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Bester Tag der Woche im Offenen Vollzug der JVA Hövelhof

3. Januar 2024

Einmal in der Woche feiert Gefängnisseelsorger Mirko Wiedeking mit den jungen Gefangenen Gottesdienst. Ihm können sie sich anvertrauen. Für viele ist das sogar der „beste Tag der Woche“. Die 14 jungen Inhaftierten wirken während des ersten Lieds in sich versunken. Aus dem Lautsprecher singt eine Frau „Lege deine Sorgen nieder“. Im kleinen Fernsehraum in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Hövelhof sitzen die Männer Stuhl an Stuhl. Sie feiern einen Gottesdienst.

Im kleinen Fernsehraum im geschlossenen Bereich der nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalt Hövelhof treffen sich die Gefangenen zum Gottesdienst. Fotos: Rajkumar Mukherjee

„Für uns ist das der beste Tag der Woche“, sagt ein Gefangener später. Donnerstags lädt der katholische Seelsorger Mirko Wiedeking (33) zum einstündigen Gottesdienst im geschlossenen Zugangsbereich ein. Wie in der Adventszeit. Diese Abteilung gehört zur Jugendstrafanstalt im offenen Vollzug in Hövelhof, die einzige dieser Art in Nordrhein-Westfalen. Wiedeking hat katholische Theologie studiert, ist angestellt beim Erzbistum Paderborn. Er ist je zur Hälfte Seelsorger in der JVA Hövelhof und im sogenannten Abschiebegefängnis Büren. Wiedeking ist verheiratet, Vater von zwei Kindern. „Ich bin kein Priester. Viele der jungen Männer fragen mich, ob ich einer bin. Und sagen: Priester und Frau? Das geht doch gar nicht.“

Gefangene werden im Vollzug gläsern

Die Männer im Gottesdienst sind zwischen 18 und 29 Jahre alt. Sie sind im geschlossenen Bereich, weil bei einigen noch geprüft wird, ob sie in den offenen Vollzug dürfen. Oder sie haben gegen Regeln verstoßen, sind vielleicht weggelaufen. Jeweils zu zweit sind sie in Hafträumen – mit verschlossenen Türen. Der junge Mann, der vom „besten Tag der Woche“ spricht, wirkt aufrichtig. Vor dem Gottesdienst ist die Gruppe ausgelassen. Manche flachsen, machen Witze. Einige reden über ihren Alltag, im Rhythmus der JVA. Thema ist das Mittagessen. „Geht voll nicht“, sagt der Jüngste. Sie lachen. Alle tragen blaue Trainingsanzüge, wie im geschlossenen Bereich üblich, manche Schlappen mit JVA-Aufdruck.

Besinnlich wirkt die Stimmung während des Gottesdienstes. Nur die jungen Inhaftierten und Wiedeking: Sie bilden eine Gemeinschaft. „Hallo Männer! Schön, dass Sie da sind“, sagt Wiedeking zu Beginn. Vor dem Gottesdienst erzählt Wiedeking über seine Arbeit. Die Inhaftierten sind laut ihm meistens wegen Körperverletzungen, Betrug, Diebstählen, Fahren ohne Erlaubnis oder Dealen in der JVA. Und es geht oft um illegale Drogen. Aber er fragt nicht mehr nach den Vorgeschichten: „Irgendwann spielt das keine Rolle mehr.“ Und: „Gefangene werden im Vollzug gläsern.“ Dabei seien sie oft selbst Opfer: „Viele haben nie gelernt zu vertrauen.“ Deshalb gehe es in vielen Fällen nicht um Resozialisierung, ein Stichwort im Vollzug, sondern zunächst um Sozialisierung. Also auch um Erziehung. Bei Bedarf können sich die Männer ebenso in Einzelgesprächen an ihn wenden und mit Verschwiegenheit rechnen. „Ich bin der einzige in der JVA mit absoluter Schweigepflicht“, sagt Wiedeking.

