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Gefängniswelt mehr von Außenwelt abgeschottet

2. Juni 2020

Das Coronavirus sorgt in den Gefängnissen für massive Einschränkungen. So können Inhaftierte seit zwei Monaten keine Besuche mehr empfangen, es sei denn, es geht um ihre Verteidigung, wichtige Befragungen oder Vernehmungen. Auch alle Freizeitangebote in den Justizvollzugsanstalten (JVA) des Landes sind ausgesetzt. Bislang sind in Baden-Württemberg sechs Gefangene an Covid-19 erkrankt, alle in der JVA Mannheim, der Verlauf war in allen Fällen glimpflich.

„Das ist schon eine massive Einschränkung“, beschreibt der Freiburger JVA-Leiter Michael Völkel die Lage. „Wir haben den Betrieb fast komplett heruntergefahren.“ Schließlich sei die Ansteckungsgefahr in der Enge eines Gefängnisses massiv. Laut Anna Härle, Sprecherin des Landesjustizministeriums, gehört „ein Großteil der Gefangenen“ mit Vorerkrankungen und Drogenmissbrauch zur Risikogruppe.

In südbadischen Anstalten bislang keine Corona-Fälle

In den Gefängnissen wurden Krisenstäbe gebildet, das Personal wurde in separat arbeitende Teams eingeteilt, damit der Betrieb weiter laufen kann, sollte es in einem Team Infektionen geben. Während sich in den südbadischen Anstalten bislang kein Insasse mit dem Coronavirus angesteckt hat, gab es unter den Beschäftigten der Gefängnisse im Land bislang Corona-Fälle „im mittleren zweistelligen Bereich“, bestätigt das Justizministerium. Unberührt von den Einschränkungen ist der tägliche Hofgang. Allerdings sei es mangels Personal nicht möglich, ihn in verschiedene Gruppen aufzusplitten, sagt Völkel. „Das Allerschlimmste ist, dass nicht nur Gefangene unter dem Besuchsverbot leiden, sondern insbesondere die Angehörigen“, teilt ein Freiburger Gefangener mit, dabei stellten sie und Freunde „einen sehr wichtigen Teil der Resozialisierung“ dar.

In Zukunft werden Besuche hinter einer Trennwand und per Skype möglich sein. Die Umbauarbeiten laufen. „Das ist wie in Amerika. Man kommuniziert mit Sprechanlage hinter Plexiglas“, kommentiert ein Bediensteter. „Die Wände könnten jederzeit wieder abgebaut werden“, sagen die Verantwortlichen. Doch danach sieht es nicht aus.

Hinzu kommt, dass alle Mannschaftssportarten untersagt und die von Ehrenamtlichen angebotenen Freizeitgruppen ausgesetzt sind. Auch Physio- und Ergotherapeuten, die nicht fest zum JVA-Personal gehören, müssen vorerst draußen bleiben. Selbst die Drogenberatung für die suchtkranken Häftlinge war bis vergangene Woche vom Zugangsverbot betroffen. Nur wer dringend therapeutisch gebraucht wird, darf die Anstalt betreten. Geschlossen wurden auch das Bildungszentrum, Betriebe und Werkstätten. Für die Inhaftierten bedeutet Letzteres: Sie haben keine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Inzwischen haben die Abschluss-Schulklassen wieder den Unterricht aufgenommen und Betriebe wie die Schneiderei, die Tausende von Schutzmasken für den eigenen Bedarf und die Uniklinik Freiburg angefertigt hat, wieder geöffnet.

Landesregierung hat Ersatzfreiheitsstrafen ausgesetzt

Um mehr Platz in den Gefängnissen zu schaffen, hat die Landesregierung Ersatzfreiheitsstrafen (Geldstrafen, die durch Haft abgegolten werden), Erzwingungshaft (wenn ein Zeuge die Aussage verweigert, obwohl er aussagen muss) und Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten ausgesetzt oder unterbrochen. Für die JVA Freiburg mit ihren Außenstellen Emmendingen und Lörrach bedeutet dies: Statt der 721 Insassen zum selben Zeitpunkt des Vorjahres sind aktuell nur 648 in Haft. „Diese freien Kapazitäten waren dringend notwendig“, sagt Völkel. Nur so sei es möglich, Sicherheitsabstände einzuhalten. In der Praxis sei die Einhaltung aber kaum zu kontrollieren, wer Shakehands machen wolle, der mache das, auch wenn auf allen Stockwerken die Regeln in mehreren Sprachen aushingen. Größere Disziplinlosigkeiten seien bislang ausgeblieben. Schutzmasken würden aber wenige Inhaftierte tragen. Mehrfachbelegungen in Zellen gibt es indes weiterhin, „da spricht nichts dagegen, und das wünschen sich viele Gefangene auch“, sagt Anstaltsarzt Andreas Teichmann.

Solidarität der Gefangenen untereinander ist gewachsen

Natürlich habe es anfangs Unmutsäußerungen gegeben, sagt Völkel. Aber je mehr schlechte Nachrichten, etwa aus dem Elsass und Italien, die Gefangenen erreichten, desto mehr sei ihre Akzeptanz der Einschränkungen gewachsen. Teichmann hat beobachtet, dass die Rücksichtnahme wachse – „Angst führt zu Solidarität; man hat das Gefühl, man ist mit allen anderen in einem Boot“. Inzwischen denkt man im Gefängnis über Lockerungen nach. „Wir können nicht die ganze Zeit runtergefahren bleiben“, weiß Völkel. Wann das Besuchsverbot aufgehoben wird, ist unklar, sagt Ministeriumssprecherin Härle. Bis dahin versucht die JVA Freiburg, den Inhaftierten Zeitfenster „mit begrenztem Umfang“ zum Skypen anzubieten. Klar ist: Auf lange Sicht führen die massiven Einschränkungen der Haftbedingungen zu Spannungen. „Deshalb müssen wir immer wieder neu planen und tagesaktuell reagieren“, sagt Gefängnisarzt Teichmann.

Frank Zimmermann | Mit freundlicher Genehmigung: Badische Zeitung

 

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