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Der kleine König. Jeder Mensch hat diese Würde

1. Mai 2021

Ein besonderer Zugang in der hessischen Justizvollzugsanstalt Butzbach, freiwillig gekommen – sozusagen Selbststeller, bleibt länger: Eine Skulptur, eine grobe Holzplastik aus altem Eichenholz, aus einem Stück geschlagen, Hemd und Hose angemalt, lächelt uns an und – hat eine goldene Krone in der Hand. Ein kleiner König ist im Butzbacher Gefängnis eingezogen. Der Tischler und Diakon Ralf Knoblauch, Seelsorger in Bonn, hat ihn geschaffen.

Ralf Knoblauch hat schon ganz viele geschaffen. Solche Königinnen und Könige sind bei der Caritas, in Krankenhäusern, in Kirchen und Seniorenheimen, in Arztpraxen und Ausstellungen… Sie stehen in Abu Dhabi, Chicago, Bonn und Wattenscheid, verbrannt im Flüchtlingslager Moria, in Hongkong und Jerusalem, in Spanien und in der Türkei, auf dem Flüchtlingsschiff Alan Kurdi, in Indien und Indonesien, in Wuppertal und in Oman…  Nähert man sich Ralf Knoblauchs Königsskulptur, so scheint sie zu sagen: „Rühr mich an!“ Man kann fast nicht anders, als ihnen über die Köpfe zu streichen und die Materialität des Holzes, seine Schrunden, Risse und Unebenheiten zu spüren. Ralf Knoblauchs Königskulpturen sind Menschen – Menschen wie du und ich.

Jeder Mensch ist ein König, denn er hat eine unverlierbare Würde, sagt Diakon Ralf Knoblauch. Er er schnitzt kleine Männer und Frauen aus Holz als Botschafter der Menschenwürde und verschickt sie in die ganze Welt.

Könige gibt es viele

Der Mensch ist die Lösung. Der berührbare Mensch. Der verletzliche Mensch. Der Mensch, der – wie alle Königskulpturen – die Augen geschlossen hat. Wer die Augen geschlossen hat, macht sich besonders verwundbar. Er sieht nicht, was ihm geschieht. Man könnte ihm etwas antun; er ist verletzlich. „Die Würde kann dir keiner nehmen! Du bist ein Königskind, ein Geschenk Gottes!“ Das ist die Botschaft, die der Künstler Ralf Knoblauch mit seinen machtlosen und bescheidenen Königsskulpturen aus Holz seit Jahren transportiert. Das ist die Botschaft an uns. Und das an so vielen Orte dieser Erde. Jetzt auch in der JVA Butzbach. Könige gibt es viele im christlichen Glauben.

Im Alten Testament gibt es vor allem Königinnen und Könige, mancher eingesetzt gegen Gottes Bedenken. Die Weisen, die den beschwerlichen Weg nach Bethlehem gemacht haben, sind zu Königen geworden. Der eigentliche König ist Jesus, der Christus, selbst. Sein Königtum erahnen wir, wenn wir auf das Kreuz schauen. Von seiner Art des Königsseins hören wir besonders in der Leidensgeschichte und am Christkönigsfest. In der Kirche ist das Wort vom König eingegangen in die Taufe. Erfreulicherweise können wir die Spendung dieses Sakramentes immer wieder erleben. Mit dem heiligen Chrisam wird der Täufling zum Priester, König und Propheten gesalbt.

Kleiner Mut machender König

Der kleine Mann, der die goldene Krone gerade nicht auf dem Kopf hat, sondern in der Hand, läuft nicht Gefahr Macht und Herrschaft, möglicherweise sogar Unterdrückung auszustrahlen. Er ist auch nicht eingebildet. Ganz im Gegenteil. Er will uns erinnern und trösten und stärken. Er will uns anschauen in Tränen, Leid und Angst, in furchtsamen Gesprächen über die Zukunft oder die drohende Abschiebung; er ist ein Mutmacher. Er will uns treffen, wenn wir meinen, dass uns die Würde abhandengekommen ist oder genommen wird. Fast spielerisch und fröhlich wendet er sich uns zu. Er spricht (ganz leise): Jeder Mensch ist ein Königskind! Jeder ist ein kleiner König.

Warum? Gott liebt seine Geschöpfe. Diese Liebe ist unverlierbar; egal, was wir tun. Gott hat die Menschen als seine Ebenbilder erschaffen. Dieser Ausdruck „Ebenbild Gottes“ ist die Sprache der Bibel, um das auszudrücken, was wir heute als Menschenwürde bezeichnen. Menschenwürde wiederum kann und muss sich keiner von uns verdienen oder erarbeiten. Der kleine König hat also eine große Botschaft. Ich bin gespannt, welche Wege unser kleiner König gehen wird – zu Gefangenen, Bediensteten, Sozialarbeitern, Anstaltsleiter, in die Zentrale und ins Lazarett, zum Besuch und am besten auch in die B Zelle. Ein besonderer Zugang, freiwillig gekommen, bleibt länger: Eine grobe Holzplastik aus altem Eichenholz, aus einem Stück geschlagen, Hemd und Hose angemalt, lächelt uns an und – hat eine goldene Krone in der Hand. Ich habe den Wunsch, dass es vielen gelingt, die goldene Krone wieder auf den Kopf zu setzen.

P. Georg-D. Menke op, Pfarrer

 

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