Ein bisschen Halt und Kraft geben

Wiedeking beobachtet zudem, dass manche der Inhaftierten oft nicht mehr wissen, wer oder was sie sind. Im Gefängnis würden Grenzen verschwimmen. Er will ihnen ein bisschen Halt und Kraft geben. „Ich spreche mit jedem, der Mensch ist“, sagt Wiedeking. Und ja, sein Glaube ist da, er handelt „im Auftrag der Kirche“. Konflikte wegen unterschiedlicher Religionen gibt es bei diesem Gottesdienst nicht. Ein Inhaftierter sagt: „Ich bin Moslem. Ich mache trotzdem mit.“ Dann betet Wiedeking nach dem ersten Lied mit der Gruppe. Und wieder wirken die Männer in sich gekehrt. Jeder für sich. Die Männer haben ihre Hände gefaltet oder gekreuzt, andere halten sie wie im Islam aneinander. Einer hat sich ein Gebetarmband vom Handgelenk genommen, hält es in beiden Händen. Dann rufen einige Männer „Amen“. Unter ihnen ist Andreas (23, Name geändert). Nach der Weihnachtsgeschichte dürfen sie Teelichter auf dem Tisch mit der weißen Decke, der Bibel und dem kleinen Holzkreuz anzünden. Auch Andreas macht das, kniet kurz am Tisch, geht zum Platz zurück. Später, nach dem Gottesdienst,erzählter.„Ich war Messdiener, Opa und Oma haben mich streng katholisch erzogen.“ Das war im Ruhrgebiet. Warum ist er hier, warum die Jugendstrafe? Der Blick geht ins Jahr 2021 zurück. „Ich habe auf jemanden geschossen“, sagt er. Dann sei das Einsatzkommando gekommen. Die Polizei fand einige Kilogramm Marihuana. „Vier Jahre Haft“, das ist die Strafe nach langer Untersuchungshaft. Kraft kostet es ihn, an diesen besinnlichen Adventstagen in der JVA zu seien, noch dazu im geschlossenen Bereich.

Mirko Wiedeking (33) ist Gefängnisseelsorger in der JVA Hövelhof sowie im sogenannten Abschiebegefängnis in Büren.

Persönliche Bitte und Gebete

Im Gottesdienst erzählt Wiedeking von der Weihnachtsgeschichte im Lukas-Evangelium. Die Geburt Jesu werde auch im Koran geschildert, sagt er. Und er stellt der Gruppe eine Frage: „Wie wäre es, wenn Gott uns einen Neuanfang schenkt?“ Denn das sei das Geheimnis von Weihnachten, „dass Gott Mensch wird, er uns einen Neuanfang schenkt“. Und an die Gruppe gerichtet, sagt er: „Das wünsche ich Ihnen.“ Als die Männer dann die Teelichter anzünden, dürfen sie das auch für persönliche Bitten und Gebete machen. „Dankeschön für die Gemeinschaft, dafür, dass wir unsere Seele stärken können!“ Mit diesen Worten beendet Wiedeking den Gottesdienst. Dann gibt es Cola und Schokolade. Und die Männer fangen an zu erzählen.

Die, die schon länger in der JVA sind, geben den Neuen Hinweise. Und sie warnen sie vor Fehlern. „Im Knast gibt es Drogen ohne Ende“, sagt einer über den offenen Vollzug. Ein anderer sagt, dass er alles richtig machen will, damit es keine „Blauen“ oder „Gelben“ gibt. Also Scheine, die für Sanktionen wie Fernsehentzug oder Ausgangsverbote stehen. Und noch einer meint über den Bereich „da unten“, also da, wo der offene Vollzug vom geschlossenen Hafthaus aus gesehen ist: „Aufpassen, unten ändert man sich direkt.“ Bevor die Inhaftierten wieder in ihre Hafträume gebracht werden, gibt es noch eine Einladung von Wiedeking: zum gemeinsamen Frühstück am ersten Weihnachtsfeiertag. Für Wiedeking ist wichtig, mit solchen Begegnungen und in Einzelgesprächen Hoffnung zu vermitteln. „Für mich zählt der Moment. Manche sehe ich vielleicht nie wieder“, sagt er. Und sein Dank geht an die JVA-MitarbeiterInnen, die eine besondere und wichtige Arbeit leisteten, auch an Weihnachtsfeiertagen.

Rajkumar Mukherjee | Mit freundlicher Genehmigung: Neue Westfälische 23.12.2023

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