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Die Würde der religiösen Frage im Gefängnis

14. Mai 2023

Die Frage nach dem Glauben ist nicht notwendigerweise konfessionell. Wenn die Frage von Gläubigen einer anderen Religion kommt, ist es das gute Recht und hat eine Würde, weil sie im Grunde eine Bitte um Heil, Geschwisterlichkeit und Vergebung zum Ausdruck bringt. Dass GefängnisseelsorgerInnen, ob ehrenamtlich oder als hauptberufliche Frauen und Männer, kurz gesagt als ChristInnen an der Seite der inhaftierter Frauen und Männer stehen, unabhängig von ihrer religiösen Identität, bringt einen Bund in der Menschlichkeit zum Ausdruck, dessen universale Offenheit dem Evangelium eigen ist.

Man verleugnet es auf diese Weise nicht, sondern bietet allen Freundschaft und Mitgefühl an. In den italienischen Gefängnissen helfen wir zum Beispiel den Muslimen, das Aid-Fest zu feiern, und in der Atmosphäre der Freude und Dankbarkeit lernen wir uns gegenseitig kennen und schätzen. Das Dokument von Papst Franziskus in „Human Fraternity, World Peace und Living together“, das mit El Tayyeb unterzeichnet wurde, und die Treffen im Geist von Assisi haben ein neues Klima geschaffen, das auch in die Gefängnisse Einzug halten muss. Außerdem ist das Evangelium, wenn es gelebt wird, auch attraktiv. Es ist kein Proselytismus. Es bedeutet, vertrauensvoll in der globalen Welt zu leben, eine Globalisierung der Geschwisterlichkeit und nicht des Hasses, der Geschwisterlichkeit und nicht der Angst.

Kirchenraum in Würzburg: Christusikone hinter Gittern.

Aus „extremen“ Gefängnis: die Bitte um Befreiung

Ich ergreife das Wort, um mit Ihnen einige Überlegungen über die Würde der religiösen Frage im Gefängnis anzustellen. Ich tue dies im Kreise von GefängnisseelsorgerInnen, die ihr Leben dem Dienst an den Gefangenen widmen. Die Anregungen stammen aus meiner Kenntnis mehrerer italienischer Gefängnisse, Gefängnisse in Afrika und schließlich der Todeszellen in den USA. Vor allem habe ich das Privileg, unweit von Rom oft ein Gefängnis zu betreten, in dem “ Justiz-Kollaborateure“ inhaftiert sind. Das sind Männer und eine Handvoll Frauen, die die Hölle krimineller Systeme wie der Camorra, der Mafia und der Ndrangheta erlebt haben, aus der es sehr schwer ist zu entkommen, und die die Hölle in das Leben anderer gebracht haben. Sie haben sich dafür entschieden, sich davon loszusagen und einen sehr hohen Preis dafür zu zahlen. Sie werden zu sehr langen Haftstrafen verurteilt, viele von ihnen zu lebenslanger Haft, auch wenn sie eine Strafminderung erhalten können. Das Schutzprogramm entwurzelt ihre Familien aus dem Land, in dem sie gelebt haben, und sie teilen mit ihren inhaftierten Verwandten das Etikett „Verräter“, was sie alle der Gefahr des Todes aussetzt.

Die Probleme, die in vielen Strafvollzugsanstalten akut sind, kommen hier voll zum Tragen. In diesem Gefängnis muss der allgegenwärtigen Macht des Bösen das entgegengesetzt werden, was  als „die explosive Kraft der Hoffnung“ bezeichnet werden kann. Dies muss an der Kultur des Todes gemessen und durch eine starke Kultur des Lebens bekämpft werden. Und vor allem Nähe. Die Kultur des Todes ist mächtig. Sie ist allgegenwärtig. Mich hat beeindruckt, was der Schweizer Gefängnisseelsorger über den assistierten Suizid gesagt hat… Andere Beispiele sind: Taufen auf die Ndrangheta… Unsere Schwester Muerte in El Salvador. Es gibt keinen freien Willen (free will / libero arbedrio,) ohne Vertrauen, ohne Einfühlungsvermögen, ohne unentgeltliches Bündnis. Der völlig einsame Mensch ist Jesus am Kreuz. Aber solange wir nicht am Kreuz sind, können wir die anderen nicht „aus sicherer Entfernung“ auffordern, das Gute zu wählen, nur weil wir glauben, dass wir anders sind. Um dies zu tun, müssen wir ihnen nahe sein, sehr nahe, so nahe, dass wir miteinander Entscheidungen treffen, die sich vielleicht sogar auf mein eigenes Leben auswirken. […]

