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„Gotteskinder“ thematisiert strengen Glauben und eigene Identität

31. Januar 2025

Der Film „Gotteskinder“ zeigt, dass religiöser Fundamentalismus hinter anscheinend lockerer Fassade nicht nur in freikirchlichen Gemeinden lauern kann. Menschen leiden darunter. Besonders zwei Geschwister der fiktiv streng christlichen Gemeinschaft „Church of belief.“ Die Jugendlichen suchen und ringen um ihre Identität. Der Film geht an die Nieren und macht manches Mal wütend. Eine Rezension.

 

Die Teenager Hannah (Flora Li Thiemann) und ihr Bruder Timotheus (Serafin Mishiev) wachsen mit zwei jüngeren Schwestern in einer streng religiösen Gemeinschaft auf. Die Geschwister sind dort gut integriert und fühlen sich wohl. Hannah ist in der Freikirche sehr engagiert und gibt Kurse in denen junge Frauen lernen, sich nach biblischen Gesetzen korrekt zu verhalten. Hannah selbst hat ein Keuschheitsgelübde abgelegt. Auch die Eltern David (Mark Waschke) und Esther (Bettina Zimmermann) sind in der Glaubensgemeinschaft tief verwurzelt. Die Familie ist erfüllt von ihrem Glauben und hat kaum Kontakte außerhalb der Gemeinschaft. Die Kinder und Jugendlichen besuchen eine christlich geprägte Privatschule.

Zwischen Modernität und konservativen Strukturen

Die freikirchliche Gemeinschaft ist sehr modern und wird zu Beginn des Films positiv dargestellt. Die Gottesdienste ähneln eher Popkonzerten: Alle Lieder sind in englischer Sprache, es wird viel gejubelt und applaudiert. Ihre Liebe zu Jesus bezeugen die Gemeindemitglieder mit großer Leidenschaft. Die Gottesdienste finden entweder in der Kirche oder im Haus der Familie statt. Tischgebete vor den Mahlzeiten gehören selbstverständlich dazu und auch ein hauseigener Altar darf nicht fehlen. Die Taufrituale gehen allerdings auf frühe christliche Traditionen zurück. Die Taufe findet erst im Teenageralter statt. Bei seiner Taufe wird der Jugendliche Timotheus in einem See untergetaucht, was an die frühchristlichen Taufen im Jordan erinnert. Am Vorabend bekommt Timotheus von seinem Vater David eine Kette geschenkt, die dieser selbst zur Taufe erhalten hatte. Somit wird Timotheus eine große Verantwortung auferlegt, denn sein Vater erwartet von ihm, dass er als Mann eine wichtige Rolle in der Gemeinschaft und der Familie einnimmt. David erklärt Timotheus, dass er alle seine Kinder liebe, aber ihn, den einzigen Sohn, liebe er besonders.

Anerkennung in der Familie

Seine Taufe veranlasst Timotheus dazu, über sich und seinen Glauben intensiv nachzudenken. Er möchte, dass seine Familie stolz auf ihn ist. Dieses Ziel scheint auch greifbar zu sein, wenn es da nicht ein Problem gäbe: Timotheus hat sich in seinen Schulfreund Jonas (Lennox Halm) verliebt und schreibt ihm heimlich Liebesbriefe, die er aber nicht abschickt. Homosexualität ist in der evangelikalen Gemeinschaft ein Tabuthema. Die kleine Schwester Ruth erzählt beim Mittagessen arglos, dass sie heute im Kindergarten ihre Freundin geheiratet habe. Der Vater reagiert heftig darauf, ohrfeigt sie und erklärt ihr, dass eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft eine Sünde sei. Die kleine Ruth wird zur Strafe vom Mittagstisch verwiesen.

Um wieder auf den rechten Weg zu finden, bittet Timotheus seine Eltern darum, dass er ein sogenanntes „Seelsorge-Seminar“ besuchen dürfe. Die jugendlichen Teilnehmer sollen dort von den äußeren Einflüssen der Gesellschaft geheilt und von ihren Sünden gereinigt werden. Es gibt Einzel- und Gruppengespräche mit dem Therapeuten Dr. Schäfer, der Vertrauen suggeriert. Die Jugendlichen sollen im Einzelgespräch von ihren Problemen erzählen. Timotheus berichtet schweren Herzens von der heimlichen Liebe zu seinem Freund Jonas, der ebenfalls der Glaubensgemeinschaft angehört und überraschend auch das Seminar besucht. Unerwartet müssen alle Teilnehmer in der Gruppe von ihren Problemen berichten. Damit bricht Dr. Schäfer das Vertrauen der Jugendlichen. Plötzlich heißt es, dass die Jugendlichen nur von ihren Sünden gereinigt werden könnten, wenn sie Gott und der Gruppe alles detailgetreu darlegen. Im Verlauf des Seminars soll Timotheus und Jonas ihr sündiges Verhalten ausgebettet werden.

