Bei dem vorgezogenen Christfest müssen die Gäste vorher durch einen Sicherheitscheck und etliche dicke Stahltüren. Im Uelzener Gefängnis feiern Freunde und Familien mit den Inhaftierten. An Weihnachten wird es das Miteinander nicht geben. Die Turnhalle der Justizvollzugsanstalt in Uelzen ist ausnahmsweise mit Teppichfliesen ausgelegt. Sie dämpfen das Stimmengewirr. Bierzeltgarnituren sind mit roten Tischtüchern und Tannengrün geschmückt, Familien und Freundesgruppen sitzen beieinander und unterhalten sich.
In der Luft liegt ein Gemisch aus Lebkuchen, alkoholfreiem Punsch und einem Raumduft, den Martina Forster “Advent” nennt. Sie ist katholische Gefängnisseelsorgerin und hat gemeinsam mit dem Sozialdienst der Anstalt eine vorgezogene Weihnachtsfeier für Inhaftierte und deren Angehörige organisiert. Auf der Bühne begleitet Forster mit der Gitarre den Chor der JVA. “Es ist für uns eine Zeit angekommen”, singen sechs Männer mit tiefen Stimmen vor rund 40 Mitinhaftierten und gut 60 Besucherinnen und Besuchern. Auch “Stille Nacht” oder “Schneeflöckchen, Weißröckchen” finden sich auf den Liedzetteln, die zwischen Gebäck und Mandarinen ausliegen. Er sitzt zwischen seiner Frau und der elfjährigen Tochter, die sich eng an ihn kuschelt.
Erinnerungsfotos werden gemacht
Sein jüngster Sohn beugt sich von gegenüber nach vorn, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. “Er war schon immer etwas hibbelig”, sagt der Vater. Und seine Frau fügt an: “Das sind Vaterkinder”. Es belaste alle schwer, dass sie in diesem Jahr das zweite Weihnachten ohne ihn feiern müssten. Die Kinder seien jetzt viel zu Hause. Sie selbst habe keinen Führerschein: “Das schaffe ich alles alleine nicht.” Im vergangenen Jahr sei schon Tage vor dem Fest die Stimmung gedrückt gewesen, erinnert sie sich: “Die Kinder waren traurig.” Sie hätten dem Vater Briefe geschickt und Fotos. “Das musste sein”, sagt sie. Bei der vorgezogenen Weihnachtsfeier in der JVA bietet der evangelische Gefängnisseelsorger Lars Neumann an, Erinnerungsfotos zu machen. “Weihnachten 2023” steht auf der Stoffbahn, die er dafür hinter zwei Stühle gehängt und mit einer Girlande dekoriert hat. Auch M. und seine Familie posieren davor.
Angehörige ebenfalls Opfer der Taten
Angehörige von Straftätern seien in gewisser Weise ebenfalls Opfer dieser Taten, sagt Gabriela Bosche von der Anlaufstelle der Diakonie für Straffällige in Oldenburg, einer der 14 Einrichtungen verschiedener Träger, die sich in Niedersachsen zugleich auch um Familien der Inhaftierten bemühen. Neben der Sorge um den Partner oder Sohn im Gefängnis drückten viele von ihnen finanzielle Sorgen und Scham. “Oft wissen sie nicht, ob und wann sie ihren Kindern die Wahrheit sagen können”, darauf verweist auch die bundesweit tätige Online-Beratung für Angehörige von Straftaten der Caritas. Zwischen 20 Tagen und 30 Jahren liegen in der JVA Uelzen die Strafen, die die insgesamt rund 250 Inhaftierten jeweils verbüßen müssen – zum Beispiel wegen Körperverletzung, Diebstahl, Betrug oder Sexualdelikten. Üblicherweise sei Uelzen für den Erst- und Regelvollzug von bis zu fünf Jahren zuständig, erläutert JVA-Leiter Matthias Bormann. Aber es gebe auch Inhaftierte, die für einen Mord verurteilt wurden und solche in Sicherungsverwahrung.
Familie und Freunde wichtig für Resozialisierung
Familie und Freunde spielten eine große Rolle, damit die Männer später nach ihrer Entlassung wieder Fuß fassen könnten.”Die wenigsten haben eine Chance, einen Arbeitsplatz zu finden, wenn sie im Gefängnis gewesen sind”, ist die Erfahrung des langjährigen JVA-Leiters. Das weihnachtliche Treffen mit den nahestehenden Menschen an diesem Tag sei deshalb wichtig, wenn auch nicht ohne Risiko: “Jeder Kuss kann auch bedeuten, dass zugleich heimlich Drogen rübergeschoben werden.” Dafür, dass hier auch Jugendliche und viele junge Erwachsene zusammensitzen, bietet sich in der Turnhalle ein ungewohntes Bild – niemand guckt auf sein Handy. Die Besucher mussten ihre Mobiltelefone abgeben. Wer die Anstalt betreten will, wird wie auf dem Flughafen einem Sicherheitscheck unterzogen. Mehrere verschlossene Stahltüren liegen zwischen der Halle und dem Parkplatz vor der JVA.
Den “Mist” nicht wiederholen
Bormann hofft, dass die Feier all das für einen Moment vergessen lässt. Die JVA-Band gibt gerade “Hallelujah” zum Besten. Väter spielen mit ihren Kindern. Ein Junge ist die Sprossenwand hochgeklettert. Er ruft “Papa, Baba, Baba”, bis er dessen Aufmerksamkeit hat und mutig auf die Matte unter sich springt. Der 29-jährige Häftling K. hat seine Verlobte und ihre elfjährige Schwester zu Besuch. Eine Freundin, die beide begleitet, scherzt, sie könnten jetzt endlich zu Hause die Tannengirlande aufhängen, die ihm immer zu “fusselig” gewesen sei. Schon seit vielen Jahren sind K. und seine Verlobte ein Paar, wie sie erzählen. Sie kennen sich von Kindheit an. “Man hat sich ein normales Leben aufgebaut, mit Haus, Hund und fester Arbeitsstelle”, sagt er. Doch dann musste er eine zuvor aufgeschobene Haft antreten. “Die Straftat war 2017. Die Vergangenheit hat mich eingeholt.” Den Job sei er jetzt los. Doch seine Verlobte versichert: “Ich kann mir niemand anderen vorstellen in meiner Welt.” Und ihm entfährt spontan: “Wie süß!” Den “Mist”, den er 2017 gebaut habe, werde er nicht wiederholen, betont er: “Ich habe andere Pläne.”
Karen Miether | Evangelischer Pressedienst/Landesdienst Niedersachsen Bremen (epd)