Eine Welt ohne Gefängnisse – bahnbrechender Fortschritt oder gefährlicher Irrweg? Ist es die Chance, Straftäter tatsächlich zu rehabilitieren und Kriminalität nachhaltig einzudämmen? Oder eine unerträgliche Zumutung für die Opfer von Straftaten und ein unkalkulierbares Risiko für die Gesellschaft? Die High-End-Serie der ARD fordert das Publikum auf, Position zu beziehen: Könnte die Welt tatsächlich ‚a better place‘ werden, wenn wir auf Haftstrafen verzichten?
Eine Welt ohne Knast
„A Better Place“ stellt recht direkt die Frage, ob die abschreckende Wirkung eines Strafvollzugs nach begangener Straftat und richterlicher Verurteilung den gewünschten Effekt erzielt, oder ob eine therapeutisch begleitete Resozialisierungsmaßnahme die Rückfallquote auf Dauer nicht stärker senken könnte? Die Idee an sich ist nicht ganz neu, zumal schon lange bekannt ist, dass Gefängnisse das Potential zur Suchtentfaltung, Bandenbildung oder den Anschluss an eine kriminelle Vereinigung in sich bergen. Dennoch leben wir strafrechtlich betrachtet nun einmal in einer zwar liberalen, letztlich aber doch utilitaristisch orientierten Welt, da Kants kategorischer Imperativ zwar ein wundervoll utopisches Narrativ darstellt, realistisch betrachtet aber nicht greifen kann. Genau dieser Thematik widmet sich die Serie und entfaltet dabei schon in der ersten Folge einen hohen Spannungsbogen.
Die Frage: „Wie würden Sie es finden, wenn Ihre Stadt plötzlich mit 300 freigelassenen Kriminellen überschwemmt wird?“ schwebt schon in den ansprechend inszenierten einleitenden Szenen wie ein Damoklesschwert über der Geschichte. Das Problem ist dabei, dass die gut von Maria Hofstätter gespielte Kriminologin Petra Schach mit ihrem Projekt namens TRUST nicht nur kleinen Gaunern eine zweite Chance geben will, sondern eben auch dem Mörder Klaus Bäumer (Richard Sammel). Spätestens hier dürfte sich beim Publikum Widerstand regen. Zum einen gibt es unser Strafgesetzbuch ja nicht grundlos. Zum anderen stellt es für Opfer und/oder Hinterbliebene aber auch eine untragbare Zumutung dar, wenn Kinderkiller frei herumlaufen dürfen und ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, schalten und walten können wie sie wollen. Denn das TRUST-Programm beinhaltet die Straffreiheit selbst dann, wenn die Probanden der Studie erneut straffällig werden, weil – so das soziologische Narrativ in der Serie – dann das Programm und nicht der Verbrecher versagt hat.
Eine Frage der Moral
Als Stimme der Opfer fungieren in der Serie die 40-jährige Nesrin (Alev Irmak) und ihr Mann Tayfun (Sahin Eryilmaz), deren Sohn von dem rechtsradikalen, brutalen Bäumer vor einigen Jahren mitleidlos erschlagen wurde. Für Nesrin ist es nicht zu ertragen, dass dieser Mensch, der das Leben ihrer glücklichen Familie zerstörte, nun ein angenehmes Leben führen darf. Hinzu kommt, dass die Projektleiterin Petra Schach keineswegs neutral an die Beurteilung der Probanden herangeht. Vielmehr geht es ihr darum, mit allen Mitteln zu beweisen, dass sie und Bürgermeister Kaan recht haben. Diese Zwickmühle führt in Episode zwei sogar dazu, dass sie Bäumer bei sich wohnen lässt, weil kein Vermieter ihn aufnehmen will.
An dieser Stelle sei übrigens ein großes Lob an Schauspieler Richard Sammel ausgesprochen, der seine Figur mit einer geradezu gemeinen Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen spielt. Bäumer ist respektlos, anarchistisch veranlagt und zeigt bei jeder Gelegenheit, dass ihm das TRUST-Programm vollkommen egal ist. Ihm geht es nur um seine persönlichen Bedürfnisse, was letztlich nur ins Chaos führen kann. Ähnlich verhält es mit der Schwester des 20-jährigen Kleinkriminellen Nader (sehr authentisch von Youness Aabbaz gespielt). Er hat aus seinen Fehlern gelernt und möchte sich dank einer Ausbildung zum Autoverkäufer ein neues Leben ohne Drogen, Kriminalität und Knast aufbauen. Ganz anders Yara (Aysima Ergün), die Drogen verkauft und nach ihrer Verurteilung ebenfalls zur Teilnahme an dem Projekt verurteilt wird.
