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Durch seine Wunden wird er ganz und gar erkannt

4. April 2021

Wenn jemand käme und sagt: „Ich habe den Herrn gesehen“, wie würden Sie reagieren? Ich bin mir sicher, ich würde blitzschnell fragen: „Und, wie war er? Wie sieht er aus? Erzähle!“; und das nicht aus purer Neugier, sondern aus brennendem Interesse. Von dieser ganz menschlichen Reaktion ist in den Ostererzählungen kaum etwas zu spüren. Erst tausend Jahre später wagt einer auszusprechen, was doch auf der Hand liegt: „Maria, sag uns, was hast du unterwegs gesehen?“

Wipo von Burgund (*vor 1000, +nach 1046), der die ersten Salierkaiser als Hofkaplan begleitet und als Geschichtsschreiber den idealen Herrscher nach dem Vorbild Christi porträtiert hat, ist selbstverständlich auch daran interessiert, sich ein Bild des Auferstandenen machen zu können. Aber er hält sich bei der Abfassung der Ostersequenz treu an die biblischen Urkunden: das offene Grab, Engel, die Leinenbinden und „Christus, von Gottes Glanz umflossen“ (Victimae paschali laudes, GL 320). Mehr, als Maria nach dem Zeugnis des Johannesevangeliums zu erkennen gibt, nennt uns auch der Dichter nicht. Was gäbe ich darum, Jesus nur ein einziges Mal sehen zu können!

Innere Bilder von Jesus

Dabei bin ich mir sicher, jede und jeder von uns hat seine Vorstellung von Jesus, wie er mir vor Augen steht, welche Gesichtszüge ihn prägen. Spontan habe ich neulich noch auf ein Jesusbild in einer Zeitschrift reagiert: „Nein, so ist er nicht.“ Für mich rückt der erhabene Blick einer Christusikone nahe an meine Vorstellung vom auferstandenen Herrn heran. Er vermittelt Ruhe und schenkt Geborgenheit. Aber auch der leidende Christus am Kreuz, wie hier im Limburger Dom die Nachbildung des Walsdorfer Kruzifixes aus dem 13. Jahrhundert, ist mir wichtig. Immer wieder schaue ich in sein Gesicht; das Leid der Menschen hat ihn gezeichnet. Oder wie den guten Hirten aus der Priscilla-Katakombe in Rom (3. Jahrhundert), so sehe ich Jesus vor mir in seiner Fürsorge um uns. Wenn ich ehrlich bin, dann stehen diese Bilder aber nicht am Anfang, sondern sie folgen meinen Erfahrungen mit Jesus nach. Sie drücken meinen Glauben an ihn aus, und sie verändern sich. Es sind meine inneren Bilder, die mich aber gewiss mit vielen von Ihnen verbinden.

Die Zeichnung des Designer Thomas Tauber aus Halle/Saale löste bei Erscheinen in einer Gefangenenzeitung massive Kritik hervor. Nicht wie man meinen könnte von gläubigen ChristInnen, sondern von Menschen, die sich als Atheisten und Bekenntnisfreie bezeichnen. Christliche Glaubensinhalte und ein gelebter Glaube sind in der Gesellschaft immer weniger vorhanden. Nicht nur bei Menschen, die der Kirche fernstehen, sondern auch unter aktiven Gemeindemitgliedern. Die Bereitschaft zum Glaubensvollzug schwindet. Viele Menschen bringen ihre Sehnsüchte und Fragen gar nicht mehr mit Kirche in Verbindung und erwarten von ihr keine Antworten mehr.

Künstlerische Darstellung verstellt

Über die äußere Gestalt des auferstandenen Christus hüllen sich die Ostererzählungen in respektvolles Schweigen. Während die Osterzeugen davon sprechen, dass sie den Herrn gesehen haben, heißt es von Jesus nur: Er kam hinzu – er trat in ihre Mitte – er ließ sich sehen – er entzog sich ihren Blicken – er erschien – oder: Gott hat ihn erscheinen lassen. Dahinter steht die Glaubenseinsicht, dass die Auferstehung nicht einfach eine Rückkehr des irdischen Jesus ist, sondern eine tiefgehende Verwandlung. Er gehört ganz der Welt und dem Wesen Gottes zu, und von Gott macht man sich kein Bild. Den Gottessohn Jesus können wir uns als Mensch von seiner Geburt bis zu seinem Begräbnis vorstellen, wir dürfen ihn abbilden. Aber der Auferstandene lässt das im Grunde nicht mehr zu. Kein Bild genügt mehr. Denn jede künstlerische Darstellung verstellt mehr als sie anschaulich macht. Darum ist auch der letzte Satz des Osterevangeliums bewusst so formuliert: „Ich habe den Herrn gesehen“, bezeugt Maria von Magdala vor den Jüngern. „Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte“ (Joh 20,18).

