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Gefängnisseelsorge in Lettland geprägt von sowjetischer Zeit

16. Februar 2021

Von den 2,7 Millionen Einwohnern Lettlands sind ungefähr 430.000 römisch-katholisch. Etwa 5800 Menschen sind in Lettland inhaftiert, davon ca. 400 Frauen. Es gibt 12 Gefängnisse, davon befinden sich vier in der Hauptstadt Riga. Die Kirche gliedert sich in ein Erz- und drei weiteren Bistümer auf. Es gibt 279 Pfarreien, die von ca. 150 Priestern betreut werden. In der katholischen Gefängnisseelsorge sind ca. 20 Personen involviert, sowohl Kleriker als auch Nichtkleriker, die meisten sind ehrenamtlich tätig. Verantwortlich für den Aufbau und die Koordination ist Martin Kruklis, einem Laien, der dies neben seinem Hauptberuf als Künstler ohne Bezahlung versucht zu bewerkstelligen. Drei halbe Tage in der Woche verbringt er im Zentralgefängnis in Riga, um dort pastorale Arbeit zu leisten.

In den letzten Jahren engagieren sich zunehmend Laien in sozialen oder sozial-pastoralen Bereichen wie Suchthilfe und Familienförderung. Dies ist eine erfreuliche Entwicklung, da die Kirche in Lettland noch sehr klerikal geprägt ist. In der Diözese Liepaja, die den Südwesten Lettlands umfasst, machen die Katholiken eine Minderheit von nur 10% aus. Auf dem Gebiet der Erzdiözese Riga sind 18% katholisch, im Süden des Landes (Diözese Jelgava) 24,4%. Nur in der Region Lettgallen im Osten des Landes sind die Katholiken tief verwurzelt. Die Regionalsprache Lettgallisch ist eng mit der Kirche verbunden. Die wichtigsten Glaubensgemeinschaften in Lettland sind die evangelisch-lutherische Kirche Lettlands, die katholische Kirche und die russisch-orthodoxe Kirche. In Lettland gibt es eine jüdische Synagogengemeinschaft. Seit der Reformation im 16. Jahrhundert dominiert die evangelisch-lutherische Kirche, die im evangelischen Kontext als sehr konservativ gilt. Die deutsche evangelisch-lutherische Kirche ist mit fünf Gemeinden vertreten. Außerdem gibt es den Baptistenbund, die evangelisch-methodistische Kirche und eine kleine Gemeinschaft von Adventisten. Etwa 380.000 bis 400.000 der russischsprachigen Bevölkerung gehören der Russischen Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) an. In Lettland gibt es daneben ca. 70 altorthodoxe (altgläubige) Gemeinden. Das ökumenische Klima in Lettland ist sehr freundlich und gilt als beispielhaft, da sich die Vertreter sowohl der katholische wie auch der protestantischen und die orthodoxen Kirche aufgrund ihrer weltanschaulich ähnlichen Ansichten sehr gut verstehen.

Blick auf die Decke aus Metallgeländer es ehemaligen KGB Gefängnisses im lettischen Riga. Der sowjetische In- und Auslandsgeheimdienst bestand von 1954 bis 1991.

Auf Spenden angewiesen

Der lettische Staat stellt nur wenig Geld für die Bezahlung der Gefängnisseelsorger zur Verfügung, das sich alle Konfessionen teilen müssen. Im Zentralgefängnis von Riga sind ein Lutheraner und ein Adventist hauptamtlich Teil der Personals Ihr Gehalt beträgt umgerechnet ca. 400 € pro Monat. Eine Sachmittelausstattung gibt es gar nicht. Im Gespräch mit Erzbischof Stankevics wurde deutlich, dass die lettische Kirche kein Geld für Gefängnisseelsorge hat und auf Spenden aus der Bevölkerung sowie aus dem Ausland angewiesen ist. Seit 2012 wird der Aufbau der Gefängnisseelsorge in Lettland durch Renovabis  finanziell gefördert. Der Erzbischof stellt ein Haus zur Verfügung, das für Menschen „mit sozialen Schwierigkeiten“ offen steht.

Es ist ein Selbsthilfeprojekt für Drogen- und Alkoholabhängige und Ex-Inhaftierten. Es finanziert sich ausschließlich durch Spenden und ist in einem erbärmlichen Zustand. Die Menschen dort versuchen, das Haus mit ihrer eigenen Hände Arbeit wieder instand zu setzen. Das Zentralgefängnisses von Riga beherbergt ca. 1300 Gefangene, von denen ca. 150 arbeiten. Die Gebäude stammen noch aus der Zeit der sowjetischen Besatzung und scheinen seitdem nur wenig instandgesetzt worden sein. Außer lebenslanger Freiheitsstrafe werden dort alle Strafarten bei Männern vollstreckt. Der Pfortenbereich des Gefängnisses ist im Innern dunkel gestrichen, die Scheibe zu dem Pfortenbediensteten ist nicht bzw. kaum aufgrund einer Verspiegelung einsichtig, so dass erst nach ein paar Minuten der Gewöhnung Menschen schemenhaft hinter der Scheibe erkennbar werden. Dies erzeugt ein Gefühl von Verunsicherung.