Zwischen Recht und Unrecht
Eine zweite Chance oder gar ein Neuanfang interessieren die junge Frau allerdings nicht im Geringsten. Sie träumt von einer Gangsterkarriere und überfällt bei nächster Gelegenheit einen Juwelier und bedroht diesen mit einer Waffe. So wenig glaubwürdig die Prämisse der Serie auch sein mag, arbeitet Head-Autor und Showrunner Alexander Lindh hier doch mit starken Kontrasten. Lindh legt den uns allen angeborenen Egoismus, ja sogar die alle Menschen angeborene Egozentrik schonungslos offen, die gesellschaftlich betrachtet eben nicht immer positive Effekte hat. Im Endeffekt läuft die Serie damit auf eine ausgewogene Betrachtungsweise des menschlichen Charakters an sich hinaus. Auch die TRUST-Leute sind egoistisch, allen voran Petra Schach, da sie sich in einer moralisch überlegenen Position sehen. Bäumler und Yara handeln auf ihrer Ebene ebenso nach Gutdünken wie sie oder wie Nader und Mark (Johannes Kienast), der seine frühzeitige Haftentlassung dazu nutzen will, seine Familie zurückzugewinnen.
Die Frage, die sich letztlich stellt ist: „Wie viel Egoismus und Moral kann eine Gesellschaftsform wie unsere wirklich vertragen?“. Es mag psychologisch und soziologisch ja richtig sein, Straftätern eine zweite Chance zu geben. Doch ist das andererseits fair den Opfern gegenüber? Wo beginnt hier die richte Sichtweise und wo die falsche? Lindth traut sich gar nicht erst an eine Antwort, sondern stellt seine Themen lediglich zur Diskussion. Er möchte zum Nachdenken anregen, einen Diskurs initiieren und ein Stück weit auch der Stein des Anstoßes sein. Das gelingt dem deutsch-finnischen Filmemacher mit „A Better Place“ bestens, auch weil er ein gutes Gefühl für dramatische Entwicklungen und für das richtige Ensemble hat. Die Serie fällt und steht nämlich mit der Glaubwürdigkeit der Protagonisten, die hier erfreulicherweise gegeben ist.
Fazit
Die ersten beiden Episoden von „A Better Place“ haben mich im positiven Sinne aufgewühlt. Einerseits steigt bei Protagonisten wie Bäumer die Wut in mir hoch, andererseits frage ich mich in Bezug auf Nadar und Mark, ob der Knast stets die richtige Lösung ist. Ist es wirklich immer richtig, dass Menschen für ihre Taten büßen müssen und was erreichen wir damit? Drängen wir die Verurteilten nicht nur noch tiefer in den Sumpf von kriminellen Subkulturen, in den sie dann irgendwann hoffnungslos versinken? Oder bietet unser liberales Strafsystem Straftätern genug Möglichkeiten zur Resozialisierung – oder vielleicht schon viel zu viele? Das sind große ethische Fragen, über die man trefflich streiten kann und nach dem Anschauen von „A Better Place“ auch soll.
Reinhard Prahl | Mit freundlicher Genehmigung: ingame GmbH
Ab 22. Januar 2025 in der ARD oder der Mediathek.
Fotos: WDR/Komplizen Serien/Studiocanal (S2+)
2 Rückmeldungen
Super, dass endlich ein Team von Regisseurinnen und Regisseuren sich traut, dieses seit Jahrzehnten im Raum stehende Thema in Szene zu setzen! Der Film mag anfänglich unrealistisch sein, und ist doch realistisch dargestellt im steten Perspektivwechsel, den die Zuschauer/Innen einnehmen können, dank anschaulich dargestellter Problematik auf allen Ebenen! Sowohl die „Guten“ als auch die „Bösen“ und die Zweifelnden, die Opfer und Verantwortlichen werden facettenreich dargestellt. Spanend in allen Folgen bleiben die Zuschauenden gefesselt und sind angeregt zu einer diversen Diskussion. Könnte es vielleicht eine Vorlage zu realistisch weiter zu entwickelnden Programmen zum Thema sein?
