Selbst Gebirgsfelsen sind nicht mehr das, was sie mal waren. Das ist deutlich geworden, als ein gewaltiger Erdrutsch aus Schlamm, Eis und Geröll das schweizerische Bergdorf Blatten im Lötschental im Kanton Wallis verschlang. Zehn Millionen Tonnen Gestein vom bröckelnden Kleinen Nesthorn fielen auf den Birchgletscher und brachten ihn zum Einsturz. Dabei donnerten gewaltige Schuttmassen den Berg hinunter. Galt ein Fels nicht als Bild von Beständigkeit und Stabilität? Gibt es den Felsen in der Brandung nicht mehr?

Der Chor der Kapelle St. Niklausen im Kanton Obwalden ist mit einem mittelalterlichen Freskenzyklus von 1370 gestaltet, die Walmdecken sind mit Barockmalerei von 1704 geschmückt.

Gegend um Flüeli-Ranft (Schweiz) mit der Klaus-Kapelle. Der Fels steht an der Kapelle Mösli des Bruder Ulrich.
Daran habe ich denken müssen, als ich die Geschichte gelesen habe, in der ausgerechnet der Petrus als Felsen bezeichnet und betitelt wird. Jesus steht mit seinen Jungs irgendwo in einem gottverlassenen Kaff und stellt plötzlich diese Frage, wie sie sonst nur in schlechten Soap-Operas auftaucht: „Und ihr so? Für wen haltet ihr mich?“
Ausgerechnet der…
Und dann kommt Simon, der Fischer: „Du bist der Messias, Sohn des lebendigen Gottes.“ Gut gemacht, Schulterklopfen, Fleißkärtchen im Religionsunterricht. Könnte man meinen. Aber die Geschichte geht anders weiter. Jesus macht aus Simon kurzerhand Petrus – den Felsen. Und nicht nur das. „Auf dich bau ich meine Kirche“, sagt er. Also wirklich: ausgerechnet Petrus! Den Mann, der später dreimal sagt, dass er Jesus gar nicht kennt. Das ist ein bisschen so, als würde man den salzarmen Karl Lauterbach zum Partyscout im Bierkönig machen. Warum also gerade den?
Vertrauen trotz allem
Vielleicht: Weil er ehrlich ist. Und weil er bleibt. Auch wenn er selbst merkt, dass er es nicht immer gebacken kriegt. Das macht ihn – paradox, aber wahr – zum perfekten Fels für eine Welt, in der man sich heute vermeintlich auf Insta eine personality zusammenklicken kann. Diese Zeit ist seltsam und anstrengend. Vieles löst sich auf: Beziehungen, Ideale, Festnetznummern. Du kannst heute nicht mal mehr sicher sein, dass der amerikanische Präsident morgen noch dasselbe sagt wie gestern. Und genau da sagt dieser uralte Text etwas radikal Relevantes: Verbindlichkeit ist sexy. Petrus ist kein Insta-Held. Der ist vorlaut. Der versagt. Der zweifelt. Und trotzdem – oder gerade deswegen – bekommt er Vertrauen geschenkt. Man könnte sagen: Jesus traut ihm mehr zu, als Petrus sich selbst. Ist das nicht großartig? Das könnte sich übrigens mal die ein oder andere Führungskraft hinter die Ohren schreiben. Vertrauen zu geben, bevor jemand etwas geleistet hat. Das klingt nach einem ziemlich göttlichen Konzept.
Bleiben wenn es ungemütlich wird
Und vielleicht liegt genau darin die Bedeutung der Geschichte für heute. Ein Fels zu sein, das bedeutet: Nicht unerschütterlich sein, sondern verlässlich. Nicht perfekt, aber greifbar. Nicht laut, aber da. So wie einer, der nach einer Trennung einfach mit Pommes vorbeikommt, ohne zu fragen. Oder die Lehrerin, die an dich glaubt, obwohl du das Abi nur mit Glück bestehst. Der Fels ist nicht der Typ, der alles weiß. Sondern der, der bleibt, wenn’s ungemütlich wird. Und wenn uns gerade irgendwas fehlt – zwischen all dem Krawall in der Welt, Kalenderstress und Identitätskrisen – dann genau das: Menschen, die sagen: Eins kann ich. Ich bin da.
Peter Otten