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Generalvikar des Bistum Speyer verlässt Katholische Kirche

13. Mai 2022

Manche der GefängnisseelsorgerInnen werden sich an den Generalvikar des Bistums Speyer, Andreas Sturm, erinnern. Bei der Studientagung 2018 in Ludwigshafen feierten GefängnisseelsorgerInnn aus dem Bundesgebiet im Speyerer Dom mit ihm den Vesper-Gottesdienst. Vier Jahre lang stand Andreas Sturm an der Spitze der Verwaltung des Bistums Speyer. Jetzt tritt der Generalvikar zurück – und verlässt die römisch-katholische Kirche. Als Priester will er weiterhin wirken – aber in der alt-katholischen Kirche.

Eigentlich hatte das Thema der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V. auf ihrer Studientagung im September 2018 in Ludwigshafen nichts mit der Missbrauchsdebatte zu tun, sondern das Tagungsthema hieß: „AndersSein am AndersOrt“. Der Bericht zum Stand der Missbrauchsdebatte innerhalb der katholischen Kirche mit 356 Seiten wurde an diesem Tag offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt. Kardinal Reinhard Marx gab eine Pressekonferenz und es stand auf jeder Titelseite. Am eindrücklichsten zu dem Thema war bei der Tagung die Vesper mit Generalvikar Andreas Sturm vom Bistum Speyer. Er wisse gar nicht, ob er heute predigen könne und er hätte sich einen Tausch der Rollen gewünscht: „Vielleicht hätten sie mir heute eine Predigt halten sollen.“ Er erzählte, dass er erst seit August im Amt sei, er sich überrollt fühle und er noch gar nicht abschätzen könne, was alles noch passiere angesichts der Missbrauchsdebatte. Und dann er erzählt er, dass er noch heute Nachmittag einen Priester suspendieren musste – er sei ihnen durchgerutscht…

Bischof Wiesemann des Bistums Speyer habe den Rücktritt seines bisherigen Generalvikars, Andreas Sturm, „mit großem Bedauern“ angenommen. Foto: Bistum Speyer

Katholische Kirche wandelt sich nicht

Die Worte des Mannes wirkten ehrlich, seine Erschütterung echt. Wiewohl man sich fragen kann, was er denn bei Antritt seines Amtes erwartet habe – so neu ist diese Debatte nicht. Nach vier Jahren tritt jetzt der Speyerer Generalvikar Andreas Sturm von seinem Amt zurück. In seiner Erklärung äußerte Sturm sich in einer persönlichen Erklärung zu seinen Beweggründen. „Ich habe im Lauf der Jahre Hoffnung und Zuversicht verloren, dass die römisch-katholische Kirche sich wirklich wandeln kann. Gleichzeitig erlebe ich, wie viel Hoffnung in laufende Prozesse wie zum Beispiel den Synodalen Weg gesetzt wird.“ Er sei aber nicht mehr in der Lage, „diese Hoffnung auch zu verkünden und ehrlich und aufrichtig mitzutragen, weil ich sie schlichtweg nicht mehr habe“, so Sturm weiter. Zugleich erlebe er das Bistum auf einem guten Weg, sowohl mit Blick auf die Aufarbeitung von Missbrauch wie in Bezug auf die Umsetzung des diözesanen Visionsprozesses.

