parallax background

Durch eine Krise hindurch das Leben völlig verändern

2. Dezember 2023

„Ich liebe die Stille, sie ist das Gegenteil von Lärm, Krach und Krieg – vor allem von Krieg!“, erzählte mir die 87-jährige Charlotte. Sie war für einige Zeit mit schwerer Erkrankung in der Universitätsklinik Magdeburg. Oft war sie allein, wenig Menschen kamen zu Besuch. Doch für Charlotte waren diese Tage bei allem Leid und Schmerz auch eine kostbare Zeit. Die Stille, die sie erfahren hatte, tat ihr gut.

Adventszeit im Knast…

Tiefes Zutrauen ins Leben

Was ist in dieser Stille für Charlotte geschehen? Nach außen hin ist nichts geschehen, aber in ihr, im wachen Aushalten dieser Stille ist sie an etwas gekommen, das sie liebgewonnen hatte. Manchmal begegne ich Menschen, denen es so ergeht wie Charlotte: da wird das Erleben einer dunklen und leidvollen Zeit zu einer kostbaren Erfahrung tiefen Zutrauens, nicht verloren zu gehen. Weil die meisten Menschen ohne ein religiöses Bekenntnis leben, wird diese Erfahrung kaum mit Gott zusammengebracht. Vor allen denkbaren Begründungen und Bekenntnissen ist es zunächst ein stilles Erleben eines Gehaltenseins, vielleicht flüchtig zwischendurch, oder auch stärker fühlbar im bewussten Wahrnehmen. Wie ein gegenwärtiges Vertrauen, das sich schenkt im Geschehen lassen – und von da aus Zukunft verändert. Denn mit der Erfahrung des Vertrauens erwacht die Aufmerksamkeit für das, was wirklich wichtig ist. Es kommt vor, dass ein Mensch durch eine Krise hindurch sein Leben völlig verändert.

Unversöhnliches gegenüber

Wie sehr aber drängen nicht nur die persönlichen Krisen, sondern auch, was in der Welt geschieht, danach, möglichst schnell vorbeizugehen, um einer neuen Zukunft Platz zu machen? Die Wirklichkeit einer ausgeraubten Erde, auf der wir Menschen immer wieder im Kleinen wie im Großen Kriege entfachen, während all die Bemühungen um Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung so gering scheinen. Auch in unserer Kirche ist die Sehnsucht nach Neugestaltung groß angesichts des eigenen Bedeutungsverlustes in einer Welt, die längst gut ohne Gott auskommt. Während manche die alten Strukturen wie heilige Kühe für unantastbar halten und jede Erneuerung verweigern, kämpfen andere mit ihrer Vorstellung einer idealen Kirche dafür, alles neu zu machen. Unversöhnlich stehen sie sich gegenüber, die einen in der Vergangenheit verhaftet, die anderen flüchtend in Zukunftsvisionen, einig nur in der Verweigerung der Gegenwart.

Göttliches Ankommen

Die Zeit nicht als eine nur zu überwindende anzusehen, sondern sie gelten zu lassen, wie sie ist, annehmend, dass in ihr mehr ist, etwas, das über sie hinausweist und sie öffnet auf eine andere Zukunft hin – das heißt Advent leben. Advent, das ist das Ankommen Gottes in unsere Weltzeit, ein Ankommen, das geschieht, jetzt und hier. Jesu Leben mit seiner Hingabe bis in letzte Verlorenheit hinein lässt uns glaubend annehmen, dass es in unserer Weltzeit nichts gibt, das nicht von Gott bereits durchdrungen sei. Von daher ist Zeit nicht mehr nur ein sinnloses Nacheinander, sich anfühlend wie ein Kreislauf vergeblichen Mühens. Sie ist vielmehr in der Menschwerdung Gottes zu einer bereits erlösten geworden: wie ein Same ist Gottes Heil schon im kleinsten Zeitmoment da.

Menschen des Advents

So bedeutet Advent, sich der Herausforderung der Gegenwart zu stellen. Diese erschließt sich nicht im Lärm und Getöse unserer Versuche, die Wirklichkeit möglichst nicht wahrzunehmen, sondern in der Stille. Erst die Stille lässt uns zu Hörenden werden. Adventlich leben heißt den Mut haben, sich dem zu stellen, was ist, ganz wach. Die Kraft dafür haben wir alle in uns: es ist das Vertrauen, gehalten zu sein – weil Gott selbst bereits angekommen ist im Herzen eines jeden Menschen. Wo unsere gegenseitige Verständigung von diesem inneren Ort her Worte und Handlungen entstehen lässt, da öffnen sich neue, heilvolle Wege. So lasst uns immer mehr zu Menschen des Advents werden und in die Dunkelheiten unserer Zeit das Licht entzünden!

Christoph Kunz | Matthäus 13, 33 – 37

 

Feedback 💬

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert