Recht sprechen. Menschen verurteilen – das ist in der heutigen Gesellschaft insbesondre im Rechtswesen normal. Es gibt Länder, in denen schuldig gesprochenen Verurteilten sogar die Todesstrafe auferlegt wird. Doch ist das überhaupt rechtens? Darf man als Christ richten? Sollte man es tun? Die Überschrift der Bände von Drewermann gibt im Grunde genommen die Antwort.
Was gut und böse ist, besagen die Gesetze, die entweder Gott, ein historischer Herrscher oder der Wille des Volkes festgelegt haben. Wer gegen die Gesetze verstößt, macht sich schuldig, wird haftbar gemacht und bestraft. Völlig anders lautet die Botschaft des Jesus von Nazareth vom gütigen Gott und vom Vertrauen in dessen absolute Vergebensbereitschaft.
Eugen Drewermann unternimmt einen kulturhistorischen Durchgang durch die Straf- und Rechtsvorstellungen von den frühen Kulturen in Mesopotamien bis zu den Germanen, Karolingern und Staufern im europäischen Mittelalter. Und er zeigt auf, wie das Kreuz ein Mahnmal Jesu gegen diese Gewalt nach innen wie nach außen ist.
Beide Bände je 39,00 Euro, Patmos Verlag
Eigentlich weiß es jeder: Fehlbare Menschen können nicht über die Fehler anderer zu Gericht sitzen. Ist wenigstens Gott gerecht? Gott sei Dank nicht! Der Kern der Botschaft Jesu lautet vielmehr: “Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldnern”. Wie gewinnen wir diese Einsicht im Rahmen unseres Strafsystems zurück? Dazu untersucht Eugen Drewermann in diesem Band Vorstellungen des Strafrechts im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Im Mittelalter haben Papst und Kaiser aus “Gott” ein Mittel ihres Machterhalts gemacht, und beide scheiterten. Das Reich zerfiel in Fürstentümer und Nationalstaaten; die Kirche versuchte die Herrschaft über ihre Gläubigen durch Angst zu erhalten.
Die Inquisition nötigte zu Denunziation, Folterverhör und Ketzerverbrennung; die Hexenfurcht, geboren aus der Angst vor Gott, dem Teufel und der eigenen Seele, hielt das Strafrecht auch der Staaten fest im Griff. Erst die Befreiung des Politischen aus den Händen der Kirche ermöglichte eine gewisse Humanisierung des Strafens. Doch auch die Gerechtigkeit der staatlichen Gesetze wird uns Menschen nicht gerecht. Nur wenn wir die Gesetzlichkeit durch Güte überwinden, finden wir zu uns selbst zurück.
Ver-Urteilen wohl bedenken
Aus Eugen Drewermanns Sicht ist dies kritisch zu sehen. Der sehr bekannte und umstrittene, zweifellos aber faszinierende Theologe, der schon viele ganz eigene Thesen aufgestellt hat, die dem doch eher kühlen Selbstverständnis auf der Welt so komplett widersprechen – ein Theologe, der die christliche Nächstenliebe predigt und lebt wie kaum ein anderer – ist der Ansicht, dass ein Ver-Urteilen sehr wohl bedacht werden sollte. Und genau das erläutert er in seinem Buch.H ier legt er seinen Schwerpunkt auf die Vergangenheit des Richtens und Strafens, erläutert also, wie in früheren Kulturen bestraft wurde.
Der Band ist in Teile, Kapitel und Unterkapitel untergliedert. Nach einer Einleitung geht Drewermann zunächst auf das Strafen im Allgemeinen im menschlichen und tierischen Umfeld ein. Hier bezieht er von Anfang an klar Stellung, wie er zur Strafe selbst steht. Im Anschluss daran erklärt er, weswegen Macht die ganz wesentliche Grundlage für ein Bestrafen ist. Dies führt er anhand mehrerer Kulturen aus. Im folgenden Teil befasst sich der Autor mit unterschiedlichen Rechtsvorstellungen in den Hochkulturen der Vergangenheit, etwa im Alten Ägypten, im Alten Griechenland, im Römischen Reich und im damaligen Israel. Dieser Teil ist mit beinahe 200 Seiten sehr umfassend. Am ausführlichsten ist jedoch der letzte Teil. In diesem wird ausgeführt, wie Strafen durch Staaten oder Vertreter von Staaten als Darstellung und Inszenierung von Grausamkeit dienen – oft, um das Volk zum Gehorsam aufzurufen. Literaturverzeichnis, Autorenregister und Bildnachweis schließen das Werk ab.
Nicht strafen?
Das Werk ist als Lesebuch gestaltet. Es enthält nur sehr wenige Abbildungen, dafür aber unten auf fast jeder Seite Fußnoten, die teilweise bis zu Dreiviertel der gesamten Seite bedecken. Wer Eugen Drewermann schon einmal gelesen hat, weiß: Kürze ist nun nicht gerade seine Stärke. Das heißt, dass dieser Band sehr umfangreich ist. Mit über 560 Seiten ist er alles andere als schnell durchzulesen und dementsprechend auch groß und schwer. Als ich ihn das erste Mal in den Händen hielt, fühlte ich mich schon etwas an einen Backstein erinnert. Drewermann vertritt die Auffassung, dass das Strafen nicht dem Grundsatz des christlichen Selbstverständnisses entspricht. Ein Christ sollte seiner Meinung nach nicht strafen. Wer mit dieser Haltung so gar nichts anfangen kann oder in einem Bereich arbeitet, in dem diese Haltung problematisch werden könnte, sollte sich die Anschaffung dieses Bandes vielleicht noch einmal überlegen.
Großer Wissensschatz
So empfehle ich den Band Staatsanwälten, Beamten im Justizvollzug und Kontrolleuren nur bedingt, sofern diese nicht ihren Job wechseln wollen. Andererseits können gerade diese Berufsgruppen auch dazu angeregt werden, das Selbstverständliche des Strafens zu hinterfragen. Denn Drewermann argumentiert ausgesprochen logisch und schlüssig. Sein Wissensschatz, den er den Lesern hier zugänglich macht, ist geradezu enorm. So erfährt man in aller Ausführlichkeit, wie in ausgewählten früheren Kulturen mit dem Betrafen umgegangen wurde und was davon vor dem christlichen Hintergrund zu halten ist. Demzufolge sollte man als Leser ein tiefergehendes Interesse an historischen Themen haben – dass man Christ sein sollte, ist vor dem Hintergrund des Gesagten ebenfalls sehr sinnvoll – und bereit sein, sich auf ein sehr umfangreiches Buch einzulassen. Wer diese Voraussetzungen aber erfüllt, kann aus diesem Werk viele Inspirationen zum eigenen Umgang mit Strafe, zum eigenen Bestrafen selber ziehen. Und wird dadurch vielleicht auch ermuntert, das Bestrafen zu überdenken. Ein ausgesprochen umfangreicher Band darüber, wie in früheren Hochkulturen bestraft wurde und was davon aus christlicher Sicht zu halten ist. Allen, die sich für Geschichte und die Auffassungen des Christentums interessieren, sehr zu empfehlen.