„Ich hatte einfach keine Kraft mehr…“

Wiesemann habe den Rücktritt seines bisherigen Generalvikars „mit großem Bedauern“ angenommen, heißt es in einem Brief des Bischofs an alle Mitarbeitenden. Das sei ihm persönlich äußerst schwer gefallen, denn er habe mit seinem Generalvikar auf „zutiefst vertrauensvolle Weise“ zusammengearbeitet. „Nicht zuletzt in der langen Zeit meiner Erkrankung im letzten Jahr hat er, zusammen mit Weihbischof Otto Georgens, das Bistum mit großem Einsatz in seiner sympathischen und weltoffenen Art durch diese schwierige Phase geführt. Dafür bin und bleibe ich ihm zutiefst dankbar“, so Wiesemann weiter. „Andreas Sturm hat viel Positives in unser Bistum eingebracht mit seiner zupackenden und begeisternden Art und seinem leidenschaftlichen Einsatz für eine erneuerte, von Gott berührte und menschennahe Kirche, die alle Menschen in ihrer jeweiligen Lebenssituation ernstnimmt und für sie zum Segen wird“, betonte der Bischof. Dieser habe für sich eine persönliche Weg- und Richtungsentscheidung getroffen. Damit finde „eine Wegstrecke gemeinsam getragener Verantwortung ihren Abschluss“. In seiner persönlichen Erklärung betonte Sturm, dass er nicht mit Ärger und Wut gehe, „sondern mit einer großen Hoffnung für mich und meine eigene Berufung“. Er bitte alle um Verzeihung, die er mit seinem Schritt enttäusche, verletze und verärgere: „Ich hatte einfach keine Kraft mehr.“

Bischof würdigt den ehemaligen Generalvikar

Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann ist der 96. Bischof von Speyer. Er stammt aus dem Erzbistum Paderborn, wo er am 1. August 1960 in Herford, Ostwestfalen, geboren wurde. Er schreibt: „Ich respektiere die Entscheidung, die Andreas Sturm getroffen hat. […] Ich teile die Gründe so nicht. Ja, wir befinden uns in einer Zeit, in der überdeutlich wird, dass die Kirche sich von Grund auf erneuern muss. Aber wir befinden uns auch mitten in lebendigen Prozessen, die genau das engagiert thematisieren und die Kirche und ihr Handeln verändern, auch wenn es einzelne Rückschläge geben sollte. […] Das Anliegen einer menschenfreundlichen, geschlechtergerechten und angstfreien Kirche, für das sich Andreas Sturm immer besonders stark gemacht hat, behält dabei seine Wichtigkeit“, so der Speyrer Bischof.

Will in der alt-katholischen Kirche tätig sein

Bundesweit ist es der erste Kleriker in Verantwortung eines Bistums, der die Katholische Kirche konsequenterweise verlässt. Es ist ein Paukenschlag. Dass er nun in der alt-katholischen Kirche wirkt, ist nicht verwunderlich. Einige der Priester aus der Katholischen Kirche landen dort. Manche sagen, die alt-katholische Kirche hat zwar Priesterinnen und verheiratete Pfarrer, aber die Liturgie sei noch „klerikaler“ als in der katholischen Kirche. Das Wort „alt“ suggeriert Althergebrachtes und ist daher missverständlich. In der Schweiz wird die Kirche „christkatholisch“ genannt. Der Schritt und die Entscheidung, die Andreas Sturm traf, erfordert Mut und Klarheit. Verlässt er doch die sichere Burg der finanziellen Absicherung. Die alt-katholische Kirche in Deutschland trägt sich aus Spenden und erhält mit Ausnahme von Bayern keine Kirchensteuermittel. Sie entstand in den 1870er Jahren in Abgrenzung zu den Beschlüssen des Ersten Vatikanischen Konzils (1869–1870) zur Unfehlbarkeit und zum Jurisdiktionsprimat des Papstes. Zum deutschen Bistum gehören gut 16.000 Mitglieder in 60 Pfarrgemeinden. Die Kirchenordnung der alt-katholischen Kirche ist bischöflich-synodal. Die Kirche ist Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK). Der Bischofssitz der alt-katholischen Kirche ist in Bonn.

Michael King

 

4 Rückmeldungen

  1. Martin Koch sagt:

    Anders als der Kommentator vor mir, der das Buch von Andreas Sturm nicht kaufen will, las ich es. Es ist eine bestimmte Art sich der Kritik zu verschliessen, die Erfahrungen Sturms nicht zu lesen. Genauso empfinde ich die Fragen an eine mögliche Partnerin des ehemaligen Generalvikars übergriffig. Den eigenen Stachel im Auge nicht sehen und auf andere zeigen. Oder das Schweigen darüber ist noch schlimmer. Nichts zu sagen, alles schön weiterlaufen zu lassen. Sturm berichtet sehr konkret vom Laienklerikalismus, von der Überhöhung des Priesters und von den Scheinheiligkeiten „geweihter“ und laien-klerikerhaften Personen.

    Der Wunsch nach einer heilen Welt und der Wunsch nach Veränderungen spaltet alle, die noch etwas von der Kirche wollen. Das sind nicht mehr viel. Entweder konservativ oder progressiv. Dazwischen ist ein wesentlicher Teil, der sich innerlich verabschiedet hat oder sich in „seiner guten Pfarrei“ zurückzieht. Egal, was Rom sagt und wie die Lage der Weltkirche ist, „wir leben Christ-sein hier anders“. Die Kirche sei eine Meisterin der Beschämung, „der den Täter von der Abtreibung freispricht, den Opfern aber nachhaltig eingeprägt hat, dass Abtreibung die schlimmste aller denkbaren Sünden sei“, so Sturm zum Thema Schwangerschaften in Folge des sexuellen Missbrauchs.

    Endlich eine Stimme aus dem Machtzentrum, die klar benennt, die kirchliche Machtstrukturen aufdeckt und Konsequenzen zieht. Andreas Sturm achtet seine Privatsphäre, auf die er nicht detailreich eingeht. Das ist gut so. Er will sich ohne Angst verlieben können, schreibt er. Das kann er jetzt. Sein Blickwinkel wird nicht verhallen. Er hat das Schiff verlassen und ist präsent.

  2. R.B. sagt:

    Der Speyerer Generalvikar für mich nicht der Held, der mehr Aufmerksamkeit verdient als der Normalpfarrer, der seinen Weg in der Kirche treu geht. Ich respektiere ihn selbstverständlich. Fragen, was mit der Frau ist, zu der er ein Verhältnis hat, darf man aber doch. Tritt er jetzt mit ihr auf? Bekennt er sich zu dem Verhältnis öffentlich? Wie geht es ihr? Wir wollen den beiden Zeit lassen, vielleicht schaffen sich ja einen ehrlichen Weg zusammen. Mich interessiert, ob es ihr gut geht. Zu erwartendes Buch werde ich dazu dennoch nicht kaufen…

  3. King sagt:

    Die Bestürzung ist groß. Neben der Betroffenheit tritt bei manchen gar die Schockstarre ein. Da verlässt einer – angeblich so überraschend – aus der obersten Etage der Katholischen Kirche, die Kirche, die sein Lebenselixier ist. Und dazu noch ein Priester. Die üblichen Fragen, die absolut nicht neu sind: Jemand geht, warum bleibe ich? Kann es sein, dass die Gehenden bleiben und die Bleibenden gehen? So drückt es der Hammer Pfarrer Bernd Mönkebüscher aus. Sturm bringt sein Buch mit dem Titel „Ich muss raus aus dieser Kirche“ beim Herder Verlag heraus. Bei manchen wendet sich dann das Blatt mit hämischen Bemerkungen. Hat er den Austritt schon lange geplant und inziniert? „Er wird sich nicht an das Zölibat gehalten haben“, mutmaßen manche. Schon lange schreibt Sturm seine Gedanken auf. Jetzt wird er gefragt worden sein, ob er es nicht als Buch herausbringt.

    Diese konkrete Geschichte vor Augen, sie darf nicht untergehen. Hauptberufliche pastorale MitarbeiterInnen, Priester und Diakone, sie alle sollen nicht schweigen! Warum können wir nicht offen über die Ungerechtigkeiten in der Katholischen Kirche sprechen? „Immer diese Reizthemen“, kommt zurück. Ja, die genau sind es, die Menschen auf lange Sicht hin kaputt machen. Oder sie werden davon noch angezogen, um sich nicht wirklich entscheiden zu müssen. Im System bleiben, um etwas ändern zu können? Das habe ich vor 30 Jahren schon gemacht. Gut, dass es solche Menschen wie Andreas Sturm gibt, die eine Ent-Scheidung fällen und dies öffentlich machen. Trotz aller Widersprüche. Mehr im SWR Interview…

  4. Thomas Kreiss sagt:

    Das System läuft weiter… Was hält einen noch?

