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Gottesdienste dort feiern, wo Gott fern scheint

1. Juli 2021

Nachdem sie 2020 wegen des Lockdowns ausfallen musste, fand im Jahr 2021 die 48. Fachtagung Kirche im Justizvollzug mit 34 TeilnehmerInnen aus ganz Deutschland sowie zwei Kollegen aus Luxemburg in Wiesbaden-Naurod statt. Während diese beiden teilnehmen konnten, mussten drei aus Österreich und der Schweiz kurzfristig wegen der Ein- und Rückreisebedingungen absagen. Ein den Hessischen Coronavorschriften angepasstes Beherbergungs- und Tagungskonzept ermöglichte die Präsenzveranstaltung. Einzig der Vortrag des Erfurter Liturgiewissenschaftlers Benedikt Kranemann musste per Videokonferenz stattfinden.

Die Atmosphäre war gewiss eine andere als in den Vorjahren, Arbeitsmethoden, Kleingruppenarbeiten usw. sowie die abendlichen Begegnungen mussten konnten nur in modifizierter Form stattfinden. Dennoch überwog die Zufriedenheit darüber, dass die Tagung stattfinden konnte und in der abschließenden Auswertungsrunde bekam sie auch eine sehr gute Bewertung. In der Einladung war zu lesen, „Liturgie feiern heißt Freude und Sorgen, Dank und Bitten vor Gott zu tragen, ihm vertrauensvoll hinzuhalten, einen Raum zu schaffen, in dem Himmel und Erde sich berühren können, das eigene Leben von Gott berühren zu lassen, damit Wandlung geschehen kann. Im Gefängnis Liturgie zu feiern ist eine Herausforderung – unter Coronabedingungen ganz besonders.“ Dieser Herausforderung versuchte man sich über zwei Vorträge, Gruppenarbeiten und vier Workshops, aus denen man drei wählen konnte, zu stellen. Auswirkungen von Corona auf gottesdienstliches Handelns wurde dabei nicht eigens thematisiert, alternative Gottesdienst- oder Gebetsformen nicht vorgestellt, wenngleich manches dafür gesprochen hätte. Anregungen hierfür lassen sich mittlerweile aus der Schweizer „Corona-Studie zur Lage der Gefängnisseelsorge, Seelsorge & Strafvollzug, Sondernummer 2/2021, herauslesen.

Profane Liturgie

Der TeilnehmerInnen stellten sich zu Beginn der Tagung anhand eines für sie typischen Gegenstandes vor und reflektierten in Kleingruppen, was dieser für ihre Arbeit in der JVA bedeute und was sie selbst in diese einbrächten. Mit einem Kurzvortrag von Simeon Reininger „Das Leben feiern – so oder so… Profane Liturgie am Beispiel Alltag und Sport“ wurde Dienstagvormittag in die Thematik vor dem Hintergrund einer veränderten religiösen Landschaft und weitgehend säkularisierten Gesellschaft eingeführt. Säkulare Rituale und Liturgien, etwa im Sport, lassen freilich erkennen, wie sehr Menschen Rituale brauchen, nach ihnen suchen und neue entwickeln.

Feiern, wo Gott fern

Der Erfurter Liturgiewissenschaftler Professor Benedikt Kranemann, der leider nur über eine Videokonferenz zugeschaltet werden konnte, griff dieses Phänomen aus liturgiewissenschaftlicher Perspektive auf und vertiefte es unter dem Aspekt „Gottesdienst feiern, wo Gott fern scheint“. Das trifft auf eine JVA ebenso zu wie auf eine Gesellschaft, in der Kirche zunehmend weniger präsent ist und gestaltend wirkt. Besondere Krisensituationen, große Katastrophen etwa, terroristische Anschläge, aber auch biographische Übergänge, wie sie in Erfurt etwa als Alternative zur Jugendweihe, rituell begleitet werden, zeigen, wie wichtig Feierelemente auch für eine säkulare Gesellschaft sind.