Befreiung beginnt mit „nicht urteilen“

Die „totale“ Institution klassifiziert und entmenschlicht. So wie in den Krankenhäusern die Patienten nach Krankheitsbildern eingeteilt werden, so werden auch in den Gefängnissen die Menschen nach Vergehen, Dauer der Strafe oder Strafverfahren getrennt oder zu einer Gruppe zusammengefasst. Alles verweist auf die Vergangenheit und fast nichts bietet eine Zukunft. Das Gefängnis, jedes Gefängnis, könnte mit dem verglichen werden, was Marc Augè „Nicht-Orte“ nennt, d.h. Institutionen, in denen das Individuum alle seine spezifischen Eigenschaften verliert und es an persönlicher oder kollektiver Identität und Beziehungen mangelt.

Felice, 41 Jahre alt, schreibt: „Liebe Luigia, im November werden es 23 Jahre sein, dass ich mich im Gefängnis befinde, und ich spüre jeden Tag, was es bedeutet, ein Gespenst zu sein, das niemand sieht und dem niemand Beachtung schenkt, das aber existiert und Gefühle empfindet, wie jeder andere auch… Einige halten mich für ein Monster, einige für mein altes Leben, andere (er bezieht sich auf diejenigen, die er „verraten“ hat, um sich für die Kollaboration zu entscheiden), für dieses neue Leben …“. Felice hat im Gefängnis studiert, seinen Abschluss gemacht und angefangen, Gedichte zu schreiben, weil „sie mich in einer Fantasiewelt leben lassen, in der alles möglich ist, eine Welt der Gefühle, der Freundlichkeit und der Leidenschaft, der Freudentränen, der Zärtlichkeit. Ich brauche sie. Mein Herz braucht es. Nach einem Leben als Fremder in der Welt möchte ich ein Teil von ihr sein“.

Du bist wertvoll…

Es gibt eine Sehnsucht in ihm und in vielen anderen. Die Sehnsucht nach einer Familie, nach Bindungen, nach Unschuld und Zuneigung. Er drückt es in Prosa aus: „Bruder! Ich sehe dich inmitten einer Schar von Menschen unserer Art. Gefangene Seelen, zusammengehalten von Schmerz und Träumen. Ich sehe dich, ohne dich anzuschauen. Ich fühle dich, ohne dich zu berühren. In jedem Teil von mir lebt ein Korn, das zu dir gehört. In jedem Teil von mir ist eine Träne… Ich suche dich auf den Straßen, die ich noch nicht gegangen bin, wo alles mir Mut macht und mich erschreckt, wo alles ein Traum und ein Albtraum ist, wo alles mich an der Freude und am Schmerz der anderen teilhaben lässt, wo alles aus weit geöffneten Augen besteht, weil man sich nicht bewusst ist, dass man einzigartig und wertvoll ist, auch wenn das Leben es vor uns verborgen hat; auch wenn die Kälte und die in unserer Kehle erstickten Schreie uns immun gemacht haben gegen das Gute, immun gegen eine Zärtlichkeit, immun gegen eine Träne. Bruder, du bist wertvoll für mich, du bist wertvoll für jene, die nur so tun, als ob sie existieren, aus Angst zu sterben…“.

Als GefängnisseelorgerInnen sind herausgefordert! Das Gesicht des verlorenen und gesuchten Bruders kann mein Gesicht sein, unser Gesicht. Es ist vor allem das Gesicht Jesu, das wir „enthüllen“ können. Für Felice und viele andere ist die Hoffnung ein Grundbedürfnis, dringender als Hunger und Durst und am meisten verwehrt und entwürdigt. Jesus hat diese Hoffnung dem Schächer, der mit ihm gekreuzigt wurde, mit seiner unentgeltlichen Liebe angeboten und ihn nur gebeten: „Gedenke meiner, Herr, in deinem Reich“. Er bot sie an, ohne eine vorherige Bekehrung zu verlangen. Jesus war mit ihm am Kreuz. Mit ihm ging er in die Herrlichkeit des Vaters ein. Die Dankbarkeit ist bereits ein Zeichen, das die Stigmatisierung aufhebt, das erstaunt, das wiederbelebt. Beim Überschreiten der Schwelle dieses Gefängnisses (Paliano in der Nähe von Frosinone in Latium) habe ich gelernt, auf jede Art von Beurteilung zu verzichten und zusammen mit meinen Freunden von Sant’Egidio in erster Linie Menschen, Gesichtern, und Namen zu begegnen, die ein großes Bedürfnis danach haben, Wertschätzung, Vertrauen und einen freundlichen Blick zu empfangen.

