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Es sind mystische Erfahrungen von Menschen

6. März 2023

Es gibt Erfahrungen, von denen zu berichten schwerfällt. Da fehlen die Worte. Mir geht es so nach einem Schweigeretreat, einem Rückzug aus gewohnter Umgebung; danach kann ich kaum sagen, wie es mir darin erging. Aber auch schon ein Besuch in der Oper lässt mich eigenartig verstummen; eher kommen am Ende Tränen als Worte. Das sind Erfahrungen großer Intimität.

Manchmal erfahre ich es auch in den Begegnungen mit Menschen in der Klinik, wo Schmerz, Besorgnis und Angst in einem tiefen Vertrauen getragen werden. Oder in der Freundschaft, wenn leidvolle Momente miteinander ohne Worte gehalten sein können. Das sind Erfahrungen großer Intimität, die tief berühren – sie vereinen Ausgesetztsein mit Aufgehobensein, Licht und Dunkel, Schrecken und Freude. In ihnen wird für den Moment Leben in seiner schrecklich-schönen Vielfalt erfahrbar – und lebbar. Nur erzählen lassen sich diese Erfahrungen kaum. Sie wollen gelebt sein. Während Worte festmachen und bestimmen, ist diese Wirklichkeit eine fließende, die im Rhythmus lebendiger Vielfalt schwingt. Worte nennen die Dinge beim Namen, sie bestimmen und beherrschen, während das schweigende Darin-Sein sie klingen und wirken lässt. Diese Erfahrungen sind persönlich und doch nicht selbst gemacht, wörtlich: per-sonare, sie tönen hindurch, wie ein plötzliches, geschenktes Widerfahrnis.

Erfüllt sein und Angst

Es sind mystische Erfahrungen, in denen menschliche und göttliche Wirklichkeit in eins sind. Öfter berichtet die Bibel von Frauen und Männern, denen solche Erfahrungen zuteilwurden, und wie diese ihr Leben veränderten. So erzählt es das Matthäusevangelium auch von Petrus, Jakobus und Johannes in jener geheimnisvollen Begegnung gemeinsam mit Jesus auf dem Berg. In diesem Bericht von der Verklärung sind helles Licht und verdunkelnde Wolke, Erinnerung des Auszugs mit Mose, der das Volk aus der Knechtschaft führte, und Zukunftsvision mit Elija, der zum Himmel emporfuhr, Erfüllt sein und Angst, festhalten wollen und loslassen miteinander verbunden. Erst im Dunkeln ist zu erahnen, was Licht bedeutet. In seinem Buch „Ins Herz geschrieben – die Weisheit der Bibel als spiritueller Weg“ zitiert Richard Rohr den Jesuiten William Johnston mit den Worten: „Der Glaube ist der Durchbruch in jenen tiefen Bereich der Seele, der das Paradoxe in Demut annimmt“.

Loslassen anstelle von Festhalten

Manchmal erscheint es unmöglich, mit den dunklen Seiten des Lebens zu sein: der bedrohliche Klimawandel aufgrund vielfacher Zerstörung der Schöpfung, der brutale Krieg, entfacht in Machtgier, das Totalversagen der Kirche im Missbrauch, die eigene Schuld, die Krankheit, die alles bisher Erstrebte zusammenbrechen lässt, das Sterben, das plötzlich einbricht. Dann helfen weder Belehrungen noch ein Ankämpfen gegen das, was gerade ist. In den Geschichten menschlicher Erfahrungen der Bibel wird vielmehr davon erzählt, wie es ist, sich im Erleben der Dunkelheiten von ihnen verwandeln zu lassen. Jesu Aufforderung „erzählt niemanden davon“ weist in diese Richtung eines wirken Lassens jenseits des wörtlichen Festmachens. Nicht das Festmachen oder in den Griff bekommen lässt jenes geheimnisvolle Licht aufleuchten, sondern erst das Seinlassen, Loslassen, der Verzicht auf das beherrschen Wollen im Erfahren der Dunkelheit. Ein bewusstes Erleben jenes wortlosen Ausgesetztseins in Licht und Schatten mag auch helfen, in großer Dunkelheit nicht unterzugehen; es ist die verwandelnde Kraft in der Gewissheit, dass das Geheimnis des Lebens, das wir Gott nennen, nicht im Jenseits, sondern mitten in jedem Augenblick des Lebens ist.

Christoph Kunz

 

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