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Wenn der Knast allzu fromm machen kann

30. März 2019

Wer im Gefängnis sitzt, hat viel Zeit, über seine Schuld nachzudenken. Christliche und zunehmend auch muslimische BetreuerInnen hören den Gefangenen zu. Bei allzuviel plötzlicher Begeisterung für den Glauben reagieren die GefängnisseelsorgerInnen und muslimische Religiöse BetreuerInnen jedoch zurückhaltend.

Samet Er – männlich, muslimisch, jung – kennt sich mit Vorurteilen aus. Und er nimmt sie mit Humor. Als muslimisch religiöser Betreuer ist er in Niedersachsen für Häftlinge in 17 Anstalten zuständig. „Dass ein Muslim nicht als Gefangener, sondern als Betreuer ins Gefängnis kommt, ist für die meisten ganz neu“, erzählt der 28-jährige islamische Theologe mit einem leichten Lächeln. Und zwar sowohl für die Gefangenen als auch für Aufsichtspersonal. „Meistens werde ich zunächst automatisch als Gefangener behandelt“, berichtet der Seelsorger. Einmal musste er 40 Minuten vor den Gefängnismauern ausharren, bevor man ihm erlaubte, die Anstalt zu betreten. „Da wurde das Justizministerium konsultiert, damit ich überhaupt reinkam.“

73.000 Menschen in Deutschland in Haft

Solche Probleme kennt Friederike Hasse – weiblich, christlich, grauhaarig – nicht. Die evangelische Pfarrerin betreut seit Jahren straffällig gewordene Frauen in den Berliner Justizvollzugsanstalten. Beim Berliner Verein „Forum Dialog“ erzählten der Muslim und die Protestantin jetzt über ihre unterschiedlichen Erfahrungen.

Während die Gefangenenseelsorge bei den Christen eine lange Tradition hat, befindet sie sich bei den Muslimen noch im Aufbau. Rund 73.000 Menschen sind nach aktuellen Zahlen zurzeit in Deutschland inhaftiert, darunter 4.000 Frauen. Bei den inhaftierten Frauen ausländischer Herkunft in Berlin ist der Anteil der Muslime gering, unter den ausländischen Häftlingen in Niedersachsen sind sie dagegen die größte Gruppe, wie die beiden Experten berichten.

Bei ihrer Arbeit sei vor allem wichtig, sich bewusst zu machen, dass „der Mensch Bürger bleibt, obwohl er Gefangener ist“, betont Pfarrerin Hasse. Eine menschenwürdige Behandlung und die Möglichkeit, in der Haft etwas zu lernen oder zu arbeiten, ist ihrer Erfahrung nach das beste Mittel, weiteren Straftaten vorzubeugen. Eine Einstellung, die auch muslimische Kollege Er teilt. Dabei zitiert der junge Mann im blauweißkarierten Hemd den Koran: „Der Prophet sagt, dass man Menschen, die Unrecht begehen, davon abhält, weiteres Unrecht zu begehen, wennman ihnen hilft.“

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Genau das sei auch seine Motivation: Es gelte, vorhandene Aggressionen in eine positive Richtung zu lenken und den Gefangenen im Hinblick auf die Zukunft außerhalb des Gefängnisses etwas an die Hand zu geben. „Ich bin 28 Jahre alt, mir ging es mein ganzes Leben lang gut“, sagt Samet Er. „Im Gefängnis spreche ich manchmal mit Menschen, die dieses Gefühl noch nie kennengelernt haben.“ Manche weinen einfach minutenlang. Da sein, zuhören, die Gewissheit geben, dass das Beichtgeheimnis gewahrt bleibt: Die Seelsorger beider Religionen finden in ihrer Arbeit dieselben Dinge wesentlich. Rechtlich ist es noch nicht gleichgestellt.

Plötzliche Frömmigkeit oder lehrt Not beten

Vor allem sollten die Frauen den Gefängnisgottesdienst freiwillig besuchen, betont Hasse. „Manche wollen sich am liebsten sofort taufen lassen. Da sage ich dann erstmal: nun mal sachte.“ Die gefangenen Frauen stünden schließlich in einem Abhängigkeitsverhältnis. Zudem sei ein Gefängnisaufenthalt relativ „reizarm“. Das Angebot der Seelsorge werde auch deshalb gerne angenommen, weil es sonst wenig Abwechslung gebe. „Es ist quälend, wenn man nur die Wände anstarrt.“ Auch von den muslimischen Männern, die er betreut, kennt Kollege Er das Phänomen einer plötzlichen Frömmigkeit im Knast. „Meistens sind das religiöse Analphabeten.“ Diese seien besonders gefährdet, sich im Gefängnis zu radikalisieren, wenn sie nichts zu tun hätten und an die falschen Personen gerieten. „Die saugen das, was man ihnen erzählt, auf wie ein Schwamm. Wenn dann noch einer der Bediensteten sagt: ‚Scheiß-Ausländer‘, ist die Sache gelaufen.“

Seine Aufgabe sieht Samet deshalb auch darin, zwischen Inhaftierten und Bediensteten zu vermitteln, etwa Islam-Kurse für die Angestellten anzubieten, um sie über die Religion aufzuklären: Ein Justizvollzugsbeamter sollte einen Muslim, der in seiner Zelle in Richtung Mekka betet nicht automatisch als potenziellen Terroristen einstufen.

Nina Schmedding

 

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