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Gottesdienst im Gefängnis ein besonderer Ort?

25. August 2022

Die Anstaltskirche in der JVA Mannheim.

In der „Haus- und Dienstordnung für die Beamten des königlichen Centralgefängnisses in Werl“ vom 28. Juli 1911 heißt es u.a.: „Es ist wünschenswert, dass die dienstfreien Beamten an dem Gottesdienst in der Anstalt und insbesondere mit den Gefangenen an der Abendmahlsfeier teilnehmen.“ Heute mag fraglich sein, welche Intentionen die Verfasser dieses Regulariums verfolgt haben; jedenfalls kennen die Strafvollzugsgesetze der Länder eine solche Vorgabe an Bedienstete des heutigen Justizvollzugs nicht.

Gottesdienst im Jugendvollzug der JVA Herford.

Die einschlägige Vorschrift begründet den Rechtsanspruch der Gefangenen auf Ausübung des ihnen zustehenden Grundrechts aus Artikel 4 Abs. 2 des Grundgesetzes, in dem die ungestörte religiöse Betätigung gewährleistet wird.Auch im Vollzug darf dieses Grundrecht nur unter prinzipiell gleichen Bedingungen wie in Freiheit eingeschränkt werden. Nicht zuletzt wird auch hierdurch das Bekenntnis des Vollzuges zu strenger Rechtsstaatlichkeit deutlich.

Nach dem Verständnis beider Konfessionen von Gefängnisseelsorge kann der Verurteilte im Anstaltsgottesdienst einen entscheidenden Schritt aus seiner moralischen Schuld heraus und hin zu Sühne und Versöhnung tun. Da dies darauf abzielt, die durch die Straftat gestörte Beziehung des Täters zum Opfer, zu Gott und zur Gesellschaft wiederherzustellen, fügt sich der Anstaltsgottesdienst bei aller Staatsferne doch nahtlos in den Resozialisierungsauftrag des Vollzuges ein.

Hoffnungsprinzip

Gerade in seiner grundgesetzlich garantierten Eigenständigkeit und daher weit entfernt von jedweder Instrumentalisierung durch den Vollzug kann der Anstaltsgottesdienst aber auch einen Beitrag zur vollzuglichen Sicherheit leisten. Er bietet nicht nur eine klimatisch förderliche Duschbrechung des manchmal monotonen vollzuglichen Alltags, weitet den Blick und eröffnet Perspektiven, sondern gibt gerade dann, wenn kollektive Emotionalisierung bei Gefangenen, z. 8. an Weihnachten oder nach Todesfällen, die Gefahr psychischer Dekompensation heraufbeschwört, durch das ihm eigene Gemeinschaftserleben Raum für die Kanalisierung solcher negativen Gefühle, für ein Ablassen des inneren Drucks. Gerade in einem System, in dem besondere Vorkommnisse oft auch Ausdruck von Resignation, Verzweiflung und subjektiv empfundener Ausweglosigkeit sind, wird jeder verständige Verantwortliche den christlichen Ritus, in dessen Mittelpunkt Hoffnungsprinzip und Frohbotschaft stehen, zu schätzen wissen.

Jeder, der daran zweifelte, möge sich der eingangs zitierten historischen Anregung folgend durch Teilnahme an einem Heiligabend-Gottesdienst oder einer Trauerandacht in der Anstalt vom Gegenteil überzeugen. Sicher würde auch er dann feststellen, was gerade mir ganz persönlich im Anstaltsgottesdienst auffällt: Es können, sobald der spirituelle Funke überspringt, Rollen aufbrechen, Rollen, die die Gefangenen in ihrer Kommunikation untereinander einnehmen, aber auch Rollen, die das  Verhältnis von Bediensteten zu Gefangenen definieren. Im Gottesdienst und im Austausch danach werden dann für kurze Zeit schlichte Begegnungen von Mensch zu Mensch möglich, jenseits der vom Vollzugssystem vorgegebenen Funktionen und deren Begrenzungen. Ja, der Gottesdienst im Gefängnis ist schon ein besonderer Ort. 

Michael Skirl | Ehemaliger Anstaltsleiter JVA Werl

Ausgerechnet in Haft religiös geworden?

Solange ich in Vollzugsanstalten arbeite, bekomme ich immer wieder die Frage gestellt: „Gottesdienst im Gefängnis, ausgerechnet jetzt werden die religiös?„ Es stellt sich natürlich die Frage, ob jemand größere Nähe zu Gott sucht, wenn er sich in einer Extremsituation befindet. Ich kann jedoch noch nicht einmal sagen, ob alle, die in Freiheit in einen Gottesdienst gehen, dies aus Religiosität oder vielleicht doch aus ganz anderen Gründen machen. Gibt es nicht in unserer normalen Umgebung Menschen, die uns beobachten und Erwartungen uns gegenüber haben? Nachbarn, die natürlich in die Kirchengemeinde gehen und denen wir es gleichtun wollen? Denken wir an unsere Kinder, die in der kirchlichen Jugendarbeit betreut werden, worauf wir nicht verzichten wollen? Wollen wir uns rückversichern, dass wir im Alter eine letzte Heimat finden?

Anspruch und Wirklichkeit des Gottesdienstes

Vielleicht ist es auch nur der Wunsch Einzelner, sonntags eine Stunde mit anderen Menschen zu verleben. Urteilen wir hier auch so schnell und wissen sofort, wie diese Menschen sind? Nein, wir sind hier sehr viel verständnisvoller und humaner. Man hat sich in diesem Fall ja „nichts zu Schulden kommen lassen“. Ich finde, es gibt im Leben viele Gründe eine Kirche zu besuchen. Die Gründe mögen variieren, in ihrem Wesen aber sind sie gleich. Auch der Gefangene sucht den Kontakt zu anderen Menschen, will also „raus aus seinem Haftraum“. Er hat das Bedürfnis, „sich mit anderen zu unterhalten“, möchte wie alle Menschen „unter Leute“. Und dies geschieht da, wo er es kann.

Perspektive geben

Darüber hinaus kann er dem normalen A11tagsrhythmus entfliehen und hier und da, aber vielleicht auch häufiger als man es vermutet, einfach nur einmal etwas über Gott hören und sich unter Umständen an Zeiten erinnern, in denen es ihm besser ging. Dadurch ist es ihm möglich, sich eine Brücke in eine, wenn auch ungewisse, Zukunft zu bauen, in der er für sich ein besseres Leben erhofft. Genau hier beginnt der Gottesdienst, nicht nur für den Gefangenen, sondern auch für den Bediensteten, an Bedeutung zu gewinnen. In der täglichen Arbeit mit Inhaftierten gehört es dazu, diesen Menschen eine Perspektive zu geben, ihnen Punkte aufzuzeigen, die, wenn auch noch so weit entfernt, für sie noch wichtig werden können und die ihr Leben lebenswert machen. Alle Gelegenheiten, die hier weiterhelfen, sind willkommen.

Harald Soodt | JVA Düsseldorf

 

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