Kein Nachschlag möglich in der Mensa einer Justizvollzugsanstalt. 4ximgefaengnis.de Foto: Firat Ulus.
Der Lebenslauf von Andreas Knapp ist glänzend: Priesterweihe, Promotion und später Regens im Priesterseminar. Doch dann kam ein Knick in seinem Lebenslauf – inklusive Putzjob in Paris. Andreas Knapp ist Priester und Dichter und lebt in der Gemeinschaft der Kleinen Brüder vom Evangelium in Leipzig in einer Plattenbausiedlung. Er ist als Gefängnisseelsorger und ehrenamtlich in der Pastoral tätig.
Weltweit gehören rund 80 Brüder dem Orden der Kleinen Brüder vom Evangelium an. Die Gemeinschaft wurde 1956 von René Voillaume in Südfrankreich gegründet. Weitere folgten im Vietnam und in Sardinien. Charles de Foucauld, der von 1858 bis 1916 lebte, inspirierte die Ordensgemeinschaft. Andreas Knapp´s Lebenslauf verrät unvermittelt, welchen besonderen Weg er mit dieser Gemeinschaft wählte. Er verbringt seinen Alltag als Saisonarbeiter, Geistlicher und Dichter mit “einfachen Menschen”. Er lebt und teilt seinen Glauben dort, wo Armut und Atheismus der Normalfall sind: In der Leipziger Plattenbausiedlung Grünau.
Wie kam es dazu, dass Sie plötzlich Ordensmann werden wollten?
So plötzlich kam das nicht. Ich spürte schon während meines Studiums in Freiburg, die tiefe Sehnsucht in mir, in einer kleinen Gemeinschaft leben zu wollen. Aber die Entscheidung musste noch reifen. Als ich Studentenpfarrer in Freiburg war, habe ich dem damaligen Bischof Oskar Saier offen gesagt, dass ich mich nach einer neuen Lebensform umschauen möchte. Er hat mich gebeten, noch etwas damit zu warten und vorerst eine Aufgabe im Bistum zu übernehmen. Ich konnte nicht Nein sagen und wurde Regens im Freiburger Priesterseminar. Sieben Jahre lang habe ich das gemacht.
Obwohl Gott Sie gerufen hat, hatten Sie noch viel Zeit übrig…
Ja, ich hatte es nicht eilig. Weil ich dem Bischof Gehorsam versprochen habe, nahm ich diese Aufgabe auch an. Es war eher eine schnelle Entscheidung, weil es einen personellen Engpass gab und irgendjemand es ja machen musste. Aber ich spürte, dass meine Berufung für das Ordensleben immer stärker wurde. Irgendwann wurde ich auf die Gemeinschaft der Kleinen Brüder vom Evangelium aufmerksam. Ich habe eine Brüdergemeinschaft in Frankfurt kennen gelernt und bin im Urlaub immer wieder hin gefahren. Diese Spiritualität hat mich richtig angezogen. Ich habe gespürt: Da gehöre ich dazu.
War Ihre Entscheidung auch eine Entscheidung gegen die Einsamkeit?
Ja, auch. Ich hatte schon im Studium gemerkt, dass ich als Priester nicht alleine, sondern in Gemeinschaft leben möchte. Ich wollte mit anderen zusammen sein, um meinen Glauben täglich zu leben. Außerdem habe ich mich mit meinem Lebensstil als Regens mit festem Gehalt und sicherem Status nicht mehr wohl gefühlt. Ich wollte weg, wollte freier und vor allem sozialer leben. So wie die Kleinen Brüder leben, so wie sie ihr Leben und ihre Güter miteinander teilen, das fand ich großartig. Natürlich habe ich davor auch nach einer priesterlichen Gemeinschaft gesucht, in der ich leben hätte können. Aber es gab nicht so viele zur Auswahl. Mir wurde klar, dass mein Weg nur in eine Ordensgemeinschaft führen konnte.
War es nicht verlockend für Sie, in der Kirche Karriere zu machen?
Natürlich hat mich das auch gereizt, jeder möchte sich irgendwie verwirklichen. Aber als ich Regens geworden bin, bedeutete mir das nichts. Karriere ist Quatsch. Das war kein Job, auf den ich heiß war. Ich habe gemerkt, dass der Wunsch nach einem anderen Leben stärker ist. Es gab keine Alternative für mich und ich bin ausgestiegen. Der Bischof war zwar nicht begeistert davon, aber er hat meine Entscheidung akzeptiert und mich ziehen lassen.