Stimme des Namens sagt oft genug

Denn jetzt zählt allein, wie Jesus mit seinen Freundinnen und Freunden in Kontakt tritt. Er ruft sie beim Namen. Und das bedeutet biblisch: Ich kenne dich von Grund auf, und du kennst mich. Stets beginnt ja Vertrautheit damit, einander beim Namen zu nennen. Die Stimme macht dabei viel aus. Sie übermittelt Gefühle, Stimmungen, Absichten. Eltern betonen beispielsweise den Namen ihrer Kinder je nach Situation ganz unterschiedlich. Die Stimme, die meinen Namen ruft, sagt oft genug. Der Auferstandene spricht, und was er zu sagen hat, das weckt in den Enttäuschten die Lebensgeister auf. Denn sie verspüren Mut. „Geh und verkünde“, das wirkt wie ein Kompass und macht Sinn. Vertieft wird das gegenseitige Vertrauen, indem man miteinander isst und trinkt; da beginnen die Herzen zu brennen wie bei frisch Verliebten, und Frieden stellt sich ein.

Und schließlich die Wunden: Wenn ich bereit bin, einem anderen meine Blöße, meine Verletzlichkeit, meine Wunden zu zeigen, dann vertraue ich ohne Vorbehalt. Der Auferstandene tut es, an seinen Wunden wird er ganz und gar erkannt. Übrigens erzählt man vom Philosophen Blaise Pascal (1623–1662), er habe begonnen, in seinem Haus einen Armen und Kranken zu pflegen, als ihm wegen Zweifeln an seiner Rechtgläubigkeit zeitweise der Empfang der Eucharistie verweigert wurde. Auf diese Weise wollte er den Leib Christi dennoch empfangen. Was für eine gute Inspiration, die sich kreativ angepasst übertragen lässt auf heute, wo viele ja immer noch nicht am Gottesdienst teilnehmen und die heilige Kommunion empfangen können (vgl. Tomáš Halík, Die Zeit der leeren Kirchen. Von der Krise zur Vertiefung des Glaubens, Freiburg-Basel-Wien 2021, 149 f.).

Zugang zum Glauben blockiert

Ostern, darin sind sich alle Evangelien einig, ist nicht wie der Gang in ein Museum, wo man ein Kunstwerk bestaunt. Es ist auch nicht wie das alljährliche Neujahrskonzert, das wir bewegt anhören, um anschließend essen zu gehen. Wer Ostern feiert und dem Auferstandenen nicht innerlich begegnet, der hat es verpasst. An die Auferstehung zu glauben, heißt für mich, in eine Beziehung mit Jesus einzutreten. Das hat mein Leben verändert. Durch ihn hat es an Tiefe gewonnen, hat Glanz und den langen Atem der Hoffnung bekommen. Jesus ist für mich das entscheidende Korrektiv, um mich nicht zu verirren; er ist Wegbegleiter und Freund und das große Versprechen, dass mein Leben gut ausgeht. Darum ist es für mich nicht nur eine Frage der Gewichtung, sondern tiefe Überzeugung: Ostern ist das höchste Fest, der Glaube an die Auferstehung das orientierende Fundament unseres Christseins.

Und die Kirche ist der weite Raum, in dem sich diese Beziehung zwischen Menschen und dem lebendigen Christus ereignen kann. Dazu hat Jesus die Kirche gegründet. Darum liebe ich sie und verdanke ihr so viel. Darum leide ich an der Kirche, wenn sie durch Skandale gläubige Menschen ins Wanken bringt oder durch erstarrte Strukturen und mangelnde Veränderungsbereitschaft vielen den Zugang zum Glauben blockiert. Es schmerzt mich sehr, wenn mir ein junger Mann zur Begründung für seinen Kirchenaustritt schreibt: „Ich bedaure das alles zutiefst. Aber, was man nicht mehr in sich spürt, was man nicht verändern kann, und was selbst nicht in der Lage ist umzukehren, das sollte man verlassen.“ Ja, das kann ich nachvollziehen. Und ich bedaure es, dass wir als Kirche ein solches Bild abgeben. Mit Ostern und all seiner Dynamik, die nur dem einen Ziel dient, dass Menschen dem lebendigen Herrn begegnen und an ihn glauben, hat das wahrlich wenig zu tun. […]

Predigt Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender Deutsche Bischofskonferenz, 4. April 2021, Limburg
Lesungen: Apg 10, 1 Kor 5 | Evangelium: Joh 20,1–18

 

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