24 GefängnisseelsorgerInnen aus dem Jugendvollzug der Länder Bayern, Saarland, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Thüringen sowie aus Luxemburg trafen sich im Tagungshaus „Erbacher Hof“ in Mainz zum Thema „Religionssensibilität“. Es ist das erste offizielle Treffen beider Arbeitsgemeinschaften „Jugendvollzug“ (AG Jug) der evangelischen und katholischen Kirche. Das Team aus der ostwestfälischen JVA Herford mit Michael King und Stefan Thünemann hat die Tagung inhaltlich vorbereitet. Ein Highlight der Tagung war das Gespräch in der ZDF Redaktion von „Kirche und Leben“ mit Dr. Reinhold Hartmann.
Mit der Frage „Was ist nicht religionssensibel in einer JVA?“ ist die Promovendin und Referentin der Evangelischen Fakultät Paderborn, Rebecca Meier, ins Thema eingestiegen. Dies führte zuerst einmal zu Unverständnis bei den Teilnehmern. Allerdings wird schnell klar, dass es viele Beispiele von Unsensibilität im Bereich von Religion hinter Gittern gibt. Vor allem muslimische Glaubensvollzüge zum Fastenmonat Ramadan oder gottesdienstliche Feiern sind oftmals im Ablauf des Jugendvollzuges ein „Störfaktor“. Die erfahrenen GefängnisseeelsorgerInnen wissen zu berichten, in welchen Situationen sie in ihrer Rolle das System des Gefängnisses stützen oder eben auch stören können. Im Mittelpunkt steht dabei der Mensch – als Inhaftierter wie Bediensteter.
Religionssensibilität äußert sich nicht nur in ausdrücklich religiösen Belangen. Kritisch wird angefragt, was „religiös“ denn eigentlich sei? Menschen ohne Bekenntnis machen genauso existenzielle Erfahrungen im Leben, die auf eine „höhere Kraft” und Sinnsuche hinweisen. Davon spricht in den Hafträumen inhaftierter Jugendlicher die heilige “Altar-Ecke“ mit persönlichen Bildern, Bibel, Fußballidolen, Gebetsteppich oder Rosenkranz. Räume zu eröffnen und sensibel für Kulturen, Weltanschauungen und Religionen im Knast zu sein ist nicht alleine eine Aufgabe von SeelsorgerInnen.
Der Begriff der Religionssensibilität ist relativ neu. Empathie, Interreligiöser Dialog, Alterität (Andersheit), Interkulturelle Begegnung und Intersektionalität (von engl. intersection „Schnittpunkt, Schnittmenge“) gehören zur Religionssensibilität. Das Letztere will sagen, dass Menschen nicht in Schubladen einer Religion oder einer bestimmten christlichen Konfession katalogisiert werden können. Menschen sind sehr vielschichtig und identifizieren sich unterschiedlich. Alter, Kultur, Erfahrungen, religiöse Milieus und Herkunft spielen in der Gesamtheit eine Rolle.
Prof. Dr. Jochen Schmidt von der Evangelischen Fakultät Paderborn begleitet die Tagung und die Forschungsarbeit von Rebecca Meier. Sie hat dazu in den letzten Monaten in der JVA Herford für ihre wissenschaftliche Arbeit Interviews mit Gefangenen und Bediensteten geführt. „Es war spannend zu sehen, dass Aussagen zu Religion erst nach längerem Nachfragen benannt wurden“, so die junge Promovendin. Die Methode des „Weltcafés“ eröffnete in den Kleingruppen ein reger Dialog zu konkreten Handlungsstrategien in der eigenen Justizvollzugsanstalt. Hier wurde erwähnt, dass in Vollzugskonferenzen und Integrationskreisen religionssensible Themen eingebracht und diskutiert werden können.
In Mainz bietet sich an, dem Fernsehsender des ZDF einen Besuch abzustatten. Wie gehen Medien religionssensibel mit Themen um? Dr. Reinhold Hartmann vom ZDF stellt sich den Fragen der Gruppe. Seine Redaktion “Kirche und Leben” gestaltet mit etwa 75 Sendungen im Jahr – darunter Dokumentationen aus der Reihe „37 Grad“, Gottesdienst-Übertragungen, „sonntags TV fürs Leben“ oder das “forum am Freitag“. Die letztere Sendung in ZDF info hat verschiedene muslimische Ausrichtungen im Fokus und will Vorurteile gegenüber dem Islam abbauen. In einem Beitrag erzählt beispielsweise Samet Er als islamischer Theologe und Berater in Gefängnissen von seinen Erfahrungen. Er schult Personal in Fragen zum Islam und berät muslimische Gefangene.
