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Erinnerungskultur für die Gegenwart auf der Spur

17. Oktober 2018

Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft Jugendvollzug der evangelischen Schwesterkirche beschäftigte sich eine Woche mit „Erinnerungskultur“. Ihr jährliches Treffen führte sie an Erinnerungsorte nach Potsdam und Berlin.  Neben den Un-Orten des „Dritten Reiches“ gibt es dort Orte der Besatzungs- und der DDR Zeit. „Wenn es nicht mehr die Menschen sind, dann sind es die Steine, die uns die Erinnerung an Unmenschlichkeit wach halten“, so ein Teilnehmer frei nach dem Lukas-Evangelium (LK 19, 40). Mit dabei war Michael King als Vertreter der Katholischen Arbeitsgemeinschaft Jugendvollzug.

Begegnungsstätte Bonhoeffer-Haus

Erster Ort der Erinnerung war das Wohnhaus Dietrich Bonhoeffers. Ein unscheinbares und geschichtsträchtiges Haus in einer Villensiedlung inmitten Berlin-Charlottenburgs. Der evangelische Pfarrer und theologischer Lehrer Bonhoeffer (4.2.1906 – 9.4.1945) ist mit seiner Entscheidung dafür eingestanden, sich aus theologischen Gründen an der Konspiration gegen Hitler zu beteiligen. Seine in der Haft in Tegel entwickelten Gedanken mit ihren Anstößen, besonders in Situationen von Unrecht und Unterdrückung, ist in der heutigen Zeit für viele zu einem wichtigen Orientierungspunkt geworden. Bonhoeffers Wohnstube mit originalem Schreibtisch und dem orthodoxen Marienbild warfen Fragen auf und ließen die Teilnehmer die Person Dietrich Bonhoeffer nahe kommen.

Gedenkstätte Plötzensee

Die Gedenkstätte Berlin-Plötzensee ist ein Ort des stillen Gedenkens. Der zweite Ort im Nachgehen zu „Erinnerungskultur“. Zwischen 1933 und 1945 wurden hier fast 3000 Menschen nach Unrechtsurteilen der NS-Justiz hingerichtet. Der Raum, in dem die Hinrichtungen stattfanden, ist heute Gedenkraum mit einigen Geschichten der Menschen, die in diesem Teil des Gefängnisses hingerichtet wurden. Inmitten der Gefängnislandschaft zwischen Jugendgefängnis, Justizvollzugskrankenhaus und dem Erwachsenengefängnis und deren zweitürmigen Kirche, ist der Ort Stolperstein und mahnende Erinnerung.

Gedenkstätte Leistikowstraße

In der Leistikowstraße 1 in Potsdam befand sich von August 1945 bis zur Auflösung des KGB 1991 das zentrale Untersuchungsgefängnis der sowjetischen militärischen Spionageabwehr. Der dritte Besuchsort der Gruppe. Erst seit 2012 ist das Haus ein öffentlicher Gedenkort. In beklemmender Authentizität ist das 1945 von dem sowjetischen Geheimdienst beschlagnahmte Haus des Evangelischen Frauenhilfevereins – entgegen Kritik vieler – bis heute weder umgebaut noch verkauft worden. Erhaltene Haftzellen mit originalen Holzpritschen, zugemauerte Durchgänge und Fenster, massive Vergitterungen und Sichtblenden sowie die Reste der Sperranlagen und Fundamente der Freigangzellen zeugen von der einstigen Nutzung. An den Zellenwänden sind Inschriften erhalten, die eindrücklich unmenschliche Haftbedingungen und Isolation zeigen. Das Gefängnisareal befand sich im Kernbereich eines der wichtigsten sowjetischen Geheimdienststandorte in Deutschland, dem „Militärstädtchen Nr. 7“.

Erinnerung eines Zeitzeugen

Ein Zeitzeuge des DDR Unrechts, der die Gruppe von Gefängnisseelsorgern anderntags besuchte, führte auf andere Weise deutlich vor Augen, wie hautnah Erinnerungen werden können. Eckart Hübener (geb. 1953, im Bild rechts) wuchs in einer mecklenburgischen Pastorenfamilie auf und studierte Theologie. Er engagierte sich früh in der unabhängigen Friedensbewegung der DDR. Im Jahr 1980/81 besuchte Hübener polnische Oppositionelle. Er sah darin ein Zeichen des Aufbruchs und neuer Hoffnung.

Weil er Materialien, Broschüren, Aufkleber und Abzeichen der polnischen Gewerkschaft „Solidarność“ versteckt in die DDR mitbringen wollte, wurde er am 5. August 1981 in Stasi-Haft genommen: zunächst in Neustrelitz, anschließend in Berlin-Hohenschönhausen. Wegen „Zollvergehen“ ist er zu einer Haftstrafe von 15 Monaten verurteilt worden. Einem Freikauf als Häftling in den Westen und der damit verbundenen Ausbürgerung aus der DDR verweigerte er sich. Hübener ist heute als Rentner „mit Einbußen“ in der „Psychosozialen Beratung für Betroffene von Systemunrecht und Gewalt in der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone/DDR“ tätig. Über seinen „Vernehmer“ konnte Hübener nach der Wende mehr erfahren. „Ich sehe mich nicht als Opfer. Es ist besser ein gutes Rückgrat zu haben als sich verstellen zu lassen“, sagt der in sich ruhende 65-jährige und schaut aufmerksam in die Runde.

Heute sensibel und achtsam sein

Dass sich Unrechtsgeschichten oft wiederholen und Menschen politisch verfolgt und getötet werden, löste an allen Orten bei den Teilnehmern tiefe Betroffenheit aus. Und doch darf es bei der alleinigen emotionalen Betroffenheit nicht stehen bleiben. Sensibel und achtsam zu sein für heutige Ungerechtigkeiten und unterschwelligen Menschenrechtsverletzungen – eben auch im alltäglichen Dienst in einem Jugendknast – ist Aufgabe und Haltung zugleich.

 

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