Im Freistundenhof der Justizvollzugsanstalt Herford landet ein grün leuchtender Wellensittich direkt vor den Füßen eines inhaftierten Jugendlichen. Zugeneigt nimmt der Gefangene den kleinen Vogel in seine Hände. “Der sieht ja süß aus”, sagt dieser und nimmt ihn mit in das Hafthaus. Jetzt sitzt der Wellensittich im Jugendvollzug ein. Ein Neuzugang freiwilliger Art.
Solch ein Zugang kann nicht geheim gehalten werden. Kurzerhand wurde ein Käfig über die Gefängnisseelsorge organisiert. Aller Aufrufe zum Trost, niemand meldet sich, wem dieser kleine Vogel gehört. Daher muss eine andere Lösung her. Über Kleinanzeigen kaufte die JVA einen größeren Käfig. Alleine kann der Vogel nicht bleiben. Über das Tierheim orderte man einen zweiten Wellensittich: ein Weibchen. Auf der Abteilung verstehen sich die beiden prächtig. Verliebt sitzen sie innerhalb ihres Bereiches. Ob sie wissen, dass sie im Knast sind?
Ein Paar im Knast
Der Wellensittich ist eine Vogelart, die zur Familie der Altweltpapageien gehört. Bedienstete wie Gefangene freuen sich an den süßen Vögeln und schauen immer wieder im Gruppenraum vorbei, was die beiden dort machen. Die Frage kam auf, wer kümmert sich um die Tiere? Bis dato sind es Bedienstete, die sich für sie engagieren. Im Haftraum sind Tiere nicht erlaubt. So steht die Tür des Gruppenraumes oft weit offen, so dass die Vögel die Menschen mitbekommen, die dort auf dem Flur gehen. Seit einiger Zeit ist unten in der Ecke ein Nest gebaut worden. Nachwuchs? Der Bedienstete schaut kritisch: “Denn können wir natürlich nicht auch noch versorgen. Wenn Eier im Nest sind, müssen wir diese herausnehmen”, sagt der Bedienstete besorgt. “Immerhin gibt es im Knast jetzt ein Paar, die sehr verliebt sind”, lacht dieser und macht die Tür des Käfigs weit auf.
Sittich als Schimpfwort
Die zwei Wellensittiche trauen sich nicht aus dem Käfig herauszufliegen. “Wahrscheinlich liegt dies an den Vogelaufklebern an den Fenstern”, meint der Vollzugsbeamte. “Denen gefällt es so sehr im Knast, dass sie bleiben wollen”, grinst ein Jugendlicher an der Tür. “Sittich” ist im Knastjargon das Schimpfwort für Sexualstraftäter. “Das ist nicht schön, so betitelt zu werden, aber das ist nun mal so”, erzählt ein 17-jähriger, der auf dieser Abteilung untergebracht ist. Schon die Anwesenheit der beiden Vögel im Gruppenraum verändern die Gespräche. Fasziniert schauen Inhaftierte den Vögeln zu oder wollen sie füttern. Es gab die Anfrage an die Gefängnisseelsorge, ob diese das Futter finanzieren kann. Doch die beiden Gefängnisseelsorger haben dies abgelehnt. “Für Futter dieser Art sind wir nicht zuständig”, sagen sie. Neben den wilden Enten, den beiden Katzen, ein Hahn und zwei Hühner sowie der Therapiehündin sind die zwei Wellensittiche jetzt der neue tierische Zuwachs im Jugendvollzug der JVA Herford.
Michael King