Barrieren fallen

Die Welt ist nicht geteilt in diejenigen, die Verbrechen begehen, und diejenigen, die sich davon fernhalten. Ich denke, wir müssen uns immer die berechtigte Frage stellen, warum sie „drinnen“ sind und wir „draußen“. Die Antwort hat mit einem Geheimnis zu tun. Ich habe mir, genau wie Sie, nicht ausgesucht, in welche Familie ich hineingeboren werde. Ich habe nicht in einem Umfeld gelebt, in dem das Böse und seine beherrschende Kraft mir die Entscheidungsfreiheit genommen haben, als ich jung war. Ich hatte andere Möglichkeiten als andere. Aus eschatologischer Sicht weiß ich, dass unsere Brüder und Schwestern im Reich Gottes an mir vorbeiziehen können. Zöllner, Prostituierte, Sünder haben mehr als die „selbsternannten“ Gerechten Gott, seine Barmherzigkeit und die Freude der Vergebung kennen gelernt. Sie haben an seine rettende und mächtige Kraft geglaubt. „Meine“ Zeit, die ich mit ihnen verbracht habe, hat wahrscheinlich nicht das gleiche Gewicht bei der Beurteilung des Guten, als das derjenigen, die weniger empfangen haben und im Gefängnis sind. Die „anawim“, die Armen im Geiste, machen Geschichte, sie stellen sie auf den Kopf, mehr als die Gelehrten und Intelligenten. Die Nähe zu diesen Freunden ist für mich, für uns, eine besondere Gelegenheit, gemeinsam gerettet zu werden. Kann das Evangelium, dessen Zeuge wir sind, Schicksale aufbrechen und umdrehen? Mauern niederreißen? Ist das Pädagogik oder die Umsetzung der paulinischen Aussage, dass es in Christus „weder Heiden noch Juden, weder Sklaven noch Freie“ gibt? Ist das christliche Rhetorik oder die Realität der Kirche, die prophetisch und demütig auch durch uns leben könnte?

Detail eines Kirchenfensters: Gefangene besuchen

Last eines Fluches?

Mir scheint, dass viele von ihnen auch in anderen Arten von Strafanstalten – dabei müssen wir bedenken, dass sie auch von unschuldigen und armen Menschen bevölkert sind – die Last eines „Fluchs“ spüren. Sie sagen von sich selbst mit Schmerz: „Ich bin verflucht.“ Sie ähneln dem besessenen Mann von Gerasa (Mk 5,1-20). Die Hartnäckigkeit des Bösen ließ ihn in einem tragischen Zustand leben. Ein Inhaftierter von Regina Coeli: „Ich bitte dich, Herr, mein Gott, ich flehe dich an, treibe den Dämon aus mir aus, der mich dazu treibt, Dinge zu tun, die ich nicht will.“ Der Dämon aus dem Evangelium sprengt Fesseln und Ketten und zeigt damit das zusätzliche Leiden, das durch die Fesselung entsteht, ohne vom Bösen zu befreien. Er lebte auf Friedhöfen, an Orten, die vom Tod und nicht vom Leben kündeten, wie es bei vielen Gefangenen der Fall ist. Die Ausgrenzung findet oft auch außerhalb des Gefängnisses statt und die Unreinheit – der „böse Geist“ – manifestiert sich als Distanz, Urteil, Einsamkeit. In der Einsamkeit verletzt man sich selbst, so sehr, dass man sich mit Steinen schlägt. Und wir sehen, manchmal hilflos, den Verfall des Lebens, das in Abhängigkeiten gefangen ist, die keinen Ausweg zu kennen scheinen. Der „Dämon“ des Alkohols, der Drogen und vieles mehr… Doch all diese verzweifelten Zustände ziehen Jesus an, der den See überquert und am heidnischen Ufer ankommt, wo sich all dies abspielt und die Bewohner es resigniert hinnehmen. […]

