In dem Graffitiprojekt können sich junge Strafgefangene aus der JVA Herford theoretisch und praktisch mit der Kunstform des Graffitis auseinandersetzen.
Im Jugendknast der Justizvollzugsanstalt Herford riecht man Lösungsmittel. Keine Sorge, es wird erlaubterweise gesprüht: Nämlich Graffiti. Und das auf einem Abteilungsflur, der zugleich Durchgangsflur zur Kirche und zu anderen “Flügeln” ist. Ein repräsentativer Bereich sozusagen. Nicht nur für die jugendlichen Gefangenen, sondern auch für Bedienstete und Ehrenamtliche ist das ungewöhnlich. Die Flure sind ansonsten wenig jugendtypisch gestaltet. Lange kahle Gänge mit der zugeteilten Abteilungsfarbe der Haftraumtüren. Im Abteilungsflügel B dominiert die Farbe gelb. Nach der Aktion sieht es anderes aus. Zumindest auf dieser einen Knast-Abteilung.
Grafitti ist eine Kunstform
“Jetzt müssen wir hier auch noch Graffiti sprühen”, beschwert sich ein Bediensteter der Abteilung B 1 im Jugendvollzug. Dieser scheint nicht begeistert zu sein von diesem Projekt. Der erziehungswissenschaftliche Dienst mit der Diplom Pädagogin, Michelle Moning, initiiert die Maßnahme. In Absprache mit der Anstaltsleitung wird der Abteilungsflur der fast 140 Jahre alten JVA Herford jugendtypischer gestaltet. “Den jungen Inhaftierten soll nicht nur ermöglicht werden die Kunstform des Graffitis kennenzulernen, sondern es wird auch die Möglichkeit geschaffen, die Umgebung künstlerisch mitzugestalten”, erzählt die erfahrene Pädagogin Frau Moning. Viele Jugendliche ohne Hintergrundwissen möchten Graffitisprühen ausprobieren, was schnell zu Straftaten führen kann. Nicht allen ist bewusst, welche Konsequenzen illegales Sprühen hat.
Frustrationstoleranz entgegen treten
Die Entwurfsphase und Ideensammlung kommt durch die Gruppenaktion in Gang. Während der Workshops besteht der praktische Teil vor allem im vermitteln und anleiten von Graffiti-Entwürfen durch einen professionellen Künstler der Szene. Die Umsetzung erfolgt anschließend mit Sprühdosen an die Wand. Durch die fachkundige Hilfestellung können unerfahrene Jugendliche gute Ergebnisse erzielen. Einer wo möglichen niedrigen Frustrationstoleranz Jugendlicher wird durch solch eine Projektarbeit entgegengewirkt. Kleine Erfolge werden geschaffen, die Jugendlichen erhalten Anerkennung für ihre Leistung. Unter anderem wird die eigene Selbstwirksamkeitserwartung und das Selbstwertkonzept verbessert. Dies könnte man dem kritischen Bediensteten vom Anfang entgegenhalten. Die Skepsis ist berechtigt. In den Städten müssen in Unterführungen und auf Zugwaggons mit hohen Kosten “Schmierereien” entfernt werden. Dies soll hier nicht so sein.
Syck zeigt wie es gehen kann
Hinzufügen könnte man den kritischen Blicken und Aussagen: Es geht um die Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit und Förderung des Gemeinschaftsgefühls. Die Projektteilnehmer müssen miteinander kommunizieren und sich auf ein gemeinsames Projektziel einigen. Das ist schon ein großes Etappenziel. Oftmals sind die jugendlichen Gefangenen in ihren Einzelhafträumen separiert. Das Projekt findet an einem Wochenende statt und wird von dem Verein für Straffälligenhilfe Herford e.V. finanziert. Mit sechs Inhaftierten aus der Untersuchungshaft und zwei Maler in Ausbildung aus der Strafhaft startet das Projekt. Der Anleiter, Denis Kelle – mit Künstlernamen Syck, ist Diplom Pädagoge und als Graffitikünstler selbstständig www.einsyckartig.de. Er bietet regelmäßig Graffiti-Workshop für Jugendliche an, meist in Jugendzentren. Am ersten Workshop-Tag erzählt Denis etwas über die Entstehungsgeschichte von Graffiti. Er verweist auf die Möglichkeiten des erlaubten Sprühens an ausgewiesenen Stellen. Natürlich vergisst er nicht auf die Konsequenzen von Sachbeschädigung durch illegale Graffiti hinzuweisen. Jeder Teilnehmer hat die Möglichkeit eine Skizze für eine eigene Leinwand zu erstellen. Die Teilnehmer übertragen anschließend ihre Entwürfe auf die Wände der Abteilung.
Jetzt sieht es anders aus
Wenn man jetzt durch den Abteilungsflur geht, kommt einem die Farbkleckse und Motive farbenfroh entgegen. Da gibt es ein Wegschild zur Mitte des Gefängnisses, dem sogenannten Spiegel. Da ist eine Quitschente mit viel Wasser am Eingang der Gemeinschaftsdusche. Ein Vogel im geöffneten Käfig trifft die Situation der Inhaftierten besonders. “Es macht Spaß dass hier zu machen. Inmitten der Härte des Knastes etwas Farbkleckser zu versprühen”, sagt ein Teilnehmer stolz. Es gibt unter den Mitgefangenen hier und da auch abfällige Bemerkungen: “Es sind ja Motive wie im Kindergarten und außerdem macht man dass ganz anders”, so eine Aussage eines erstaunten Inhaftierten, der den Weg zum Arzt-Revier nutzen muss. “Der gesprayte Burger an der Tür der Abteilungsküche ist eine Provokation! Den gibt es nur einmal im Jahr zum Mittagessen”, sagt ein anderer. “Aber immerhin ist es mal etwas anderes”, fügt ein Inhaftierter dieser Abteilung B 1 hinzu und lächelt.
Michael King