Historisches Unverständnis

Auffallend bei dem Rundgang durch die Anstalt ist, dass das Personal sich nicht anschaut und untereinander nicht grüßt. Kein Mensch dort lächelt. Dies hat sicherlich Auswirkungen auf die Atmosphäre und den Umgang mit den Gefangenen. In einem Hafthaus der „offenen“ Abteilung kam es zu einer Begegnung mit dem Gefangenen, der die Bücherei leitet. Ein echtes offenes Gespräch war durch die Anwesenheit des Bediensteten nicht möglich. Danach besichtigten wir die Anstaltsküche und kosteten das Mittagessen. Es gab Borschtsch Suppe, die traditionell mit Roter Bete oder Weißkohl zubereitet wird. Die Herkunft des Wortes „Borschtsch“ beziehungsweise „Barszcz“ liegt höchstwahrscheinlich im slawischen Namen für das Kraut Bärenklau. Die Küche wird von einem Inhaftierten geleitet, der vom Personal kontrolliert wird. Über dem Eingang der Küche hängt ein Emaille Schild mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“ in schwarzer altdeutscher Schrift. Darauf ist man dort stolz. Meine Reaktion – Unverständnis mit dem Hinweis auf die historische Bedeutung des Satzes – wurden weder vom Personal noch von den Gefangenen verstanden. Offenbar gibt es kein geschichtliches Bewusstsein. Auch meine Erwähnung dieses Umstandes bei einem späteren Austausch mit dem Anstaltsleiter ließ lediglich ein Achselzucken erkennen.

Nach der Unabhängigkeit 1991 wurde die vom Jugendstil geprägte Altstadt von Riga zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Die Stadt ist eine Architekturperle, in der an einem Ort Kirchen aus den Anfängen und mittelalterliche Gebäude der Altstadt zu sehen sind.

Gefängnispersonal ausbilden

Momentan gibt es zwölf Gefängnisse in Lettland, von denen zwei Strafvollzugsanstalten für den offenen Vollzug sind. Hier dürfen die Inhaftierten tagsüber das Gefängnis verlassen, um weiter ihrem Beruf nachgehen zu können. Einen eigenständigen Jugendstrafvollzug gibt es nur für männliche minderjährige Verurteilte. In der hierfür vorgesehenen Erziehungsanstalt für Minderjährige in Cēsīs, etwa 90 km nordwestlich von Riga, befinden sich stets zwischen 60 bis 100 Jugendliche. Für weibliche Jugendliche gibt es keine eigene Strafvollzugseinrichtung. Sie werden mit den straffälligen Frauen gemeinsam im Frauengefängnis in Riga  untergebracht (Bezirk Iļğuciema).

Die Probleme im Personal seien der lettischen Regierung bekannt. Derzeit werde ein neues Gefängnis gebaut, in dem ausschließlich ausgebildetes Personal tätig sein soll. Der lettischen Regierung sei es wichtig, die europäischen Mindeststandards in den Gefängnissen in der Zukunft umzusetzen. Ihr sei die Bedeutung der pastoralen Arbeit im Gefängnis bewusst. Allerdings seien die finanziellen Mittel sehr beschränkt. Sie vermittelte den Eindruck, ein gutes Verhältnis zur katholischen  Gefängnisseelsorge zu pflegen und diese im Rahmen ihren finanziellen Mitteln zu unterstützen. Insgesamt sei ihr klar, dass eine Veränderung in der Haltung des Personals mindestens eine Generation betrage. Zudem fange der Staat an, andere Berufsgruppen wie Psychologen und Sozialarbeiter vermehrt einzustellen. Die Bezahlung des uniformierten Personals ist sehr gering. Mit  300 € pro Monat haben viele noch einen zweiten Job.

Partnerschaft mit Lettland

Seit etwa 2014 hat die Arbeitsgemeinschaft International der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V. eine Partnerschaft zwischen der Gefängnisseelsorge in Lettland und ihrem gemeinnützigen und kirchlichen Verein aufgebaut. Es besteht eine Kooperation zwischen den Partnern, die sich als Austausch in der Praxis mit Begegnungsreisen und gemeinsame Workshops auch virtuell ausdrückt. „Der Besuch vor ein paar Jahren in Lettland hat mich sehr beeindruckt“, sagt der Vorsitzende Heinz-Bernd Wolters. Hier gebe es noch viel Nachholbedarf sowohl in Fragen der Unterbringung von Häftlingen als auch im besonderen bei der Gefängnisseelsorge. „Die Kirche versucht, sich zu engagieren. Aber sie ist dabei erst ganz am Anfang.“ Die deutsche Gefängnisseelsorge möchte bei der Aufbauarbeit unterstützend tätig sein.

Aus dem Reisebericht nach Lettland von Martin Schmitz

 

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