Die inhaftierte Frau in der Justizvollzugsanstalt Würzburg ist nicht sehr versiert im Umgang mit der Bibel. Sie kennt kaum eine der biblischen Geschichten. Doch das Buch der Bücher fasziniert sie. Sie möchte mehr wissen. Und über das, was sie liest, möchte sie reden, denn sie hat tausend Fragen. „In der Bibel hofft sie, Antworten zu finden“, sagt Doris Schäfer. Bei der eifrigen Bibelleserin handelt es sich um eine besondere junge Frau: Sie sitzt mit Anfang 20 im Würzburger Gefängnis – dort, wo Doris Schäfer als Seelsorgerin tätig ist.
Vielen ist es unverständlich, wie man hinter Gittern landen kann. Wie „schlimm“ muss man sein, dass so etwas geschieht? Doris Schäfer begreift nach fast zehn Jahren in der Gefängnisseelsorge sehr gut, warum manche Leute in die Justizvollzugsanstalt (JVA) kommen. Oft stammen die Gefangenen, wie die junge Frau, die gerade die Bibel entdeckt, aus prekären Elternhäusern. Niemand hatte sich um sie gekümmert. Niemand hat ihnen Orientierung gegeben. Für diese Frauen und Männer setzt sich Doris Schäfer seit 2011 ein. Und in Zeiten der Corona-Pandemie tut sie das ganz besonders intensiv. Denn die Situation ist gerade für die Gefangenen schwer zu verkraften.
Gottesdienste sind begehrte Angebote
Durch Corona kann zum Beispiel ein lang ersehntes Wiedersehen nun doch nicht stattfinden. Das betrifft Gefangene, die monatelang durch gute Führung genau darauf hingearbeitet hatten, Lockerungen und damit Ausgang oder ein freies Wochenende zu bekommen. Kurz vor Ausbruch der Pandemie waren diese Lockerungen in greifbare Nähe gerückt: „Manche Gefangenen waren sogar schon mal draußen gewesen.“ Plötzlich aber ist jeder Ausgang unmöglich: „Einige Inhaftierte drehten deshalb fast durch, sagt Schäfer, die den Gefangenen in solchen Momenten beisteht und ihnen Mut zuspricht.
In einem Gefängnis kann man nicht tun und lassen, was man will, das ist klar. Alles ist strengstens geregelt, die Abläufe sind immer gleich. Deshalb ist jede kleine Abwechslung hochwillkommen, und die Angebote der Gefängnisseelsorge sind bei den „Knackis“ sehr begehrt. Das betrifft sowohl die Bibelkreise als auch die Gottesdienste. „Zu normalen Zeiten nehmen bis zu 120 Gefangene daran teil“, berichtet Schäfer. Aufgrund der Infektionslage finden jedoch auch in der JVA aktuell keine regulären Gottesdienste statt. Durch diese Unregelmäßigkeit brach die Besucherzahl massiv ein: „An einem der letzten Sonntage nahmen nur sechs Gefangene teil“, erzählt sie.
Abstand im Gottesdienst
Vor Corona sind sie deshalb so zahlreich gekommen, weil es einfach war, den Gottesdienst zu besuchen: Er fand jeden Sonntag zu einer festgelegten Zeit statt. Weil nun der Abstand von 1,5 Meter in der Gefängniskapelle gewahrt werden muss, hat jeder Gefangene nur an jedem dritten Sonntag die Möglichkeit, zur Kirche zu gehen. „Das Problem ist, dass sich die Gefangenen merken müssen, wann sie dran sind, und ihren Wunsch beim morgendlichen Kontrollgang zu melden haben“, sagt Schäfer. Wer das vergisst, dem ist die Teilnahme verschlossen. Und es vergessen viele.
Manchen bringt Schäfer ein tiefes Solidaritätsgefühl entgegen, das weit über die Zeit ihrer Inhaftierung hinausreicht. Aktuell zum Beispiel begleitet sie auch außerhalb ihrer Dienstzeit Sandra T. (Name geändert), eine junge Frau Mitte 20, die kürzlich entlassen wurde. Entlassungen waren zur schlimmsten Corona-Zeit noch schwieriger als sonst, sagt die Theologin: „Es fanden keine Bewerbungsgespräche statt, deshalb erhielt auch diese ehemalige Gefangene keine Arbeitsstelle.“ Aktuell lebt sie in einer Würzburger Einrichtung für Frauen in Not. Sandra T. verfolgt mit großer Ausdauer das Ziel, ein komplett neues Leben zu beginnen. Wegen Betrugs saß sie ein Jahr lang im Gefängnis. „Dort hat sie viel über sich nachgedacht“, sagt Schäfer. Eine Psychologin im Ruhestand, die sich ehrenamtlich in der JVA Würzburg engagiert, half Sandra T. dabei, ihr Leben neu zu ordnen.