    Ich könnte spontan mehr als dreißig Namen nennen von Kollegen, die sich während meiner Zeit als Priester aus dem Dienst in der römisch-katholischen Kirche offiziell verabschiedet haben, nicht nur Kapläne nach drei Dienstjahren, weil es eine Freundin oder einen Freund gab, sondern auch welche aus den „höheren“ Ebenen, darunter zwei Direktoren des Borromäums (für Nichtmünsteraner: Das ist/war das Theologenkonvikt während des Studiums, anschließend kam man früher ins Seminar), einige Subdirektoren, ein Subregens, mein Heimatpfarrer, ein Kaplan aus meiner Heimatgemeinde und viele mehr, ein Professer für Neus Testament und auch ein guter Freund von mir, bei dem ich die Primizpredigt gehalten hatte. Ich habe einen Weihbischof erlebt, der mir unter Tränen erzählt hat, dass ein Pfarrer, mit dem er guten Kontakt hatte, heiraten wollte – zwei oder drei Wochen später hat er dann in einer Predigt den Segen des Zölibats verkündet. Das alles geht mir durch den Kopf im Blick auf den aus dem Dienst geschiedenen Generalvikars des Bistums Speyer. Und nicht zu vergessen: Die KollegInnen in den „weihelosen“ Diensten, die aus Frust oder warum auch immer aus dem Dienst geschieden sind.

    Die Bistumsleitung hat das jedes Mal ausgesessen. Früher wurde es oft mit dem Kommentar quittiert: Da ist bestimmt auch was im Gebetsleben fehlgelaufen (wer regelmäßig Brevier betet, kann den Zölibat halten), später gab es oft auch freundliche Worte zum Abschied. Während die ausgeschiedenen Kollegen ganz früher wenigstens als Religionslehrer arbeiten konnten, wurde diese Möglichkeit dann unter Johannes Paul II. (meine ich) genommen, um den Ausstieg schwerer zu machen. Was für eine Menschenverachtung, die daraus sprach. Nochmal: Das hat zu absolut keiner Veränderung geführt, zu keinem Umdenken. Man hat weitergemacht wie immer. Die Gründe wurden völlig individualisiert, die Kollegen oft auch in den Gemeinden abgewertet und verächtlich gemacht (der Berufung untreu geworden), es war oft ein Spießrutenlauf.

    Niemand aus der Leitung hat jemals die Systemfrage gestellt. In der Ausbildung hat man noch mehr Wert auf Begleitung und auch Kontrolle gelegt, nicht nur, um den Studenten bei der Entscheidungsfindung zu helfen, sondern um die „Aus-Fallzahlen“ zu reduzieren (was nichts gebracht hat), Supervision wurde in Frage gestellt, weil nach solchen Prozessen manchmal auch Kollegen gegangen sind (ja, wozu leisten wir uns das denn, wenn es auch nichts bringt, so wiederum der Originalton eines “Hierachen“). Und in Speyer wird am gleichen Tag des Ausschieds der neue Generalvikar präsentiert: Schaut her, das System läuft weiter. Die Rechtskatholiken jubeln, verpackt in eine Art “Respekt“, den sie ansonsten meistens vermissen lassen.

    Der Ausstieg des Generalvikars aus Speyer mag spektakulär gewesen sein. Das System sorgt in Windeseile dafür, dass es völlig veränderungsfrei weiter funktioniert. Um wirklich jeden Preis. Und die Frage wird drängender, für mich und auch für nicht wenige, die ich kenne, was einen noch hält?

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