Etwa seit 1985 war klar, dass Haus lll der Justizvollzugsanstalt Werl in Nordrhein-Westfalen wohngruppengerecht umgebaut wird. Erstmals sollte in einer JVA im Erwachsenenvollzug der sogenannte Wohngruppenvollzug praktiziert werden. Inhaftierte, die sich interessierten, wurden von Bediensteten an mich verwiesen. Ich hätte da wohl die meiste Ahnung; zumindest würde ich da am meisten drüber reden und Vorüberlegungen anstellen. Ich sah im Wohngruppenvollzug tatsächlich die Chance für Bedienstete und Inhaftierte, eine human-erträgliche und lebensfördernde Strafvollzugsform zu erproben und zu entwickeln, in der jeder, der wollte, seine soziale und persönliche Verantwortlichkeit trainieren kann.
Von Oktober 1987 bis zum Beginn des Wohngruppenvollzuges, bzw. der Eröffnung eines Teils dieses Bereiches trafen sich wöchentlich und an drei Wochenenden Inhaftierte, um ein Arbeitspapier zu erstellen. Es kostete Mühe, jedoch nicht allzu viel Zeit, bis allen klar war: Es ging nicht darum, der JVA oder den Beamten zu verklickern, was die zu tun haben, sondern das einzige Anliegen war, herauszuarbeiten und festzulegen, was die Bewohner – zunächst einer WG, später vielleicht mehrerer – sich zutrauten, worauf sie sich einigten als eine Art interne Häftlings- Ordnung. Die heftigsten Gegensätze zeigten sich bei der Frage nach der Häufigkeit der WG-Versammlungen, bis die Einigung lautete: Erstmal sollen sie wöchentlich stattfinden. Jeder Bewohner gab sein Wort, sich an die angenommene Ordnung zu halten. Die Leitung der Abende hatte der 1. WG-Sprecher, dem ein Vorstand zur Seite stand. Begleitet werden sollte die Arbeit von uns Seelsorgern, die kein Stimmrecht hatten. In der Gruppenordnung wurden viele Interna des Gruppenlebens geregelt. Sinn und Ziel war, soviel wie möglich in die eigene Hand zu nehmen und zu regeln, um nicht für alles die Anstaltsleitung bemühen zu müssen, vielmehr Eigenständigkeit, Selbstverantwortung, soziales Verhalten, Organisation des Alltags, erträglichen Umgang miteinander zu erproben und zu lernen, mündig zu leben.
Ernst Lauven
Geboren 1933, seit 1961 im priesterlich-seelsorglichen Dienst des Erzbistums Paderborn in mehreren Gemeinden sowie in der Kur-, Krankenhaus- und Strafvollzugsseelsorge bis 1996. 1974 Beginn der pastoralpsychologischen Weiterbildung in Klinischer Seelsorge-Ausbildung (KSA), 1987 Anerkennung als Pastoralsupervisor DGfP/KSA. Seit 1999 Lehrsupervisor DGfP/KSA sowie Mitarbeit in den Pastoralkursen im Erzbistum Köln.
Von 1987 bis 1996 arbeitete er in der nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalt Werl. Er war Mitglied im ehemaligen Arbeitskreis kritischer Strafvollzug e.V. Lauven wohnt seit seinem Ruhestand 1996 in Köln.
Humaner Strafvollzug
Diese Gruppe „WG 3“ wurde leider zum Vorzeigeobjekt der JVA. Jeder, der eine Chance für sich witterte, schmückte sich mit Federn, die er am liebsten vernichtet hätte. Eine Zeitlang wurde sie sogar als “Therapie-Gruppe” angepriesen. Diese WG bestand gerade fünf Jahre. Innerhalb von 2 Wochen wurde sie zerschlagen. Grund oder die richtige Ausrede war: Die Sicherheit der JVA müsse heraufgesetzt werden. Dieser WG konnte nicht ein gravierender Verstoß gegen Sicherheit und Ordnung nachgewiesen werden. Die furchtbare Geiselnahme im Juni 1992 war der willkommene Anlass, das ungeliebte, ja gehasste Werk der Seelsorge zu zerstören. Der Wohngruppenvollzug gab es nicht mehr; lediglich eine wohngruppengemäße Unterbringung. Der „Nachteil“ an der Arbeit sowohl der Bewohner als auch der Begleiter der WG 3 war: Tag für Tag wurde der Nachweis erbracht, dass – trotz aller Widerstände und Einschränkungen – ein anderer, “humaner”, zum Leben befähigender Strafvollzug möglich ist.
Sicheres Pulverfass?
Das Ende Arbeit, in die ich viel eingebracht habe an Phantasie, Ideen, Einsatz, gutem Willen, Zeit, Kraft und Hoffnung, sagte und zeigte mir: Gestaltende und verändernde Mitarbeit im Strafvollzug zum Wohl aller Betroffenen und Beteiligten ist nicht gewünscht. Strafvollzug ist eine wenig sinnvolle angelegte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die unendlich viel Geld kostet und unendlich viel Leid bringt; die keinesfalls dem Leben dienen will und nützlich ist. Wer die Macht hat, sagt auch, was “Recht” ist; und der entscheidet, was wahr zu sein hat oder nicht. Für mich heißt das: Da will ich nicht mehr sein. Dieses System will ich nicht stützen. Meine Sorge und Mühe gilt dem Einzelnen. Mein Resümee, weshalb ich in Pension gehen will ist, dass ich denke, durch das, was ich von mir gegeben habe, ist deutlich geworden, dass ich als Seelsorger nicht nur einen Job hinter mich gebracht habe. Hier habe ich viel von meinem Herzen gelassen. Der Strafvollzug produziert – auf allen Seiten – “Verlierer”. Von daher ist er gegen die Würde des Menschen gerichtet. Die “Sicherheits-Philosophie” lautet, die JVA, in der immer alle Türen verschlossen sind, ist am sichersten. Sie ist gewiss ein sicheres Pulverfass.
In diesem System will ich nicht mehr arbeiten. Ich habe genug Kraft investiert und Zeit vertan. Aufwand und Ertrag stehen in einem krassen Missverhältnis. Ich möchte dort mein Können und Wissen einsetzen und vermitteln, wo es angemessenen Ertrag bringt; z.B. in Seelsorgekursen und in Supervision. Ich bin im Strafvollzug zu müde geworden, um dort nochmal einen Aufbruch bewerkstelligen zu können. Trotz dieses Endes, möchte ich sagen, war es eine reiche und interessante Zeit mit vielen intensiven menschlichen Begegnungen. Ich möchte sie nicht missen. Doch jetzt reicht es…
Ein Kapitel aus: Erinnerungen eines Gefängnispfarrers. (K)eine Satire