Eine neue Welt entdecken

Derweil lernt Timotheus‘ Schwester Hannah den neuen Nachbarsjungen Max (Michelangelo Fortuzzi) kennen. Max ist mit seiner Mutter gerade in die Kleinstadt gezogen und muss den plötzlichen Tod seines Vaters verarbeiten. Der rebellische Teenager leidet sehr unter dem Verlust und vermisst zudem seine Heimatstadt Frankfurt am Main. Max Mutter Susanne fühlt sich zu der christlichen Gemeinschaft hingezogen und führt intensive Gespräche mit Hannahs Vater David. Max öffnet Hannah das Tor zur Welt. Im Gegensatz zu ihr ist er viel gereist und macht Dinge, die für Hannah unvorstellbar sind. Sie hat bisher nur Reisen innerhalb der Gemeinschaft unternommen und ein Kino hat sie noch nie besucht. Der erste heimliche gemeinsame Ausflug ins Kino ist für Hannah eine neue Erfahrung und das knutschende Paar in der Reihe vor ihnen irritiert sie sehr. Für Max ist Hannahs Welt fremd und er ist zwischen Neugierde und Furcht hin und hergerissen. Hannah fühlt sich zu Max immer mehr hingezogen und möchte, dass er der Gemeinschaft beitritt, damit ihre aufkeimende Liebe eine Chance hat. Er begleitet sie zu einer Party in der Gemeinde. Als Max versucht, Hannah auf der Party zu küssen, kommt es zum Eclat.

Eine Geschichte, die unter die Haut geht

Der geschilderte Konflikt steigert sich im Verlauf des Dramas zunehmend. Regisseurin Frauke Lodders zeigt in ihrem Debütfilm eindrucksvoll, wie die gut integrierten Jugendlichen Hannah und Timotheus immer mehr mit ihrer Familie und der Glaubensgemeinschaft in einen Gewissenskonflikt geraten. Sie beginnen, die Regeln, mit denen sie aufgewachsen sind und die sie bis dato mit voller Überzeugung gelebt haben, zu hinterfragen. Die tiefe Verbundenheit mit den Eltern wird dabei zunehmend zum Problem. Beide Eltern sind tief im Glauben verwurzelt. Deshalb versuchen sie, ihre Kinder mit aller Macht von den äußeren Einflüssen abzuschotten.

Der Film erzählt eine fiktive Geschichte, beruht aber auf einer intensiven Recherche zu evangelikalen Gemeinschaften in Deutschland. Aktuell erfahren die zumeist streng religiösen Freikirchen einen großen Zulauf, was längst nicht mehr nur auf Länder wie die USA beschränkt ist. Der Film zeigt sehr anschaulich die Konsequenzen, wenn man nicht mehr in das streng regulierte System der Freikirche hineinpasst. Für mich ein sehr empfehlenswerter Film mit einer tollen schauspielerischen Leistung und viel Tiefgang. Presseheft…

Nina Odenius | Quelle: domradio.de

 

1 Rückmeldung

  1. Alina sagt:

    Vielen Dank für die spannende und fesselnde Rezension über den Film „Gotteskinder“. Sehr überzeugend konnten Sie den beschriebenen Inhalt an den Leser vermitteln und so dazu anregen, dass man den Film gerne schauen und mehr erfahren möchte. Der Konflikt zwischen Selbstentfaltung; Freiheit sowie dem Druck der Eltern, dem zu entsprechen, was sie wünschen oder verlangen, wurde sehr gut zum Vorschein gebracht, was auch mich nun neugierig macht, die ganze Geschichte zu hören. Als Kind von Eltern, die einem Freiheit geben, ist es einem nicht nachempfindbar, wie Hannah und Timotheus sich in ihrer Lage fühlen müssen. Deshalb bin ich gespannt, in dem Film, der ja scheinbar auf wahren Begebenheiten beruht, mehr über die Protagonisten und ihre dargestellten Emotionen zu erfahren.

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