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Auseinandersetzung, die das Leben tatsächlich verändert

17. Mai 2022

In der Gefängnisseelsorge wird besonders deutlich, welchen wichtigen und notwendigen Zusammenhang es zwischen Gespräch und Gottesdienst gibt. Es sind die gleichen Menschen, die im Alltag Krisen aushalten und bewältigen, sich Lebens- und Glaubensfragen stellen – und miteinander vor Gott stehen, beten und feiern. Die Unmittelbarkeit in der Begegnung – wiederum eingeschränkt in der Pandemie – und der Lebensthemen beeinflusst die Begegnung mit Gott und seinen Lebensthemen.

Im besten Fall führen die Begegnung, das Gespräch, die Verkündigung und der Gottesdienst zu einer Auseinandersetzung, die das Leben tatsächlich verändert. Ein Licht leuchtet in der Dunkelheit der Schuld. Eine Hoffnung erscheint, die dem Leben Sinn gibt. Eine Versöhnung wird möglich, die leben lässt. Eine Perspektive ergibt sich, die Zukunft ermöglicht. Als Gefängnispfarrer sind für mich dafür unbedingt notwendig: meine Verschwiegenheit und die Ressourcenorientiertheit. Nur in der seelsorglichen Verschwiegenheit kann das Vertrauen entstehen, um über die wesentlichen Themen des Lebens zu sprechen, Scham zu überwinden, ehrlich mit sich selbst umzugehen. Die Defizite eines Gefangenen sind offensichtlich und auch nicht klein zu reden. Eine wirkliche Veränderung ist möglich; aber nur, wenn es gelingt, auch die gelungenen und erfreulichen Anteile eines Menschenlebens zu würdigen.

Gradwanderung zwischen Sünde und Sünder

Es ist eine Gratwanderung, Menschen in ihrer Düsternis und Schuld tatsächlich ernsthaft zu begegnen, ihre Taten nicht zu bagatellisieren und dennoch ihre Würde zu achten, nach Sinn und Perspektive zu suchen. Es ist der schwierige Grat zwischen Sünde und Sünder. Papst Franziskus hat es in einem Gespräch mit Andrea Tornielli 2016 so formuliert: Die Kirche verurteilt die Sünde, indem sie die Wahrheit sagt: Das ist eine Sünde. Aber gleichzeitig umarmt sie den Sünder, der sich als solcher erkennt, sie nähert sich ihm und spricht zu ihm von der unendlichen Barmherzigkeit Gottes.Ich halte diese Gratwanderung für den einzigen Weg, um mit Menschen im Gefängnis ehrlich umzugehen und ihnen in Würde zu begegnen.

Es kommt darauf an, authentisch zu sein

Nach meiner Erfahrung sind viele verschiedene Gottesdienstformen im Gefängnis möglich. Die katholische Kirche bietet in diesem Bereich einen großen Reichtum, aus dem es sich zu schöpfen lohnt. In Butzbach feiern wir an Sonn- und Feiertagen die Eucharistie. In einer Gruppenmesse am Werktag halten wir ein Bibelgespräch oder eine Bildmeditation. Auch das Abendgebet, ähnlich einer reduzierten Vesper mit einer längeren Stille, wird gut besucht. Selbst die eucharistische Andacht und die Rosenkranzandacht treffen den Nerv vieler Gefangener. Es kommt darauf an, ob es authentisch ist. Wenn ich selbst Messe und Rosenkranz schätze, überträgt sich das. Wenn die Gefangenen sehen, dass ich der gleiche bin, der werktags in der Unordnung und Beklemmung der kleinen Zelle mit ihnen sitzt und sonntags im Messgewand am Altar steht – dann glauben sie es und vieles ist möglich.

Georg-D. Menke op, Pfarrer | JVA Butzbach

Berühren mit dem Wort Gottes

Die Zeit im Gefängnis ist eine Zeit mit wenigen Berührungen. Die Zeit im Gefängnis während der Corona-Pandemie ist eine Zeit völlig ohne Berührungen. Die Einsicht des Verstandes ändert aber nichts daran, dass der Verlust von Berührungen seelisch und körperlich krank macht. Das sagen zumindest viele Mediziner und Psychologen. Es ist nur eine Frage, wer nach welcher Zeit wie stark darunter leidet, wie stark also die individuelle Resilienz ausgeprägt ist. Das gilt für Ver-brecher ohne Berührung genauso wie für unsere Angehörigen, die für nichts büßen müssen. Das Leid der Angehörigen ist für einige von uns schwerer auszuhalten als das eigene.

Die Seelsorge im Gefängnis steht in diesen Zeiten vor einer neuen Herausforderung. Schon ohne Pandemie ist es eine anspruchsvolle Aufgabe, Schafe einzufangen, die sich bis hin zu Verbrechen verirrt haben. Das sehe ich als Gefangener selbst so. Jetzt müssen die Geistlichen auch noch über fehlende Berührungen hinwegtrösten. Glücklicherweise verfügen die Seelsorger über ein machtvolles Instrument: das Wort Gottes und ihre eigenen Worte, die davon inspiriert sind. „Am Anfang war das Wort.“ (Joh 1) Für viele von uns ist das Wort in diesen Zeiten alles, was bleibt. Schön, dass Gott uns etwas zu sagen hat.

B.M., Gefangener

Quelle: Denen, die im Elend leben – seine Liebe. Eindrücke aus dem Gefängnis, Band 5

 

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