Seit der Entlassung hält Schäfer den Kontakt. Die junge Frau, sagt sie, hat sehr Schlimmes hinter sich. Auch sie stammt aus keiner guten Familie. In ihrer Kindheit wurde sie missbraucht. „Nach all dem muss ich mich völlig neu erfinden“, sagte sie kürzlich zu ihr. Bei dieser Frau hatte der Aufenthalt im Knast sehr viel ins Rollen gebracht. Aber auch Schäfer bewegt, was sie von Sandra T. erfahren hat. Entlassungen, meint sie, müssten hürdenfreier werden. Aus diesem Grund will sie in Kürze daran gehen, zusammen mit anderen Organisationen in Würzburg, die sich um Haftentlassene kümmern, eine Art „Wegweiser“ für entlassene Gefangene zu erstellen.
Als Haftentlassene Aufgaben übernehmen
Inhalt dieses Wegweisers sollen zum Beispiel Fragen sein wie: Welche Chöre nehmen vorurteilslos Sänger auf, die aus der JVA kommen? Oder: Wo können Haftentlassene ehrenamtliche Aufgaben übernehmen? Gibt es niederschwellige Bibelkreise, an denen auch Personen teilnehmen können, die bislang nur wenig von der Bibel wissen? Denn auch christliche Angebote können Schwellenangst verursachen. Katholiken kennen das, wenn sie in einen evangelischen Gottesdienst kommen, und dann nicht genau wissen, was evangelische Christen an welchen Stellen sagen oder tun. Schäfer würde sich außerdem sehr wünschen, dass es in Zukunft in Bayern ein bisschen „lockerer“ zugeht, was den Umgang mit den Gefangenen betrifft. In anderen Bundesländern dürfen die Inhaftierten zum Beispiel ab und zu telefonieren. Dadurch bleiben sie auch mit weiter entfernten Angehörigen, die selten zu Besuch kommen können, in Kontakt.
„Bisher hieß es immer, dass dies aus Sicherheitsgründen nicht geht“, erzählt Schäfer. Als zu Spitzenzeiten der Corona-Pandemie wochenlang keinerlei Besuche mehr möglich waren, durften die Inhaftierten zweimal im Monat für 20 Minuten telefonieren: „Es zeigte sich also, dass das durchaus geht, und zwar ohne Sicherheitsrisiko.“ Für die Gefangenen bedeuteten diese Gespräche ein Quäntchen Glück in ihrem sonst oft tristen und sorgenvollen Alltag. Dieses Glück könnte noch gesteigert werden, wenn Videotelefonate mit Kindern möglich würden, findet Schäfer. Wegen Corona dürfen nach wie vor keine Kinder in die Justizvollzugsanstalt – worunter inhaftierte Mütter und Väter sehr stark leiden.
Pat Christ | Würzburger Katholisches Sonntagsblatt
JVA Gottesdienste in Corona-Zeit
Die Seelsorge hinter den Mauern unter Corona hat vielfältige Formen angenommen. Gemeinsam war, dass viele Gottesdienste ausfielen. In einigen Anstalten ging der Arbeits-, Schul-, und Sportbetrieb wie sonst auch weiter. Wegen der Corona-Infektionsgefahr sind Gottesdienste in einigen Justizvollzugsanstalten abgesagt oder auf unterschiedliche Weise durchgeführt worden. Es gab und gibt dazu keine einheitliche Linie, da jede Anstalt und die jeweiligen GefängnisseelsorgerInnen anders vorgegangen sind. Als nichtöffentliche Gottesdienste sind sie von den Vereinbarungen des Landes mit den Bischöfen zur Aussetzung der öffentlichen Gottesdienste während de Lockdowns nicht betroffen gewesen.
Im niedersächsischen Emsland in der JVA Lingen gab es wegen der Infizierung eines Kollegen aus dem Allgemeinen Vollzugsdienstes einen vollkommenden Lockdown in der Anstalt. Die Seelsorge verteilte LED-Leuchten für die Hafträume, die ab 19 Uhr von den Inhaftierten in die Fenster gestellt wurden. Zur gewohnten Zeit läuteten die Glocken und es fand ohne die Inhaftierten ein Gebet in der Kirche statt. Zu Ostern wurden alle Inhaftierten mit einen kleinen Ostertüte bedacht. In Sehnde gab es einen „Gruß zum Sonntag“ auf den Fluren für die Bediensteten, der auf positives Echo stieß.
In Baden-Württemberg erstellt jede JVA erstellt ihr eigenes Hygienekonzept, das von der Anstalt genehmigt werden muss. Ebenso ist die Handhabung von kirchlichen Veranstaltungen sehr unterschiedlich, je nach Justizvollzugsanstalt. Gottesdienste im Saarland sind weiter nur abteilungsbezogen und mit 12 Teilnehmern möglich. Bei der Voranmeldung bis donnerstags wurden die Plätze zwar manchmal alle “gebucht”, aber sonntags kamen dann selten alle. Durchsagen dürfen nicht gemacht werden, um freie Plätze zu füllen. Die Kommunion wird nicht ausgeteilt.