kein Schwein.“ Und Ernst nahm mich todernst auf in den Club der alten Säcke. Was für eine Ehre! Als lmmanuel Kant vor gut 200 Jahren fünfzig wurde, lautete die Anrede beim Festakt: „Sehr geehrter Greis!“ Heute sehen die 50-Jährigen aus wie vierzig. Sechzig ist das neue Fünfzig. Das Verfallsdatum wird immer weiter nach hinten verschoben. Man ist so alt, wie man sich fühlt, heißt es. Das heißt: Wir fühlen uns jünger als unser Alter. Deshalb sind wir alle älter als wir uns fühlen. Geht’s Euch auch so? Ich möchte manchmal die Zeit anhalten. Aber die Uhr tickt gnadenlos. Die Jahre kommen und gehen. Nach 59 kommt 60. Sechzig. „Mit 60 wird ein Mann erst interessant“, flüsterte mir Bianca zu, die nichts anbrennen lässt. Mein Kumpel Konrad schenkte mir eine Packung Prostagutt-Forte: Weniger müssen müssen. Ja, mit 60 ist es alles nicht mehr des. So manches lässt nach, macht schlapp. Mit 60 bist du in einem Alter, in dem dir dein Körper am nächsten Tag ganz leise ins Ohr flüstert: Mach das nie, nie wieder!

Ab 60 bis 70…

Ab 60 kommst du in den Genuss von einem Seniorenteller. Und du kannst dir die halbe Portion einpacken lassen und mit heimnehmen. Was du da sparst! Und wenn du dann nur noch ein Achtele statt vier Viertele trinkst, kannst du dir bei deiner Beerdigung eine Edelholz-Truhe leisten.  Ja, ich war auch einmal 66, 67. Das geht ja noch, die Sieben hinten. Aber wenn die Sieben vorne steht und du 70 bist, hat die Haustür eine ganz andere Nummer. Am 11. Februar 2013 war mein 70. Geburtstag. Und das am Rosenmontag. Karneval. Carne vale, Fleisch, leb‘ wohl! 70 Jahre altes Fleisch. Um nicht zu sagen: Gammelfleisch. Waltraud machte mir Mut an meinem Siebzigsten. „Petrus, die Zellen erneuern sich alle sieben Jahre.“ Wie schön für Waltraud. Unser damals 7-jähriger Enkel Clemens schrieb meiner Frau zu ihrem Siebzigsten: „Oma, ich freue mich für dich, dass du noch lebst.“ Als ich dreißig war, vierzig, selbst fünfzig – da war siebzig alt. Und als ich früher hörte, dass der/die Verstorbene schon über siebzig war, dachte ich: „Naja, da darf man gehen.“ Mit den Jahren hat sich meine Deadline deutlich verschoben.

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Zu meinem 70. bekam ich ein T-Shirt geschenkt: „OLDTIMER 1943 – fast alles Originalteile.“ Naja, noch laufe ich ohne künstliches Knie- und Hüftgelenk, aber ich habe längst die dritten Zähne. Ich lächle die Leute an mit meinem Porsche im Mund. Aber der Lack ist ab. Rostflecken. Der Auspuff stottert. Das Kühlwasser tropft. Die Zündkerze entzündet. Weitere Details von meiner Klapperkiste möchte ich Euch ersparen. Petronella schenkte mir zum 70. eine Anti-Aging-Creme, um meine Falten zu glätten an meinem Popo und sonst noch wo. Dabei zeigen meine Denk-, Sorgen- und Lachfalten, wie ich mich entfalte. Das schönste Geburtstagsgeschenk zu meinem Siebzigsten machte mir kein Geringerer als Papst Benedikt XVI. Er trat zurück. Mein 75. fiel auf Faschingssonntag. Helau! Doch wie bald ist wieder Aschermittwoch. Je älter, umso bälder. Mit fünf war ein Jahr ein Fünftel meines Lebens. Mit 75 war ein Jahr für mich nur noch 1/75 meiner Zeit auf Erden, fünfzehn Mal kürzer. Je älter wir werden, desto schneller verfliegt die Zeit. Vor ein paar Jahren stieg ich in einen überfüllten ICE ein und da standen gleich ein paar Leute auf und boten mir höflich ihren Platz an. lch war erschrocken: Woran sehen die, was ich nicht sehe: dass ich schon so alt bin?

Und nun 80…

Und nun also 80. „Glückliches Beileid.“ Ja, Nein Danke! Achtzig. „Das ist noch nicht alt“, höre ich meine Mutter selig sagen. Als ich sie mit 98 fragte, warum sie nicht zum Altennachmittag geht, sagte sie mir: „Ach Junge, das ist etwas für alte Leute.“ lch frage mich: Wann fängt das Alter an? Wann fangen wir eigentlich an, alt zu werden? Ab fünfzig, sechzig, siebzig? Und auch zum 80. trauen einige sich noch, mir zu sagen: „Das ist doch noch kein Alter.“ Wir reden das Alter schön. Teeny-Spätlese. Graue Panther. Sag mir, wo die Alten sind! Wo sind sie geblieben? Alt klingt wie ein Schimpfwort. Alte Schachtel. Altes Eisen. Statt alt sagen wir älter. Dabei ist älter die Steigerung von alt. Wollen wir also lieber älter sein als alt?

Zum Seniorenkreis gehen nur Alte. Die richtig Alten residieren in der Seniorenresidenz. Da hocken sie auf dem Thron. Und in der Villa Jungbrunnen riecht es auch nicht besser als im Alten- und Pflegeheim. Es gibt kein Siechenheim mehr, aber auch im Kleeblatt siechen Menschen langsam dahin. Das bleibt mir wohl erspart. Ja, der Krebs hat auch sein Gutes. Lieber zwei Jahre zu früh sterben als ein Jahr zu spät. Chinesische Weisheit. Wir beurteilen den Wert eines Lebens allzu sehr nach seiner Länge, als ob ein langes Leben schon ein gutes Leben wäre. Was das Leben an Länge gewinnt, verliert es oft an Tiefe. „Siebzig Jahre währt unser Leben, wenn es hochkommt, achtzig“, heißt es in Psalm 90. Heutzutage werden viele aber um einiges älter. Es gibt immer mehr Hundertjährige. Der Preis für das immer älter werden ist allerdings sehr hoch. Demenz. Krebs. Schlaganfall. Einsamkeit. Depression.

Quatre vingt

Die Bibel spricht von alt und lebenssatt. Ja, auch wenn wir so lange wie möglich leben möchten, irgendwann ist der maximale Sättigungsgrad erreicht. Viele kommen im Alter an einen Punkt, an dem sie sagen: Was soll ich hier noch? Alle anderen sind weggestorben. Meine Augen haben genug gesehen, meine Hände wollen nur noch loslassen. Es reicht. Nicht wenige sehnen am Ende den Tod herbei. Sie sind des Lebens müde. Apropos Bibel. Mein Vater hatte einen biblischen Beruf. Er war Zöllner an der belgisch-holländischen Grenze. „Keine Grenze verlockt mehr zum Schmuggeln als die Altersgrenze.“ Angabe ist auch eine Gabe. Auf französisch klingt achtzig viel charmanter. Quatre vingt. Zum vierten Mal zwanzig. Zum zwanzigsten Mal vier. […] Nehmen wir unser Alter mit Humor. Und sagen wir uns: Hey Alter, willst du ewig leben? Nein, aber noch habe ich keine Zeit zu sterben.

Petrus Ceelen | Aus: Achtzig und (k)ein bisschen weise

 

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