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Die Angehörigen von Inhaftierten sind mitgefangen

27. Oktober 2022

Wenn ein geliebter Mensch inhaftiert wird, ändert das nicht nur das Leben des Gefangenen, sondern auch das seiner Partner/in, Eltern und vor allem der Kinder. Die Anlaufstelle SKM Rückenwind- Hilfen für Angehörige Inhaftierter in Wittlich kennt die Sorgen und Nöten der Zurückgebliebenen nur zu gut. Aussagen wie „seit der Inhaftierung hat sich nicht nur sein Leben verändert, sondern auch unseres. Es fällt schwer zu glauben, dass er nun im Gefängnis lebt“ sind die Regel. „Es ist wie ein kleines Sterben. Für eine gewisse Zeit ist er ja weg“, beschreibt die Mutter eines Inhaftierten den Verlust ihres Sohnes.

Die Belastungen der Angehörigen sind sehr unterschiedlich: Eltern sind meist mit der Inhaftierung ihrer Söhne konfrontiert. Sie quälen häufig Scham- und Schuldgefühle. Nicht selten sind sie fassungslos und kennen die Abläufe im Strafvollzug kaum. Unterschiedliche Auffassungen zur Kindeserziehung und damit einhergehenden Schuldzuweisungen führen oftmals dazu, dass sie sich in ihrer eigenen Paarbeziehung unverstanden und einsam fühlen. PartnerInnen sind plötzlich alleinerziehend und fragen sich, wie sie den Kindern die neue Situation erklären können. Ein mögliches Gefühlschaos aus Liebe und Wut beunruhigt und verunsichert zusätzlich. „An manchen Tagen fühle ich mich wie gelähmt, hilflos und verloren. Aber ich muss stark bleiben, vor allem für die Kinder“, erklärt eine Partnerin eines Inhaftierten mit drei Kindern. Frauen kämpfen um die Existenz ihrer Familie. Zudem erleben sie, dass ihr soziales Umfeld sie oftmals meidet, was wiederum Schamgefühle auslöst.

Modellprojekt der JVA Wittlich

Die Anlaufstelle SKM Rückenwind – Hilfen für Angehörige Inhaftierter – nimmt sich den Sorgen und Nöten aller Menschen an, die eine nahe stehende Person im Gefängnis besuchen, sich um diese sorgen und von deren Inhaftierung mitbetroffen sind. Das Angebot ist unabhängig von Konfession, Nationalität und Alter. Jeder Mensch, der sein Herz ausschütten möchte, einen Rat sucht oder sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befindet, darf sich Rückenwind anvertrauen. Im Mittelpunkt der Hilfen steht der Angehörige mit seinen individuellen Bedürfnissen, seinen Gedanken und seiner persönlichen Lebensgeschichte. Unter der Trägerschaft des SKM-Diözesanvereins Trier e.V. wurde das Unterstützungsangebot als bundesweites Modellprojekt aufgebaut. Es ist direkt gegenüber der Justizvollzugsanstalt Wittlich, der größten Haftanstalt in Rheinland- Pfalz, angesiedelt. Eine sozialpädagogische Fachkraft und zwölf ehrenamtlich Engagierte kümmern sich um die Belange der Ratsuchenden.

Angehörigen beistehen

Rückenwind bietet neben Fachberatung zum Strafvollzug und allgemeiner Sozialberatung auch die Weitervermittlung an Beratungsstellen in Wohnortnähe. Während der Besuchszeit können die Räume zur Überbrückung von Wartezeiten genutzt werden. Nach vorheriger Absprache ist auch Kinderbetreuung möglich. Beratungs- und Unterstützungsangebote orientieren sich dabei am Prinzip der Freiwilligkeit. Umfang und Dauer der Hilfen werden von den Betroffenen selbst bestimmt. „Gehört und verstanden zu werden ist für die Betroffenen äußerst wichtig. An den Regeln des Justizvollzugs können wir nichts ändern, aber wir können den Angehörigen beistehen, diese Zeit auszuhalten,“ erklärt der ehrenamtliche Projektleiter Hans Peter Pesch. Er führt weiter aus: „Christliche Nächstenliebe in die Tat umsetzen ist ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit.“

Gefängnisseelsorge wichtiger Partner

Ein bedeutender Kooperationspartner ist aus Sicht der Mitarbeitenden die Katholische Gefängnisseelsorge. Während diese in erster Linie den Gefangenen hinter den Mauern Rückhalt geben, leistet Rückenwind den Angehörigen vor der Mauer Beistand. Gemeinsam ist beiden Unterstützern die von der Justiz unabhängige Stellung im Strafvollzug. Im Gegensatz zu den Bediensteten der Haftanstalten, die verpflichtet sind jegliche Informationen über den Gefangenen und dessen Angehörige für den Vollzugsplan zu dokumentieren, sichern die Gefängnisseelsorger als auch das Team Rückenwind den Betroffenen Verschwiegenheit zu. Diese Sonderstellung im Vollzug bietet Raum über tatsächliche Gefühle und Sorgen der Familien zu sprechen. Die Vernetzung der katholischen Gefängnisseelsorge mit der Angehörigenbetreuung ermöglicht darüber hinaus eine ganzheitliche Betrachtung der von Haft betroffenen Familien. So nimmt Rückenwind beispielsweise bei familiären Sorgen oder Beziehungsproblemen in Absprache mit den Angehörigen Kontakt zur Seelsorge auf, um beispielsweise entlastende Gespräche einzuleiten oder den Besuchskontakt zwischen Vater und Kind im Rahmen eines Sonderbesuches zu ermöglichen.

Da lebt Papa…

Kinder leiden besonders unter der Inhaftierung. Sie sind traurig und vermissen ihren Vater. Häufig verstehen sie gar nicht, warum er plötzlich nicht mehr nach Hause kommt und ihre Mutter so oft weint. Sie merken, dass etwas nicht stimmt, aber mit ihnen nicht darüber gesprochen wird. Viele Mütter trauen sich nicht in ihren Kindern die Wahrheit über den Aufenthaltsort des Vaters zu sagen. Dann ist der Papa häufig auf Montage oder im Krankenhaus. Die spürbare Erklärungsnot der Mutter verunsichert die Kinder zudem. Es treten vermehrt Schulschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten und Erziehungsprobleme auf. Für Kinder von Inhaftierten bietet Rückenwind erlebnispädagogische Angebote wie Tagesausflüge an. Weiterhin werden die Familien durch Kinderbücher unterstützt, die von Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Wittlich mitgestaltet wurden. Das Kinderbuch „Besuch bei Papa“ beschreibt kindgerecht die Situation beim ersten Besuch in der Haftanstalt und enthält drei Geschichten zum Nachdenken für Erwachsene. Mit dem Kinderbuch „Da lebt Papa“ wird das Leben im Gefängnis veranschaulicht. Beide Bücher sind bei SKM Rückenwind erhältlich.

Melanie Begon, Dipl. Pädagogin, SKM Rückenwind 

 

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