Am Elbufer in Magdeburg sitzt sie, die Hörende. Die Skulptur einer Frau, im Rücken die Straßen der Stadt und vor sich die Elbe. Entspannt sitzt sie da, wach und den Moment mit allen Sinnen genießend, unberührt von all dem geschäftigen Treiben rundherum. Nennen wir sie Maria, wie in jener Geschichte von den beiden Frauen, die Jesus in ihr Haus aufnehmen.
Da ist die hörende Maria mit ihrer Schwester, der sorgenden Marta, und beide gemeinsam sind sie Gastgeberinnen für Jesus, den wandernden Botschafter vom Reich Gottes. Für die gesellschaftlichen Verhältnisse der biblischen Zeit mit einem durch und durch patriarchalen Denken und Handeln ist es außerordentlich, dass hier zwei Frauen entscheiden, wo es langgeht.
In jedem Menschen integriert
Womöglich aber gilt dies nicht nur für die biblische Zeit, sondern auch noch für heute, wo immer noch manche Männer glauben das Sagen zu haben, während die Frauen schon entschieden haben. Doch sehe ich in dieser Frauengeschichte keinen Grund für Geschlechterzuschreibungen, vielmehr scheinen mir die Hörende und die Sorgende zwei weibliche Seiten in jedem Menschen zu sein, mal wirkt mehr die eine, mal mehr die andere. Und wie bei Schwestern werden Hören und Sorgen manches Mal verwechselt, dabei sind sie eigentlich so unterschiedlich.
In Sorgen verstrickt
Das Sich-Sorgen-machen der Marta kennen alle, und es ist wirklich ein Machen und Tun, dirigiert von der Sorge, die immer sagt, dass es nicht reicht, was jetzt ist. Hier geht es nicht darum, dass Marta sich um den Gast kümmert, sondern dass sie diesen gar nicht wahrnimmt, weil sie in ihre eigene Sorge so verstrickt ist. Antreiber in der sorgenden Dynamik sind die eigenen Ansprüche, die sich auch gern noch vervielfältigen, wenn sie das Steuer einmal übernommen haben. Leider gehen mit den eigenen Ansprüchen im Strudel der Sorge auch die jeweiligen Begründungen mit, gern auch moralisch, warum es jetzt aber auch wirklich wichtig ist, dies oder das zu tun und auf keinen Fall davon abzulassen. Kein Wunder, dass Marta in der Geschichte so energisch auftritt und will, dass sie nun endlich gewürdigt wird in ihrer Sorge und dass Maria desgleichen tut.
Kein passives Nichtstun
Jesus, der vielleicht gerade den Wein genossen hat, den Marta für ihn zubereitet hat, und der sich wohl fühlt an diesem Platz, den sie für ihn hergerichtet hat, verurteilt nicht ihr Handeln, sondern benennt klar, was im Moment geschieht: „Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen“. Und er lädt sie in eine andere Haltung ein, die Haltung der Maria, denn „nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt“. Die Hörende sein – im Gegenüber zur sorgenden Marta klingt dies hier wie ein passives Nichtstun. Dabei ist das wirkliche Hören sehr aktiv, denn es bedeutet Hingabe. Die Hörende öffnet sich ganz, sie lässt die eigenen Ansprüche sein und widmet sich mit ganzer Wachheit dem anderen Menschen, sie unterbricht nicht und sie urteilt nicht, stattdessen lässt sie sich ein in den Fluss des Geschehens. Das Nicht-urteilen und das Absehen von den je eigenen Ansprüchen ist echte innere Arbeit, denn beides drängt sich stets und ständig auf. Die Hörende sein erfordert deswegen eine bewusste Wahl, wie es Jesus nennt.
Er ist der Gast der beiden Frauen: Jesus, der vom Anbruch des Reiches Gottes kündet, nicht irgendwann, sondern hier und jetzt. Wir glauben an seine Auferstehung – wie oft also taucht dieser Gast auf in unseren Begegnungen? Wie oft geschieht es, dass wir in einem Gespräch oder auch im stillen Beieinandersein ein wirklich tiefes Angesprochen sein erfahren? Wo wir uns im Moment absolut aufgehoben wissen und getragen von großem Vertrauen? Womöglich kommt dieser Besuch öfter als wir es bemerken – es käme darauf an, der hörendenden Maria in uns so viel wie möglich die Regie zu überlassen.
Christoph Kunz | Magdeburg