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Eine Kraft, die ein Zusammenleben menschlich sein lässt

17. September 2023

Wenn ich Schulden habe, muss ich sie zurückzahlen. So funktioniert unser Zusammenleben. Kann ich es nicht, bekomme ich eine Mahnung. Schulden müssen ausgeglichen werden, die Gerechtigkeit erfordert es. Verweigere ich mich dessen, stelle ich mich außerhalb eines funktionierenden Miteinanders – und muss mit ernsthaften Konsequenzen bis hin zum Strafbefehl rechnen.

Das Foto entstand in der damaligen JVA Naumburg in Sachsen-Anhalt. Es zeigt einen Basketballkorb in einem der Gefangenenhöfe mit der Aufschrift “Jump Zone”.

Welche Unruhe gäbe es in der Gesellschaft, und wie sehr würde die Wirtschaft einbrechen, würde dies nicht gelten? So gesehen ist der zweite Teil des Gleichnisses Jesu mit dem Knecht des Königs und dessen Schuldeneintreibung völlig normal. Schulden müssen gezahlt werden! Klar! Und doch erscheint genau dieses Normale hier im Matthäusevangelium plötzlich als absurd – denn dem scheinbar Normalen geht eine Vorgeschichte voraus, die alles auf den Kopf stellt.

Normales wird absurd

Dem Knecht nämlich, der hier – wie es sich gehört – die Schulden eintreibt, und zwar die nicht geringe Summe von 100 Denaren, was 100 Tageslöhnen entsprach, wurden unmittelbar vorher die eigenen Schulden erlassen; und die betrugen 10.000 Talente, eine für die damalige Zeit unvorstellbar riesige Summe, denn ein Talent war die größte Geldeinheit. In den Gleichnissen Jesu sind immer wieder solche maßlosen Übertreibungen oder überraschende Wendungen zu finden, sie wollen aufmerken lassen und die Zuhörenden aus der Gewohnheit holen. Wo ihm doch diese unvorstellbar große Schuld erlassen wurde, wie kann er da seinem eigenen Schuldner gegenüber bei einem wesentlich kleineren Betrag so unnachgiebig sein? Hören wir das Gleichnis als Ganzes erscheint das Normale plötzlich als absurd. Gewohntes wird fragwürdig. Das Evangelium will einladen zum Innehalten und womöglich zum Neujustieren.

Menschlichkeit walten lassen

Barmherzigkeit taucht auf; Jesu ganzes Wirken war durchdrungen von dieser unberechenbaren und maßlosen Kraft, einer göttlichen Kraft im Menschen. Sie durchkreuzt die Logik jeglichen Abrechnens in der Eröffnung einer Weite im Erlösen. Konkret wird diese Kraft zu einer Handlungsoption in der Bergpredigt Jesu oder im Gleichnis vom barmherzigen Vater. Das ist nicht ein politisches Modell für eine Gesellschaftsordnung – es würde leidvoll in eine Ideologie führen. Vielmehr ist die im so berechnenden und berechenbaren Menschen vorhandene unberechenbare Kraft der Großzügigkeit und des Erlassens gemeint. Eine Kraft, die menschliches Zusammenleben erst wirklich menschlich sein lässt.

Eine andere Wirklichkeit

Das übergroße Entgegenkommen im ersten Teil des Gleichnisses deutet die Bewegung Gottes zum Menschen hin an. In ihrem Licht ist zu erkennen, dass das gewohnte gegenseitige Abrechnen nicht alles ist, dass es dahinter noch eine andere Wirklichkeit gibt, eine, die verbindet ohne Abhängigkeit, die einander gut sein lässt, die ermöglicht, wirklich Mensch zu sein. Es geschieht, wo in den Gefängnissen Strafgefangene nicht nur als zu Bestrafende klein gemacht werden, sondern als Mitmenschen angesehen und gefördert werden. Es geschieht, wo schuldig Gewordene nicht als Feinde bekämpft, sondern zu neuen Wegen ermutigt werden. Es geschieht, wo ich beginne, meinen eigenen Fehlern mit Mitgefühl zu begegnen. Eigentlich geschieht es überall, wo wir beginnen, menschlich miteinander zu sein.

Christoph Kunz | Matthäus 18, 21-35

 

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