Die Vertreterin der Bundesvereinigung der Anstaltsleiterinnen und Anstaltsleiter, Yvonne Radetzki, von der schleswig-holsteinischen Justizvollzugsanstalt Neumünster, bedankt sich bei ihrem Grußwort im Rahmen der Studientagung der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V. in Hildesheim ganz herzlich. Sie komme immer wieder gerne. “Dies einerseits, weil ich Ihre festliche Eröffnung zur Tagung in Herzogenrath noch in guter Erinnerung habe, aber auch, weil ich den fachlichen Austausch zwischen Katholischer sowie Evangelischer Gefängnisseelsorge auf der einen Seite und der Bundesvereinigung auf der anderen Seite als sehr offen und gewinnbringend erlebe”, erzählt sie.
Im 21. Jahrhundert noch keine Alternative?
Sie haben als Thema Ihrer Arbeitstagung „Alternativen in und zur Haft“ gewählt. Das Thema ist sehr umfangreich und komplex, auf Anhieb fallen mir sogleich viele Stichworte dazu ein. Auch innerhalb der Bundesvereinigung der Anstaltsleiterinnen und Anstaltsleiter werden immer wieder Teilaspekte diskutiert. Wer im Justizvollzug arbeitet, hat sich sicherlich schon mehr als einmal unweigerlich die Frage gestellt, ob das was wir tun, überhaupt sinnvoll ist und zum gewünschten Ziel führen kann. Können wir die Menschen tatsächlich mit einer Inhaftierung auf den rechten Weg bringen, also gelingt auf diese Weise die Resozialisierung wirklich? Gerade noch am Wochenende habe ich den Entwurf für die Weihnachtsausgabe unserer Gefangenenzeitung durchgesehen. Darin befand sich auch der Beitrag eines Gefangenen, der in einem Leserbrief die Frage stellte, warum uns im 21. Jahrhundert noch keine Alternative zum – so wörtlich teuren und stumpfsinnigen Wegsperren“ eingefallen ist. Dies stimmte mich wieder einmal sehr nachdenklich.
So sehe ich so manches Mal Gefangene wieder, die bereits entlassen waren, neue Straftaten begangen haben und erneut bei uns zu Gast sind. So empfinde ich auch so manches Mal ebenfalls ein wenig Trübsinn, wenn die Haftraumtüren verschlossen sind, weil kein ausreichendes Personal zur Verfügung steht. Und so empfinde ich es ebenfalls als deprimierend, wenn ich darüber nachdenke, dass wir vieles für die Inhaftierten mit großer Mühe regeln (vom Aufschluss bis zum Einschluss), was sie dann selbst nach der Entlassung nicht imstande sind, alleine beizubehalten.
Ersatzfreiheitsstrafe nicht wirklich eine Lösung
Sie stellen sich sicherlich in den nächsten Tagen nicht nur die Frage, wie die Haft anders ausgestaltet sein kann, sondern auch, ob es alterative Möglichkeiten gibt, auf delinquentes Verhalten zu reagieren. Das Absehen von Strafe bei bestimmten Delikten, die Möglichkeit der Fußfessel mit Hausarrest oder auch die Unterbringung in Freien Formen des Vollzuges wären solche Möglichkeiten. Die Vollzugspraktiker beschäftigt derzeit das Thema der Ersatzfreiheitsstrafen. Auch die Ersatzfreiheitsstrafe war zunächst eine Geldstrafe, die dann aber durch Nichtzahlung zu der Inhaftierung führte. Künftig soll der Umrechnungsmaßstab einer Geld- in eine Ersatzfreiheitsstrafe halbiert werden. Demnach sollen künftig zwei Tagessätze einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen, d.h. die Verweildauer in Haft halbiert sich.
Wer häufig mit Ersatzfreiheitsstraflern im Vollzug zu tun hat, der weiß, dass häufig Arbeitslosigkeit, Suchtprobleme oder gesundheitlich desolate Umstände bei dieser Gefangenenklientel zugrunde liegen. Entsprechend hoch ist der Aufwand diesen Menschen während der meist ohnehin schon kurzen Zeit Ihres Verbleibs in Haft zu helfen, um sie nach Verbüßung in geordnete Verhältnisse zu entlassen. Für den Vollzugspraktiker ist diese neue gesetzliche Regelung daher nicht wirklich eine Lösung für überfüllte Anstalten oder zur Vermeidung von Haftdeprivationen. Trotz Verkürzung der Haftzeit werden die Haftplätze und ihre Infrastruktur benötigt, Kosten fallen ebenfalls hierfür an. Der Vollzug erlebt damit keine wirkliche Entlastung, und ob die kürzere Verweildauer für diese Menschen eine Hilfe sein kann, daran bestehen Zweifel. Aus Sicht so manches Praktikers wäre es sinnvoller die Kontaktaufnahmen und damit auch Einwirkungsmöglichkeiten im Vorfeld zu einer Ersatzfreiheitsstrafe zu intensivieren, um den Haftantritt so möglicherweise ganz zu vermeiden.
Haftplätze im Offenen Vollzug gering belegt
Auch nicht in jedem Fall wird eine Alternative zur Haft möglich sein. So las ich kürzlich von einem Fall in den Kieler Nachrichten, der nicht nur die Justiz, sondern inzwischen auch die Medien beschäftigt. Dabei ging es um einen Rollstuhlfahrer, der bereits Ende 2021 wegen diverser sexueller Übergriffe erstmals zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Eine Inhaftierung konnte bisher aber wegen des Umstandes, dass der inzwischen Verurteilte im Rollstuhl sitzt, nicht erfolgen, denn nur wenige Justizvollzugsanstalten verfügen über barrierefreie Haftplätze. Bei derart schweren Delikten wird man auf eine Haftstrafe und die anschließende Inhaftierung als Sanktion nicht verzichten können, so dass an dieser Stelle über Alternativen in der Haft nachzudenken sein wird.
Die vermehrte Unterbringung im sogenannten Offenen Vollzug könnte eine Alternative in Haft sein. Aber die Realität ist im Moment eine andere. Vielfach sind die Haftplätze im Offenen Vollzug der Länder nur sehr gering belegt, weil in vielen Fällen das Wagnis einer Verlegung nicht eingegangen wird. Das Risiko der Begehung erneuter Straftaten schwingt immer mit. In der Öffentlichkeit stößt die Begehung erneuter Straftaten bei gleichzeitiger Unterbringung noch in der Justizvollzugsanstalt auf Unverständnis. Regelmäßig fragt sich die Bevölkerung, wie denn das passieren konnte. Nur wenn die gesellschaftliche Akzeptanz eine andere wird, sind vermehrt Unterbringungen im Offenen Vollzugmöglich. Wir müssen also bereit sein, ein möglicherweise größeres Risiko einzugehen und für die Gesellschaft müssen wir transparent sein, damit diese versteht, was wir tun und warum wir es tun.
Yvonne Radetzki | JVA Neumünster