Der Dokumentarfilm „Jenseits von Schuld“ erzählt die Geschichte von Ulla und Didi Högel, die sich alle Mühe gegeben haben, ihren Sohn mit Liebe und Vernunft zu erziehen. Nichts in ihrem Familienleben deutete darauf hin, dass ihr Sohn eines Tages zu einem Serienmörder werden würde. Niels Högel hat als Krankenpfleger vermutlich hunderte Menschen umgebracht, verurteilt wurde er für 87 Morde. Niels Högel hat während seiner Tätigkeit als Krankenpfleger in Delmenhorst und Oldenburg 87 Menschen umgebracht, weil er sie “retten” wollte.
Fall Niels Högel
Ab Januar 2014 ermittelte die Staatsanwaltschaft Oldenburg wegen der Fälle in Delmenhorst erneut gegen Högel. Im September 2014 wurde er wegen dreifachen Mordes und zweifachen Mordversuchs angeklagt. Högel gestand diese Fälle und gab an, 30 weitere Morde begangen zu haben. Am 28. Februar 2015 wurde er unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld vom Landgericht Oldenburg zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich Högel im Klinikum Delmenhorst des zweifachen Mordes, des zweifachen Mordversuchs sowie gefährlicher Körperverletzung in einem weiteren Fall schuldig gemacht hatte. Das Urteil wurde im März 2015 rechtskräftig.
Im Januar 2018 erhob die Staatsanwaltschaft Oldenburg erneut Anklage gegen Högel. Am 6. Juni 2019 wurde Högel in 85 Fällen schuldig gesprochen und zum zweiten Mal zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht wertete das Motiv Högels, nach einer etwaigen Rettung der Patienten als Held dazustehen, als Mordmotiv des niedrigen Beweggrunds und stellte die besondere Schwere der Schuld fest.
.
Von einem auf den anderen Tag ist die Schuld ihres Sohnes über Ulla und Didi hereingebrochen und seitdem ist ihr Leben unweigerlich mit diesen Taten verknüpft. Auch nach Jahren rotieren die Fragen im Kopf, weil keine Antwort Antwort genug ist, um Ruhe zu finden. Und dann werden sie noch von außen erinnert: Es gibt wieder einen neuen Prozess, der sich diesmal gegen mögliche Mitwisser richtet. Wieder ist alles in den Nachrichten, wieder in den Zeitungen, ganze TV-Serien werden über ihren Sohn gemacht. Immer wieder werden ihre Namen genannt, Ulla und Didi Högel, ihre Berufe, Details aus ihrem Familienleben, so als hätten sie durch ihre Elternschaft jedes Recht auf Privatsphäre verwirkt.
An die Grenze gehen
Für seine Eltern Ulla und Didi Högel ist die Schuld ihres Sohnes eine schwere Belastung, von der sie immer wieder an ihre Grenzen gebracht werden. Sie haben sich entschieden, zu ihm zu halten und ihn nicht fallen zu lassen. Aber können sie ihm vertrauen? Alle Medien berichten, dass er manipulativ ist. Wer sagt, dass er seine Eltern nicht genauso manipuliert? Und was bedeutet das in der Konsequenz für sie selbst, ihre eigene Urteilskraft, ihre Identität? Ulla ist sich plötzlich nicht mehr sicher, ob sie sich dem gewachsen fühlt, einen Dokumentarfilm zu machen. Und Didi, der immer ausgleichend zwischen ihr und dem Sohn wirkt, reagiert mit Herzproblemen. Ulla und Didi haben gelernt, ihren Alltag in diesem extremen Spannungsfeld zu bestreiten. Und sie lernen es immer wieder aufs Neue. Vielleicht lernen sie es auch nie wirklich. Aber sie stellen sich und gehen an ihre Grenzen, menschlich, als Eltern und als Paar.
Neue Perspektive
Man ist bestrebt, alles in Gut und Böse einzuordnen. Keine Einordnung treffen zu können, macht unruhig und orientierungslos. Wie sollen moralischen Maßstäbe definiert werden? Der Täter darf nicht mehr der liebenswerte Sohn sein, der er auch war. Alle positiven Attribute gelten für ihn nicht mehr. Das wirkt hinein in die Identität der Familie und formt sie nachträglich um: Der Sohn ist ein Mörder und deshalb waren sie keine glückliche Familie. Dabei hat ihre Geschichte anders begonnen: Sie haben ein Kind bekommen und wollten, dass es glücklich und ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft wird. Das Filmteam wählt eine neue Perspektive, die nicht zulässt, dass die ZuschauerInnen sich abgrenzen und moralisch über die Eltern erheben, sondern sie fordert, sich einzufühlen.