Akzeptanz und Möglichkeit der Vergebung

Gemeinsames Gebet sowie die Liturgie sind Räume des Trostes und der Freude, des Mitgefühls und der Heilung ihrer Wunden, aber auch Orte, um die Gegenwart im Licht des Evangeliums zu deuten. Diese gemeinsamen Momente, die persönliche Beziehung, das Fehlen von Beurteilung und das unentgeltliche Vertrauen sind eine Voraussetzung oder ein Versprechen der Vergebung, die in der sakramentalen Beichte ausgedrückt werden kann. Eine einladende Gemeinschaft zeigt schon die Möglichkeit der Versöhnung auf. Verweigerte oder nie angebotene Vergebung ist ein Grabstein für die Zukunft. Es gibt ein inneres Leiden, dem begegnet werden, das angenommen und geheilt werden muss.

David Mathis, der in Louisiana in den Vereinigten Staaten zum Tode verurteilt wurde, schenkte mir ein Bild. Ein wehrloser Mann, mit einer Kette und einer Bleikugel an seinem Arm, wird von einem anderen Mann gestützt, der von hinten seine Schultern umfasst und ihn daran hindert, zu Boden zu sinken. Letzterer hat die Wundmale des Kreuzes an Händen und Füßen, er ist Jesus selbst, während die Bleikugel die von der Gesellschaft auferlegte Verurteilung ohne Erlösung, ohne Versöhnung darstellt. Jemand, der David Mathis besser kennt als ich, hat ein Gebet für ihn und für alle Gefangenen geschrieben. „Herr, der du die nicht verurteilst, die schon verurteilt sind, die nicht meidest, die schon gemieden sind, die nicht verachtest, die schon verachtet sind, denen vergibst, denen nicht vergeben wird, und denen, die schon leiden, keine Schmerzen zufügst, erhöre das Seufzen der Gefangenen und befreie die zum Tode Verurteilten. Sei der gute Freund derer, die der Freiheit beraubt sind. Erweiche die Herzen der Gefängniswärter, versöhne die, die gesündigt haben, mit denen, die gelitten haben. Du, der du den Apostel Petrus befreit hast, bewirke, dass jeder Mensch nur ein Gefangener der Liebe und der Vergebung ist.

Ich bin David und diesem Freund Davids dankbar, denn auch wenn sie nicht zum Tode verurteilt sind, empfinden viele unter den Gefangenen das gleiche Drama und haben niemanden, der sie befreit, niemanden, der sie versöhnt. Ihnen wird allenfalls das Heilmittel der Psychologie angeboten, Gespräche, die das Selbstwertgefühl wiederherstellen. Wir befinden uns in der Zeit der Dominanz des Ich´s, und die Psychologie scheint vieles zu erklären, aber es ist die Gnade, die das Leben bringt, sie kommt nicht von uns und ist größer als wir. Wir selbst sind „Begnadete“, und deshalb können wir nicht umhin, sie denen anzubieten, denen sie bisher vorenthalten wurde oder die nicht wussten, dass sie sie erbitten können. Die Gnade des Sakraments der Versöhnung durchbricht die Kette des Bösen, sie ist der Beginn der Auferstehung. […]

Wort Gottes ist nicht gefesselt

Papst Franziskus hat das Fest des Wortes Gottes mit tiefem Verständnis eingeführt. Er hat uns dazu bewegt, die Bibel zu lieben, sie zu verehren, sie zu lesen. Man muss sie den Gefangenen anbieten und sie mit ihnen teilen. Auf eine einfache, aber nicht weniger tiefgehende Weise. Jeder kann ein „Zeitgenosse“ der Apostel, der Hauptfiguren des Ersten und des Neuen Testaments werden. Jeder kann mit seinem Leben eine neue Seite im Buch der Apostelgeschichte schreiben. Das Fest des Wortes, dessen Datum auf den dritten Sonntag der Zeit im Jahreskreis fällt, kann eine Gelegenheit zur kostenlosen Verteilung der Bibel sein und das Wort ist der Schlüssel zu einer näheren Kenntnis des Herrn selbst. Aus dieser Liebe kann der Glaube geboren oder wiederbelebt werden. Es gibt also viele, die „nicht wissen“, dass sie bereits glauben, weil sie sich nach der Freundschaft Gottes sehnen, aber es gibt niemanden, der ihnen das Wesentliche erklärt. Ein Gefangener schrieb: „Lieber Freund, du weißt, dass ich nicht an Gott glaube, aber ich glaube an das Gute und die Menschlichkeit. Du weißt, dass ich die ganze Bibel gelesen habe und dass ich von den Religionen fasziniert bin, besonders vom Christentum. Ich bin fasziniert von Männern und Frauen wie dir, die die Gabe des Glaubens haben. Der Glaube hat etwas Geheimnisvolles, etwas Innerliches an sich. Ich kann nicht anders, als an die vielen Märtyrer zu denken, die ihr Leben für den Glauben geopfert haben, und Märtyrer bedeutet Zeugen.“ Dieser gefangene Freund, der sagt, dass er nicht glaubt, sagt, wenn er in großen Schwierigkeiten ist: mit Gottes Hilfe…