War ihr Ausbruch eine Kritik am kirchlichen Wohlstand?
Nein, denn das habe ich nicht gemacht, um andere zu kritisieren. Ich bin ausgestiegen, weil ich mein Leben ändern wollte. Da ich ja schon Kontakt zu den Kleinen Brüdern vom Evangelium Jesu hatte und mich in deren Umfeld wohl fühlte, war es für mich einfacher, das alte Leben loszulassen und zu gehen. Ich wusste, dass dieser Weg genau richtig für mich ist.
Woran haben Sie gemerkt, dass es die richtige Entscheidung war?
Es war so ein Grundgefühl in mir: Immer wieder habe ich von einem anderen Lebensstil geträumt, mir ein anderes Leben gewünscht. Als ich noch Regens war, habe ich mich unwohl gefühlt, wenn wir stundenlang über strukturelle Dinge diskutiert haben. Natürlich ist es auch wichtig, die Pfarreien für die Zukunft neu zu organisieren, aber das nimmt so viel Energie in Anspruch. Ich finde, diese Kraft sollte man besser in konkrete Begegnungen stecken. Außerdem waren mir soziale Themen immer näher, also die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit etwa oder die Frage, wie wir benachteiligten Menschen helfen können. Als ich dann im Jahr 2000 als Regens verabschiedet wurde und danach einen Putzjob in einem Vorort von Paris angenommen hatte, war das ziemlich ernüchternd.
Wollten Sie zurück ins Priesterseminar?
Nein, denn mein neues Leben war wie eine Entziehungskur für mich. Früher war mir Anerkennung immer wichtig. Als Regens hatte ich einen gewissen Status und auch Macht. Nun als Putzkraft war dieser Status plötzlich weg. Niemand interessierte sich mehr für mich. Ich musste Geld verdienen, wie alle anderen Mitbrüder auch und mir selbst einen Job suchen. Das war schon hart. Aber für mich war das ein heilsamer Weg zurück ins Leben. Was mich in dieser Zeit getragen hat, war meine Beziehung zu Gott und das tägliche Gebet. Auch das freundliche Miteinander in der Brüdergemeinschaft in Paris gab mir sehr viel Kraft. Nein, in mein altes Leben wollte ich nicht mehr zurück. Ich habe lange genug auf mein neues Leben gewartet.
Sollte das jeder Regens machen?
Ich wäre ziemlich arrogant, wenn ich anderen vorschreiben würde, wie sie zu leben haben. Mir bedeutet dieses einfache Leben viel, denn so entwickelte ich ein Gespür für die Menschen, mit denen ich zusammenleben wollte. Fünf Jahre lang war ich zum Beispiel in den sozialen Brennpunkten von Paris, Neapel und Bolivien unterwegs. Ich habe Joghurt verkauft, Saisonarbeiten am Fließband gemacht und auf der Baustelle gearbeitet. Das ist die Spiritualität der Kleinen Brüder.
Und heute?
Heute lebe ich mit drei Mitbrüdern in einer kleinen geistlichen Lebensgemeinschaft in einem Plattenbauviertel in Leipzig. Wir haben dieses Viertel sehr bewusst ausgewählt. Wir leben unseren Glauben da, wo Armut, Atheismus und Alkohol zu Hause sind. In unserer Wohnung haben wir eine Kapelle. Dort liegen neben Kerze und Kreuz auch einige Steine aus Abbruchhäusern. Sie stehen symbolhaft für all das, was wir an Mauern in uns selbst einreißen müssen, damit das echte Leben seinen Platz finden kann.
Wie fühlt sich das Leben für Sie nun an?
Genau richtig. Heute lebe ich so, wie ich es mir immer gewünscht habe. Es gibt nichts Sinnvolleres im Leben, als mit Menschen zusammen zu sein, für die sich sonst niemand interessiert. Wir wollen als Brüder das Evangelium von Nazareth leben. Jesus war ein Handwerker und genau so machen wir es auch.
Madeleine Spendier | katholisch.de