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Die Konfession spielt im Jugendvollzug keine Rolle

31. Januar 2023

Michael King kümmert sich seit zehn Jahren um die Sorgen von jugendlichen Inhaftierten. Bei ihm gibt es bequeme Sessel, warmen Kaffee und klare Grenzen. Auf den Fluren der Justizvollzugsanstalt herrscht reger Durchgangsverkehr. Jugendliche Inhaftierte in khaki- und beigefarbener Anstaltskleidung werden von Justizvollzugsbeamten in dunkelblauer Uniform durch das Gebäude geleitet.

Michael King grüßt freundlich und schließt Türen auf und zu. „Anfangs wollte ich keinen Job, in dem ich den ganzen Tag mit einem Schlüssel herumlaufen muss“, sagt King. Draußen auf dem Hof geht es vorbei an einem Rest der historischen rostroten Gefängnismauer, die seit der Erweiterung des Geländes von der neuen Mauer eingeschlossen wird. Ein Polizeiwagen fährt mit einem neuen Häftling vor. „Für ihn geht es als erstes dort unten in die Schleuse, Anstaltskleidung anlegen“, erklärt King. Der Weg von der Besucherpforte bis zur Gefängniskirche ist lang. „Waren Sie schon mal im Gefängnis?“, fragt Michael King. Er führt durch die zentrale Halle, von der aus die langen Flure mit den Zellen kreuzförmig abzweigen. Die Halle selbst ist hoch und offen. Die einzelnen Etagen sind durch Netze getrennt. „Damit keiner springt“, erklärt King. Die Justizvollzugsanstalt Herford wurde vor 140 Jahren als preußisches Zuchthaus eröffnet. Heute ist es eine Mischung aus historischen Gebäuden und Neubauten, in denen mehr als 200 Beschäftigte als Justizvollzugsbeamte oder im psychologischen, pädagogischen oder einem der anderen Fachdienste arbeiten.

Gefängnisseelsorger King zeigt das Modell der JVA in der Gefängniskirche der Anstalt in Herford. Fotos: Julia Steinbrecht, KNA

Die 14- bis 24-jährigen Inhaftierten gehen hier zur Schule und in die anstaltsinternen Ausbildungsbetriebe wie die Schlosserei, Bäckerei oder Tischlerei. „Es ist quasi eine Stadt in der Stadt“, sagt King. „Ich komme gerne hierher. Auch wenn es kein guter Ort ist.“ An der Spitze des Kreuzbaus liegt die Kirche und darin die Büros der beiden Gefängnisseelsorger. Stefan Thünemann ist als evangelischer Pastor angestellt, Michael King ist katholisch. Wobei die Konfession kaum eine Rolle für ihre Tätigkeit spiele, sagt King. Vielmehr sei es sehr wichtig, dass sie als Kollegen gut zusammenarbeiten. Wenn das nicht funktioniere, würden die Gefangenen das sofort merken. „Die Inhaftierten können gut spalten. Aber wir lassen uns nicht auseinanderdividieren.“

Geständnisse muss er für sich behalten.

Zu den Aufgaben der Gefängnisseelsorger gehören die sonntäglichen Gefängnisgottesdienste und die seelsorgerischen Gespräche, auf die jeder Inhaftierte ein Anrecht hat. Die Mehrheit der Inhaftierten habe keinen Kirchenbezug, sagt King. „Auf dem Papier“ sei vielleicht eine Handvoll katholisch. Letztlich gehe es in den Gesprächen um sehr weltliche Themen: Beziehungsprobleme, Berufswahl und Sorgen hinsichtlich der Zeit nach der Entlassung. Eine Stunde Zeit nimmt sich Michael King für seine Gesprächspartner. Zuvor muss der Gefangene einen kurzen schriftlichen Antrag stellen und die Gesprächstermine müssen mit den Schul- oder Arbeitszeiten koordiniert werden. Wenn alles abgestimmt ist, holt King den Gefangenen aus dem Haftraum ab und nimmt ihn mit in sein kleines Büro. Dort gibt es etwas Warmes zu trinken und gepolsterte Sessel, eine Besonderheit im Gefängnisalltag.