Symbolische Orte

Der Frankfurter Pfarrer und Gründer der dortigen Jugendkirche Jona Werner Otto entwickelte diese Gedanken weiter und stellte die Frage nach der Form liturgischer Feiern – nicht nur in Krisenmomenten – in den Vordergrund: Gott ist schön. Wir sollen es auch sein. Schöne Gottesdienste kommen an“, war sein Plädoyer für eine ästhetischen Gestaltung von Gottesdienstraum und Gottesdienstelementen, dem Einsatz von lebensnahmen Symbolen, passender Musik und ansprechender Lichtinstallation. Anregungen, die sich je nach Situation in den JVAen durchaus umsetzen lassen. In einer abschließenden Gruppenarbeitsphase regte Angela Gessner die TeilnehmerInnen zu einem Transfer der Referate in die Gefängnisrealität an. Ausgangspunkt waren Fragen an symbolischen Orten des Veranstaltungshauses. Vor einer geschlossenen Tür: Für welche Idee/Impuls ist mir die Tür in der Gefängnisrealität verschlossen? An einer Treppe: Für die Umsetzung dieser Idee/ dieses Impulses benötigt es noch einige (Vor)Stufen? An einem Fenster: Diese Idee/Impuls hat mir eine neue Sicht geschenkt…: Am Kaffeeautomaten: Besonders belebend, erfrischend fand ich…: Vor einer geklinkerten Wand: Welche Mauern bezüglich Gottesdienstfeiern/Liturgie in meinem Kopf würde ich gerne überwinden?

Kunst der Sprache und des Körpers

Mittwoch und Donnerstag waren geprägt durch die Angebote von verschiedenen Workshops. Neben dem traditionellen „Einsteigerworkshop“, den die beiden erfahrenen Gefängnisseelsorger, Heinz-Bernd Wolters aus Meppen und Adrian Tillmanns aus Werl, mit den neuen KollegInnen durchführten, konnten die übrigen drei der vier thematischen Workshops besuchen. Mit Marco Michalzik, Spoken Word Künstler, Lyriker und Songwriter konnten TeilnehmerInnen einüben, wie mit wenig Worten viel gesagt werden kann: „Von Ausgesprochenem und Unausgesprochenem. Die Kunst der Sprache – Verkündigung einmal anders. „Präsent sein im Raum – bei der Sache – bei mir!“ Mit diesem Workshop führte Monika Kreutz, Pastorin, Tanztherapeutin, bereits zum dritten Mal als Referentin bei der Fachtagung dabei, „Praktische Übungen an der Liturgischen Präsenz“ durch. Darin „wird gezielt an der körperlichen Präsentation von Liturge und Liturgin geübt. Dazu gehören das Begehen der Wege im Sakralraum, Finden der eigenen Position im Raum, Arbeit an Atmung und Stimme, Gesten und eigenem Kör-per. Das Ziel dieser Arbeit ist die präsente Gegenwart des Liturgen oder der Liturgin im Raum, in der Zeit und in der Handlung. Dies beinhaltet ein waches Bei-sich-sein, ein professionelles Bei-der-Sache sein und ein kommunikatives Bei-der-Gemeinde sein“, so die Referentin.

Ein weiterer Workshop „Dem Gottesdienst Raum geben – zur besonderen räumlichen Situation der Religionspraxis im Strafvollzug“ hatte die Gestaltung gottesdienstlicher Räume zum Thema. Katharina Scholl, Repetentin der Hessischen Stipendienanstalt, Marburg, und Promoventin zum Thema erarbeitete mit den TeilnehmerInnen Kriterien zur Gestaltung von Räumen, die nie allein funktional seien, sondern wie Architektur insgesamt eine Botschaft in sich trügen, die gerade im Gefängnis gewissermaßen eine Gegenbotschaft, eine „Gegenwelt“ darstellen müsste. Ein letzter Workshop wurde von Angela Gessner angeboten unter der Überschrift „Liturgie-Labor: ‚Seelenvolle‘ Gottesdienstformen entdecken und eigene Experimente wagen“. Ausgehend von den eigenen Erfahrungen der TeilnehmerInnen wurde erarbeitet, was gute und was schlechte Gottesdienste ausmachen und reflektiert. Darauf aufbauend wurden in einer Art „Schreibgespräch“ Möglichkeiten entwickelt verschiedene Gottesdienstelemente kreativ und ansprechend zu gestalten. Gesamte Dokumentation…

Dr Simeon Reininger | JVA Meppen

 

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