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Herrschaftsfreier Dialog: Was macht ein Gutachten „gut“?

8. September 2025

Seit 2018 trifft sich die ökumenische Arbeitsgemeinschaft der beiden christlichen Konfessionen jährlich in einer wechselnden Einrichtung der SV, um die unterschiedlichen Häuser und deren Konzepte kennenzulernen. Außerdem gibt es neben dem kollegialen Austausch einen inhaltlichen Schwerpunkt und Input durch einen Referenten.

Schild der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel. Foto: Imago

Im Juni 2025 haben sich der Teilnehmerkreis von GefängnisseelsorgerInnen in der JVA Brandenburg an der Havel getroffen. „Wir wurden dort sehr herzlich vom Vollzugsleiter II, Thomas Schmitz, begrüßt und in die Anstalt eingeführt“, sagt Alexander Obst von der JVA Berlin-Tegel. Das Haus und das Konzept der SV Brandenburg ist von der Leiterin der Sicherungsverwahrungs-Einrichtung, Stefanie Wiedmann, vorgestellt worden. Die Sicherungsverwahrung (SV) in Brandenburg wurde nach der Gesetzesnovellierung neu gebaut und im November 2014 bezogen. Es gibt insgesamt 15 Zimmer, wobei eines als besonderer Sicherheitsraum ausgestattet ist und man eigentlich, auch von der Personaldecke mit 12 Untergebrachten „voll“ ist. Im Moment leben 13 Sicherungsverwahrte in der Einrichtung. Doch Brandenburg hat das gleiche Problem, wie alle Häuser in Deutschland, dass in den nächsten Jahren mehr Gefangene mit Anschluss-SV in den Justizvollzugsanstalten sitzen, als Entlassungen zu erwarten sind. Wie genau das Land auf diese Entwicklung reagieren wird, ist noch nicht ganz klar, zumal die beiden Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ein besonderes Konzept der Sicherungsverwahrung entwickelt haben und sich die Deliktgruppen Gewalt- und Sexualtäter teilen. In Bützow sitzen die Gewalttäter, in Brandenburg die Männer mit Sexualdelikten.

Hohe Zahl von Einzelgesprächen

In der Behandlung ergibt sich aktuell das Problem, dass alle Inhaftierten die „üblichen“ Behandlungsgruppen absolviert haben, entweder schon in der vorangegangenen Strafhaft oder in der SV, so dass sich aufgrund der geringen Zahl von SV´ern keine Behandlungsgruppe anbieten lässt. Stattdessen gibt es eine verhältnismäßig hohe Zahl von Einzelgesprächen und -therapien. Die Leiterin der Einrichtung, selbst Psychologin und Psychotherapeutin, führt Therapie- und begleitende Einzelgespräche mit den Untergebrachten. Anders als in einigen anderen Bundesländern ist die Leitung nicht mit einem Juristen besetzt. Das neue Haus selbst ist offen und licht gestaltet, mit großen Kontaktzonen und Gemeinschaftsküchen, einem schönen großen Außengelände mit einzelnen Gartenflächen für jeden Untergebrachten, die auch für den Gemüseanbau genutzt werden. Im Haus wird viel Wert auf Beschäftigung und Freizeit wert gelegt, es gibt wie in vielen anderen Häusern verschiedene Ergotherapie-, Arbeits- und Freizeitmöglichkeiten.

Beziehung zwischen Proband und Gutachter

„Das Thema unserer Arbeit und das Leben der Untergebrachten begleitet die sogenannten Gutachten“, erzählt ein Teilnehmer der Arbeitsgemeinschaft. Eine weit entwickelte „Gutachten-Kultur“ prägt die Therapie und Arbeit in der Sicherungsverwahrung. Beispielsweise die Behandlungs-, Lockerungs-, Gefährlichkeits- oder Entlassungsgutachten. Es geht um die Fragen, was ein Gutachten „gut“ macht und welche Standards und Kriterien für die Erstellung gelten. Welche Bedeutung haben sie im Hinblick auf die Behandlung und Entlassung von Sicherungsverwahrten? Dazu hat Prof. Dr. Hans-Ludwig Kröber, langjähriger und renommierter Gutachter aus Berlin, in der JVA Brandenburg seine Erfahrungen den Seelsorgenden zur Verfügung  gestellt. Grundlage für das Gespräch waren Empfehlungen für kriminalprognostische Gutachten, die Prof. Dr. Kröber 2019 mit Kolleginnen und Kollegen erarbeitet hat. Prof. Kröber führte allgemein aus, dass für ein gutes psychiatrisches Gutachten die Interaktion, die Beziehung zwischen Proband und Gutachter, entscheidend ist. Gutachten nach „Aktenlage“, wenn sich z.B. der Proband dem Gespräch mit dem Gutachter verweigert, bleiben von daher qualitativ defizitär.

Gutachten sind Empfehlungen

Zur Beobachtung der Widersprüchlichkeit aufeinander folgender Gutachten, bemängelte Prof. Kröber die oftmals fehlende Bewertung vorausgehender Gutachten. Widersprüche dürften nicht nebeneinander stehen bleiben, sondern müssten im neueren Gutachten geklärt werden. In der Praxis wird jedoch häufig auf älteren Gutachten aufgebaut, weil dies für den Gutachter einfacher ist. Um die Objektivität des Gutachtens zu gewährleisten, ist Vorwissen, vor allem über die Anlassdelikte, für den Gutachter notwendig. Die Erstellung von Gegengutachten hält Prof. Kröber für nicht ratsam, da diese gerichtlich oft negativ bewertet werden. Gutachten sind immer Empfehlungen und Vorschläge, zu denen sich Justiz und Vollzug verhalten müssen, an die sie jedoch nicht gebunden sind. Zu dem Problem historisch-kritischer Bezugnahme auf eine weit zurückliegende Anlasstat, hält Prof. Kröber weniger die korrekte Rekonstruktion, als die augenblickliche Position, die Übernahme von Verantwortung für das, was geschehen ist, für entscheidend, um dann behandlerisch, etwa verhaltenstherapeutisch, auf den Probanden einwirken zu können und ein Konzept für die Zukunft zu erarbeiten. In der Regel geschehen die Anlassdelikte, insbesondere Sexualstraftaten, nicht plötzlich und aus Zufall, sondern sind mit einer bewussten Vorbereitungsphase und einem Entschluss verbunden. Allerdings sieht Prof. Kröber auch Grenzen, da es Probanden gibt, mit denen nicht gearbeitet werden kann. Nicht selten wird die Sicherungsverwahrung für untergebrachte Menschen als „das letzte Loch vor der Unendlichkeit“ empfunden. Wertschätzend äußerte sich Prof. Kröber abschließend zur Arbeit christlicher Seelsorge im Vollzug als einem herrschaftsfreien Dialog mit Menschen in einer hochgesicherten Einrichtung. Dem steht die gesellschaftliche Stigmatisierung von Sicherungsverwahrten gegenüber, die eine Integration in das Leben „draußen“ erschwert.

Alexander Obst | Gefängnisseelsorger JVA Tegel
Michael Kullinat | Gefängnisseelsorger JVA Schwalmstadt

 

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