„Manche wollen jeden Tag kommen, aber das schaffe ich nicht“, sagt King. Alles, was die Gefangenen ihm anvertrauen, unterliege der Schweigepflicht, sagt King. Er müsse nichts dokumentieren und habe vor Gericht in seiner Funktion als Seelsorger das Zeugnisverweigerungsrecht. Es komme vor, dass Inhaftierte ihm anvertrauen, die Schuld für eine Straftat für jemand anderen auf sich genommen zu haben. Auch Suizidgedanken oder Drogenkonsum der Inhaftierten behält King für sich. Manchmal bitten ihn Gefangene um ein Telefonat oder darum, einen Brief mit nach draußen zu nehmen. „So etwas lasse ich natürlich nicht mit mir machen“, sagt King. Er sei eine Vertrauensperson, die nachfrage, Rückmeldung gebe und konfrontiere. Aber er sei kein Behandler, gebe keine Ratschläge oder empfehle die Bibellektüre. „Ich habe nicht das Ziel, jemanden zu verändern“, sagt King.

Attackiert habe ihn noch niemand in der Zweisamkeit des abgelegenen Büros im Kirchraum. Nur einmal sei ein Inhaftierter auf einen anwesenden Bediensteten losgegangen, als King ihn aus seiner Zelle abgeholt habe. Danach habe auch er ein Gesprächsangebot vom psychologischen Dienst bekommen. „Das fand ich gut“, sagt er. Während des Gesprächs fällt in unregelmäßigen Abständen eine Tür donnernd ins Schloss. „Ich höre das schon gar nicht mehr“, sagt King. Türen seien ein großes Thema im Gefängnis. Zu Beginn habe er ein Problem damit gehabt, Inhaftierte nach dem Gespräch wieder in der Zelle einzuschließen. Auch haben sich Gefangene bei ihm schon über das laute Türenknallen von Bediensteten beschwert. Er habe versucht, zu vermitteln. „Da ist nichts zu machen“, sagt er schulterzuckend.

Türen sind ein großes Thema im Gefängnis

Zu seinen Gottesdiensten kommen gut 20 Gefangene. Er arbeite mit Symbolik, dem Entzünden von Kerzen, spreche Segen, das Vaterunser und spiele Lieder auf der Gitarre. „Aber da singt keiner mit“, sagt er. Auch Bibelgeschichten mit einem Bezug zur Gegenwart erzähle er. „Hier kann man sich nicht hinter frommen Sprüchen verstecken“, sagt er. Die Reaktion seiner Gottesdienstbesucher komme unmittelbar. Im Zweifel sei das auch mal: „King, was erzählst du hier für eine Scheiße.“ Manchmal geraten Michael King und Stefan Thünemann zwischen die Fronten. „Wir haben Schlüssel und bekommen viel Vertrauen von allen Seiten“, sagt er. Manche Bediensteten finden, sie haben zu viele Freiheiten. Doch sie seien keine „Gutmenschen“, sie lebten in der Realität. Auch ihm falle es manchmal schwer, Empathie gegenüber Gewalttätern zu zeigen, sagt King. „Wenn ich mitbekomme, dass Zigaretten bei anderen Mitgefangenen auf der Haut ausgedrückt werden oder jemand sexuell bedrängt wird, kriege ich die Wut.“ Manchmal sei seine Aufgabe auch, Abgründe und Dunkelheit auszuhalten. Trotzdem findet er seine Arbeit erfüllend: „Hier zu arbeiten, ist existenziell.“ NW Artikel

Linda Schnepel | Mit freundlicher Genehmigung: Neue Westfälische

 

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