Es ist unrealistisch, dass auf einen Schlag 300 Inhaftierte freikommen und an einen Programm mit dem Trust – Vertrauen Programm teilnehmen. Dass dies mit Luftballons „gefeiert“ wird, ist nicht nur der ersten Euphorie geschuldet. Die Realitäten der Protagonisten, Opfer wie Täter, sind allerdings sehr gut dargestellt. Nach dem „absitzen“ im Knast wird versucht, alles nachzuholen, was nachzuholen ist. Damit beginnt vor allem die Begleitung: An alten Orten nicht wieder in alte Muster zu verfallen. Doch das ist kompliziert und unterschwellige Ansprüche sogenannter Freunde verunsichern. Der kulturelle Hintergrund spielt keine Rolle, obwohl es in der Serie immer wieder in den Mittelpunkt rückt. Das könnte man falsch verstehen bzw. für andere populistische Zwecke verzwecken.
Der mit Mitgrationshintergrund dargestellte Bürgermeister des fiktiven Ortes Rheinstadt scheint sich mit dem „progressiven“ Programm in den Vordergrund zu rücken. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Damit kann man als Politiker keine WählerInnen gewinnen. Die überzeugte Leiterin des Programms scheint auf beiden Augen blind zu sein, wenn sie einen ehemaligen Straftäter bei sich in ihrer Wohnung aufnimmt. Einen guten Eindruck macht der junge Erwachsene, der sich als Autoverkäufer versucht. Dessen Schwester ist allerdings ebenso straffällig. Das Thema ist hoch emotional. Negative Schlagzeilen überschatten alles. Doch kann man nicht alles über einen Kamm scheren. Vertrauen bedeutet immer wieder enttäuscht zu werden.
„Dass du auf heilig tust und einen anderen Weg einschlagen willst das ist nicht in Ordnung“, sagt die Schwester und spürt selbst, dass es doch irgendwie nicht ganz stimmig ist. „Ich war für dich da“, sagt die Schwester vorwurfsvoll dem brüderlichen Straftäter. „Hör auf mit deinem Film..“ Das ist eine klare Aussage und eine klare Abgrenzung der Vergangenheit. Die neue Liebe zu einer Frau bedeutet dem ehemaligen Straftäter viel und zeigt ihm neue Wege auf. Wie schwierig ist es für ehemalige inhaftierte Väter wieder Kontakt zu den Kindern aufzunehmen, zeigt der Film sehr deutlich. Vertrauen muss aufgebaut werden zwischen der Partnerin und den Kindern. Die Aggression des Kindes richtet sich nicht nur gegen sein Vater. „ wenn Menschen etwas falsch machen, dann müssen Sie manchmal ins Gefängnis.“, sagt die Mutter dem Kind.. „ Warum sagen alle, dass du ein Mörder bist?“ fragt das Kind. Der Vater erzählt, dass er mit dem Auto zu schnell gefahren ist und ein Menschen angefahren hat. Das klingt schon anders als ein Mörder zu sein.
Der Straftäter, der später ins Programm aufgenommen wird, bekommt Spritzen für seinen Eros. Es wird nicht ausdrücklich genannt, aber es wird deutlich, dass es sich um einen Sexualstraftäter handelt. Eine Menge Sprengstoff, bietet diese Serie. Es gibt keine ideale Lösung. Es gibt viele Widersprüche und diese gilt es auszuhalten. Ein Stofftier, das von der Betreuerin an die Klientin weitergegeben wird, landet erst in den Müll. Erst viel später erinnert sich die Straffällige an die Begegnung. Die Geschädigten und Opfer einer Straftat werden sehr deutlich mit ihren Bedürfnissen gezeigt. Viele Feinheiten werden in dieser Serie gezeigt, die kaum herauszuarbeiten sind. Die Betreuerinnen haben ebenso leise Zweifel an ihrem Programm Trust. Es braucht Zeit, Vertrauen aufzubauen. Die Biografie einzelner Straftäter mit den Knackpunkten werden feinfühlig angedeutet. Auf der anderen Seite werden Listen im Internet gezeigt mit den Bildern der Straftäter. Eine Indiskretion Geschädigter. Das ist kontraproduktiv. „Wir können für Ihre Sicherheit nicht mehr garantieren“ so sagt die Psychiaterin dem Sexualstraftäter. So konträr ist die Diskussion. Spezialisierung sieht anders aus. „Machen Sie sich keine Sorgen“, ist ein Zuspruch, der kaum weiterhilft.