Hoffnung ist ansteckend

Das Gute evangelisiert, das Wort evangelisiert und reinigt die Umgebung von Verzweiflung. Es macht die Umgebung menschlicher, auch für diejenigen, die anderen Glaubensgemeinschaften angehören. Die Hoffnung ist auch ansteckend. Wie die Vermehrung der Brote hat die Kenntnis des Evangeliums eine eigene Kraft. Man muss sie wirken und wachsen lassen. Wir leben nicht mehr in einer Zeit, in der die Weitergabe des Glaubens im Übergang von einer Generation zur nächsten stattfand. Wir müssen das Wesentliche des Alphabets des Wortes Gottes ausfindig machen und weitergeben und dabei fast bei Null anfangen. Es ist eine Einladung, die Botschaft in verständlichen und einfachen Worten neu zu überdenken. Ich glaube, wir können das Leben der Gefangenen mit den alten Gesten der Kirche begleiten. Das Wort Gottes ist nicht gefesselt und wir können das tiefe religiöse und menschliche Bedürfnis der Gefangenen aufgreifen. Und wenn es an SeelsorgerInnen und Priestern mangelt, werten wir die „Laien“ auf. Sie sind die VerkünderInnen der Frohen Botschaft. Das eucharistische Brot wird vom Brot des Wortes begleitet. Dieses kann von ihnen allen mit Leidenschaft und Kreativität gebrochen und verteilt werden. Wir sind alle miteinander verbunden. Wir sind ein Volk. Schlussendlich wollen wir denen, die draußen sind, die Welt der Gefängnisse näherbringen: den Pfarreien, den Gruppen. Jeder möge wenigstens einmal Jesus in seinen gefangenen Brüdern und Schwestern besuchen. Im Gefängnis erleben wir eine Freude und ein Staunen, das den anderen nicht vergönnt ist. Es ist die Freude der Liebe Gottes, die Fleisch wird und von Ostern und der Auferstehung spricht.

Erleben ein Privileg

Möge das Gefängnis für uns ein privilegierter Ort der Begegnung mit den tiefsten Wurzeln unseres Glaubens sein. Wir erleben ein Privileg. Denn es ist uns klar, dass im Gefangenen, unabhängig von seinem Alter oder seinem Zustand, unabhängig vom Grund seines Leidens oder des begangenen Verbrechens, Jesus selbst erkannt wird, der darum bittet, in seinen jüngeren Brüdern und Schwestern, die Gefangene sind, besucht zu werden. Dieser Mann, diese Frau, ist oft auch der Hungrige, der Durstige, der Nackte, der Kranke. Die Verzweiflung und das Gefühl der Verlassenheit erinnern an den Schrei Jesu, der am Kreuz betet und in seinem eigenen Schmerz die ersten Worte von Psalm 22 aufgreift. Der Schmerz über die Verlassenheit von Gott auf den Lippen und in der Seele des Gekreuzigten ist nicht unähnlich den Wehklagen, die aus den Zellen aufsteigen. Wir wissen, dass der Psalm mit einem Bekenntnis des Glaubens an den Vater endet und dass sich Jesus in seinem Sterben wieder mit ihm vereint. Und wir werden aufgefordert, nicht das „Mögliche“ zu tun, sondern an das Unmögliche zu glauben. Alles zu tun, damit auch unsere inhaftierten Brüder und Schwestern Vertrauen und Hoffnung finden.

Marco Gnavi | Europatreffen in Würzburg, Mai 2023

 

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