Es waren mehrere „Bühnen“, auf denen der verabschiedete Vorsitzende Heinz-Bernd Wolters eine Rolle spielte. Eine Rolle, aber kein Theater. Er blieb er selbst: Heinz-Bernd, ehrlich, authentisch, zugewandt, warmherzig, aufmerksam, engagiert, zupackend… So erlebte ich ihn zumindest, seit er zum Vorsitzenden der Katholischen Gefängnisseelsorge Deutschland e.V. gewählt wurde – vor nunmehr zwölf Jahren.
Damals kam ich zur „Entlastung“ in die JVA Meppen – angedacht waren acht Jahre, zuletzt wurden es zwölf Jahre. Dabei war ich mehr als eine Entlastung. Was wie ein Kompliment für mich klingt, ist eigentlich ein Kompliment für Heinz-Bernd. Ich bekam meinen eigenen Spielraum, und der war weitaus größer als der gemeinsame, eher enge Büroraum. Da erlebte ich ihn vor allem in seinen verschiedenen Rollen. In seinem Büro, das er von Anfang an zu unserem gemeinsamen machte, ca. 15 qm Fläche, ein Schreibtisch mit Stuhl, ein PC, ein Telefon, ein Schrank, ein paar Regale, ein Fester zu einem trostlos anmutenden Innenhof. Da waren wir nahe beieinander – zwangsläufig, aber ohne Zwang. Ganz im Gegenteil.
Hinterbühne
Mehrere Bühnen gab es: bundesweit, diözesan- oder landesweit, JVA weit. Und dann gab es das enge Büro, die „Hinterbühne“ sozusagen. Hier erlebte ich ihn – zunächst nicht als der „große Vorsitzende“. Ich erlebte Ihn nicht nur als Chef, sondern mehr als Kollege, als einen sehr guten Praxisanleiter, als einen erfahrenen Ratgeber und nicht zuletzt als Freund, der mich auch an seinem Privatleben teilnehmen ließ: Sorgen um die alt gewordenen Eltern ebenso wie Freuden um das neugeborene Enkelkind.
Zeit der Vereinsgründung
Natürlich war er der Vorsitzende, sonst wäre ich nie nach Meppen gekommen. Und ich erlebte ihn auch als Vorsitzenden, aber mehr noch als Heinz-Bernd. Als einer, der nicht nur plante und agierte, sondern als einer der nachdachte, zuhörte, Fragen stellte und handelte, und zwar entschieden. Es brachte ihm nicht nur Freunde ein, als er die Konferenz in einen kanonischen Verein mit klaren Strukturen und Verantwortlichkeiten überführte. Der Weg zur neuen Satzung brachte viel Ärger und auch die eine oder andere Frustration mit sich. Sie war aber unverzichtbar und mit ihr die Klärung vereinssteuerrechtlicher Fragen, der Stress mit dem Finanzamt Berlin, Altlasten vergangener Zeiten.
Inhaftierte und deren Würde
Aber er blieb nie in diesem Gestrüpp – und ich habe es nicht zur Gänze durchforstet – hängen, sondern bewegte sich in der Weite von Ideen, die sich schlussendlich um das Eigentliche der Gefängnisseelsorge drehten: um die Inhaftierten und deren Würde, das Bemühen um einen menschlichen Strafvollzug, in dem diese Würde nicht auf der Strecke blieb. Deshalb auch sein großes Engagement für eine Ethik des Strafvollzuges, für die Etablierung von Ethikkomitees. Und so erlebte ich ihn auch als Beauftragten der Diözese Osnabrück für die Gefängnisseelsorge auf niedersächsischer Ebene, als Leiter des Gefängnispfarramtes im Emsland.
Gegenwind aushalten
Heinz-Bernd telefonierte viel, und er war viel unterwegs. Der direkte Kontakt war ihm wichtig: ins Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn, ins Katholische Büro in Hannover, ins Justizministerium ebenda. Er machte aber nicht nur Politik. Er war immer auch Seelsorger, er war da für die Inhaftierten. Seine theologische Heimat fand er in der Befreiungstheologie und deren entschiedenen Option für die Armen, für die Ausgeschlossenen. Hier traf er sich inhaltlich mit dem früheren Generalvikar des Bistums, was ihn bestärkte, was aber letztlich die Gefängnisseelsorge im Bistum Osnabrück insgesamt weiterbrachte. Mit diesem Rückenwind konnte er manchen Gegenwind aus dem Justizministerium oder anders woher aushalten und für „seine Sache“ eintreten – ohne zu „treten“ und erst recht ohne „nachzutreten“.
Name hinter der Akte und Tat
Aber dies tat er entschieden. Ich habe ihn erlebt, wie er im Büro mit Inhaftierten sprach. Über den Tisch ziehen ließ er sich nicht, aber er nahm die Inhaftierten ernst und schuf ihnen einen Raum, in dem sie ein Stück Befreiung spürten. „China“, wie ihn die Beamtinnen und Beamten nannten, war für ihn nicht der Vietnamese, der er eigentlich war, sondern ein Mensch mit Namen. Inhaftierte haben einen Namen. Das versuchte er in der Anstalt zu vermitteln: den Menschen mit Namen hinter der Akte und einer Tat. Er tat dies im Ethikkomitee ebenso wie in den Stationszimmern. Zu Gute kam ihm letztlich dabei auch seine emsländische Art, die es ihm leicht machte, auf Bedienstete zuzugehen. Mit fast allen „per Du“, mit denen vom Allgemeinen Vollzugsdienst allemal, besprach er (auch mit „Ein-Meter-Neunzig“) mit ihnen auf Augenhöhe Konflikte und suchte nach gemeinsamen Lösungen.
Sprachlosigkeit Gestalt geben
Heinz-Bernd war nicht nur für die Inhaftierten da. Er begleitete sie in schwierigen Phasen, etwa wenn Lockerungen oder vorzeitige Entlassungen versagt wurden, Angehörige starben, Partner sich scheiden ließen. Er nahm die Anliegen mit in die Gottesdienste sonnabends im Kirchenraum, spontan in den Haftfluren. Heinz-Bernd war aber auch für die Beamtinnen und Beamten da. Er teilte ihren Alltag, ihre Freuden, aber auch ihr Leid, wenn eine Kollegin oder ein Kollege starb, sei es durch Krebs, durch einen Verkehrsunfall oder durch Suizid. Ich erlebte ihn, wie er in solchen Fällen Gottesdienst feierte und der Sprachlosigkeit eine Gestalt gab, und ich erlebte ihn im Büro, auf der „Hinterbühne“, wie er persönlich damit umging, wie er versuchte das alles zu „verarbeiten“.
Zwölf Jahre in der Enge eines kleinen Büros, zwölf Jahre, die meinen Blick auf das Gefängnis, die Gefangenen, die Bediensteten und schließlich auf das Leben veränderten. Es waren zwölf gute Jahre, und Heinz-Bernd hat dazu seinen Beitrag geleistet. Und es waren auch zwölf gute Jahre für die Bundeskonferenz – nicht nur von der Hinterbühne aus gesehen. Danke.
Simeon Reininger