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Gefängnispfarrer Harald Poelchau: Der Mann, der 1000 Tode starb

20. Juli 2023

Zum 100. Geburtstag ehrte die Stadt Potsdam den dort geborenen Gefängnispfarrer Harald Poelchau (1903-1972), der als evangelischer Geistlicher in der Zeit des Nationalsozialismus etwa 1200 zum Tode Verurteilte seelsorgerisch betreute und auf ihrem Gang zur Hinrichtungsstätte begleiten musste. Darunter befanden sich kommunistische und sozialdemokratische Widerständler, Mitglieder der Gruppe „Rote Kapelle“ und Männer des 20. Juli 1944.

Letzten Beistand hat er auch Helmuth James Graf von Moltke, der am Potsdamer Realgymnasium sein Abitur abgelegt hatte, und Peter Graf Yorck von Wartenburg geleistet, den führenden Köpfen des „Kreisauer Kreises“. Sie waren Poelchau schon vor ihrer Verhaftung persönlich vertraut, hatte der Pfarrer doch selbst in der kulturpolitischen Sondergruppe der Vereinigung mitgewirkt, die an einer umfassenden Gesellschaftskonzeption für ein Deutschland nach Hitler arbeitete, ohne zunächst dessen gewaltsame Beseitigung zu planen. Poelchau traf sich in Moltkes Berliner Wohnung ebenfalls mit dem Pädagogen Adolf Reichwein, der nach seiner Verbannung aus dem Staatsdienst im märkischen Tiefensee eine Reformschule aufgebaut hatte. Auch er wurde im Oktober 1944 gehängt.

Gefängnispfarrer in Berlin-Tegel

Nach Reichwein ist heute ein Preis der Potsdamer Waisenhausstiftung für innovative pädagogische Projekte benannt. Die Verhafteten gaben den Namen von Harald Poelchau nicht preis, so dass er seine Tätigkeit im Tegeler Gefängnis bis zum Kriegsende fortsetzen konnte. Der am 5. Oktober 1903 in Potsdam als Sohn eines Hilfspredigers Geborene verlebte seine Kindheit in Brauchitschdorf (Schlesien), wo sein Vater die Pfarrstelle übernommen hatte. Nach dem Besuch der Ritterakademie in Liegnitz und dem Studium der Theologie wurde er 1933 als Gefängnispfarrer in Berlin-Tegel angestellt. Damals „zeigte sich, dass man nur noch an einer Stelle in Freiheit arbeiten konnte, in der Kirche, die sich nicht gleichschalten ließ, und dass man nur an einer Stelle sicher war, im Gefängnis“, schrieb er dazu rückblickend.

Überbrachte Nachrichten

Schon früh hatten ihn die starken sozialen Gegensätze in seinem Heimatdorf belastet; als Student wandte sich Poelchau dann unter dem Einfluss seines Marburger Universitätslehrers Paul Tillich dem „religiösen Sozialismus“ zu, in dem der Mensch seine Persönlichkeit in einer neuen, von christlichen Werten bestimmten Kultur frei entfalten sollte. Damit richtete sich diese Bewegung gegen die „Entpersönlichung und Verdinglichung des Menschen“. Was Harald Poelchau dagegen tun konnte, tat er auch im Gefängnis. In einer Zeit, wo die Nationalsozialisten den zum Tode verurteilten politischen Gefangenen oftmals selbst den geistlichen Zuspruch verwehrten, nahm diese Tätigkeit konspirative Züge an. So schmuggelte Poelchau Briefe an die Angehörigen aus dem Gefängnis und half beim Dechiffrieren. Oft suchte er die Familien persönlich auf, überbrachte Nachrichten und warnte sie vor drohender Verhaftung.

Männer des 20. Juli 1944

In Vertretung für den Frauentrakt eingesetzt, musste er den dort inhaftierten Ehepartnerinnen der Männer des 20. Juli 1944 die Hinrichtungsnachricht überbringen, konnte sie aber auch über das Schicksal ihrer verschleppten Kinder informieren. Der Pfarrer half auch außerhalb des Gefängnisses. Er verbarg jüdische Flüchtlinge und politisch Verfolgte, verpflegte sie und besorgte ihnen falsche Pässe. Zu seinen Helferinnen zählte u.a. die Potsdamer Predigerwitwe Mathilde Schneider, die in ihrer Wohnung in der Siedlung Schillerplatz (Friedrichstadt) auf Bitten Poelchaus eine Frau versteckte und über den Krieg brachte. Sie selbst, die den letzten Bissen Brot mit Bedrängten teilte, starb nach dem Krieg an Unterernährung. Der Potsdamer Stadthistoriker Hartmut Knitter hat Mathilde Schneider dem Vergessen entrissen und dafür gesorgt, dass heute eine Straße im Potsdamer Wohngebiet Kirchsteigfeld ihren Namen trägt.

Harald Poelchau, der nach dem Krieg an der Reform des Strafvollzuges in der Sowjetischen Besatzungszone beteiligt und dann Sozialpfarrer in (West-)Berlin war, hat drei Bücher über sein Leben und seine Tätigkeit hinterlassen: „Die letzen Stunden“ (1949, mit Graf Alexander Stenbock-Fermor), „Die Ordnung der Bedrängten“ (1963) und „Der Mann, der tausend Tode starb“ (1972, mit Werner Maser). Letzteres Buch beschreibt fundiert die Situation der Gefängnisse in der Nationalsozialistischen Zeit. In der Literatur findet man dazu wenig. Deshalb ist dieses Taschenbuch, das 1986 im Moewig Buchverlag in Rastatt erschien, so wertvoll. Es kann noch im Antiquariat erworben werden.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors: Erhart Hohenstein

 

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