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Was draußen zählt, gilt hier drinnen nicht

6. April 2020

Hier, das heißt: in der Justizvollzugsanstalt Lübeck. Hinter Gittern. Seit zwei Jahren und neun Monaten. Eingesperrt mit Menschen, mit denen er normalerweise nicht einmal ein Wort wechseln würde. Martin Müller (Name geändert) erscheint in dunkler Jeans, schwarzen, dezenten Turnschuhen und weißem T-Shirt zum Interview-Termin. Den dunkelblauen Pullover hat er lässig über die Schultern gelegt. Fast scheint es, als käme der 48-Jährige direkt vom Segeln in die kleine Besucherzelle der JVA. Er ist ein kleiner Mann, mit relativ kleinen Händen an gut ausgeprägten Unterarmen und einer sonoren Stimme. Ein Chronometer zieht den Blick auf sich.

So richtig scheint er immer noch nicht zu verstehen, wieso er eigentlich hier ist. Auch wenn er die verhängte Strafe natürlich voll akzeptiert. Alles an Müller wirkt bedacht, kontrolliert. Keine Bewegung ist zu viel; eher scheint er sich zurückzunehmen, als wolle er nicht auffallen, hier, an diesem Ort, an den er eigentlich nicht gehört. Zum Gespräch setzt er sich lässig an den Tisch, das rechte Bein breit über das linke gelegt, der rechte Arm ruht auf der Stuhllehne daneben – ein Segler, der eine Pause macht. Ein Bestimmer, durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Wäre da nicht diese verhaltene Art, auf die Fragen zu reagieren, diese leichte Verzögerung in den Antworten, das Ausweichende, Unpräzise.

Müller muss seine Strafe absitzen. Er musste seine Freundin, seinen Sohn hinter sich lassen und ist „eingefahren“. Foto: Tobias Schulte

Bedacht, kontrolliert – und lässig

Auf die Frage, warum er eigentlich hinter Gittern gelandet sei, heißt es nur kurz „Betrug.“ Pause. „Mehr muss ich dazu ja wohl nicht sagen.“ Ende. Mehr wird er dazu auch nicht sagen. Und das Leben vorher? Vor dem Knast? „Naja. War schon gut.“ In Nebensätzen entwischt ihm dann ein wenig mehr. Worte wie Cabrio, Elbstrand, Eigentumswohnung, Sekt am Abend fallen. Auch Sohn und Freundin. Doch noch gibt Martin Müller sich bedeckt. Shop-Designer in Hamburg sei er gewesen.

Gemeinsam mit einem Freund gut im Geschäft. Daher werde er auch nicht tief fallen. In 41 Tagen. Wenn er endlich wieder raus darf. Nach zwei Jahren und zehn Monaten. Zurück in sein altes Leben. Obwohl, sein altes Leben wird es nicht mehr sein. Obgleich die Freunde zu ihm gehalten haben. Und auch einige ehemalige Kunden. „Als die von meinem Urteil gehört haben, haben die nur gesagt: In der heutigen Zeit kann das schon mal passieren“, sagt Müller, der immer noch nicht so ganz verstanden hat, warum er am 21. Juni 2006 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. „Wenn ein Zumwinkel und ein Pooth auch anders da rauskommen. Aber ich hatte halt nicht das Geld dazu“, konstatiert er. Und räumt dennoch erneut ein, dass er natürlich zur Recht verurteilt wurde. Er scheint langsam Vertrauen zu fassen, spricht immer freier.

Das Recht des Stärkeren

Müller muss seine Strafe absitzen. Er musste seine Freundin, seinen Sohn (4), sein Segelboot, das Cabrio, die Wohnung hinter sich lassen und ist „eingefahren“. Plötzlich fand er sich Leuten gegenüber, „bei denen ich draußen die Straßenseite gewechselt hätte“. Drinnen musste er sich mit ihnen arrangieren. „Was draußen etwas zählte, mich zu einem erfolgreichen Mann machte, ist hier drinnen nichts mehr wert“, beschreibt er den abrupten Wechsel. „Ich war gerade auf dem Weg vom Büro an die Elbe, wollte in mein Auto steigen, da haben sie mich verhaftet.“ Statt Sekt und Elbe nun plötzlich „Menschen, bei denen das Körpervolumen gilt, das Recht des Stärkeren“. Wenn er sich da mit seinem Hamburger Abendblatt und dem Spiegel in die Zelle verziehe, habe er im Grunde schon verloren.

„Man sollte hier den Kopf einziehen, sich bedeckt halten, die Zeit akzeptieren und das Beste daraus machen“, fasst Müller seine Knasterfahrungen zusammen. Das Beste daraus machen? Ja. Im Grunde habe die Zeit ihn weitergebracht. „Ich habe diese Zeit intensiv genutzt, um mit mir selbst ins Gericht zu gehen – und gemerkt, dass ich einige Defizite hatte.“ Er habe sich anderen zu wenig anvertraut, alles mit sich selber ausgemacht und sei dabei ganz auf Erfolg gepolt gewesen. Im Grunde sei es das gewesen, was ihn letztendlich zum Betrüger gemacht habe. Das sei heute anders, er habe gelernt, sich mitzuteilen. Insofern sei die Zeit gut gewesen. Eine Zäsur.

Doch in 41 Tagen ist es damit vorbei. Dann will Martin Müller erst einmal zum Frisör. Und abends in Freiheit etwas essen. Ohne dass um 19 Uhr die Zelle abgeschlossen wird. Und dann will er seine Mutter besuchen. Und danach segeln, auf der Kieler Woche. Gucken, ob er in seiner Firma wieder Fuß fassen kann. Doch vor allem will er endlich „durch dieses Tor gehen. Im Grunde warte ich darauf seit dem ersten Tag, den ich hier drin bin“

Kathrin Emse | Mit freundlicher Genehmigung: shz.de

 

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