„Religionssensibilität ist implizit und wird durchgespielt in allem“, so Hartmann. Er erwähnt den von der Redaktion produzierten Film Geschmack der Köchin, in der eine Köchin für Sterbende im Hospiz ein Lieblingsgericht zubereitet. „37 Grad“ ist daneben keine reine kirchliche Sendung, sondern es werden Dinge des Lebens aufgenommen. „Wir müssen darüber hinaus in den sozialen Plattformen wie Facebook oder Instagram präsent sein“, sagt der erfahrene Redakteur. „Die Einschaltquoten gehen immer mehr zurück. Sobald eine Sendung kirchlich daherkommt, nehmen die Zahlen rasant ab“, führt Hartmann aus.
Mit dem Islamwissenschaftler und muslimischen Betreuer in drei JVA’en in Rheinland-Pfalz, Dr. Luay Radhan, geht es anderntags um den Eintritt in den Dialog mit dem Islam. „Wir können nicht über etwas reden, sondern mit jemanden, der Muslime ist und beide Kulturen kennt“, sagt Eva-Maria Leifeld vom Referat Interreligiösen Dialog im Erzbistum Paderborn, die den Tag gestaltet. Islam heißt übersetzt Gottergebenheit. Es kann daher aus islamischer Sicht niemand als „Ungläubiger“ bezeichnet werden, der einer anderen oder keiner Religion angehört. „Die Leugner der Wahrheit“ ist eine andere Übersetzung im Koran. „Aber heute reden wir von Andersgläubigen oder Nichtgläubigen. Es gibt kein Zwang in der Religion,“ führt Radhan aus. In der Sure 2, 62 steht: „Siehe, diejenigen, die glauben, die sich zum Judentum bekennen, die Christen und die Sabier – wer an Gott glaubt und an den Jüngsten Tag und rechtschaffen handelt, die haben ihren Lohn bei ihrem Herrn, sie brauchen keine Furcht zu haben und sollen auch nicht traurig sein!“ (Übersetzung Rassoul). Es hat im Islam schon immer „Seelsorge“ gegeben: trösten, ermahnen, begleiten oder auch deradikalisieren. Es ist nur nicht in der Weise wie bei den Kirchen institutionalisiert. „Wenn es um Sicherheitsfragen geht, sind andere verantwortlich und darf mit der religiösen Betreuung nicht vermischt werden“, sagt Radhan. Und weiter: “Leider haben wir bis jetzt kein Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht…” Praktisch unterliegen muslimische Betreuer aber genauso der Schweigepflicht wie „Geistliche“ im Sinne des Gesetzes.
„Religionssensibel zu sein beinhaltet in Dialog zu sein“, erläutert die Referentin für den Interreligiösen Dialog. Dies ist in Justizvollzugsanstalten besonders gegeben. Inhaftierte im Gottesdienst kommen aus sehr unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen. Dies heißt allerdings nicht keinen christlich geprägten Gottesdienst mit Muslimen und Bekenntnisfreien feiern zu können. Als SeelsorgerIn kann ich authentisch Formen und Rituale finden, die auf die „Transzendenz“ hinweisen. Es geht um „Berührt-werden“ und nicht darum, spirituell übergriffig zu sein. Handreichungen und Denkschriften seitens den Amtskirchen zu multireligiösen Feiern oder Gastgeberfeiern können Hinweise geben.
„Ich bin sensibel, Du Spast“ steht auf dem Einladungsflyer zu dieser Tagung. In dieser Spannung und diesem Widerspruch endet die Woche. Nichtsdestotrotz gehen die TeilnehmerInnen anders und bereichert als SeelsorgerIn in ihren Dienst im Knast zurück. Natürlich nicht ohne den ReferentInnen mit Schokolade und musikalischen Lebenszeichen aus deutschen Justizvollzugsanstalten in Form einer Musik-CD herzlich zu danken.
Michael King | JVA Herford