Vor der Justizvollzugsanstalt an der Direktorenvilla in Herford steht ein großer blauer Abfallbehälter. Farbgleich befindet sich ein solcher Behälter öffentlich auf dem Bediensteten-Parkplatz. Für manche Gassigänger eignet sich dieser, um Hundekot zu entsorgen. Neulich gerät dieser Mülleimer in den Fokus: Zwei schwarze Gehhilfen ragen aus dem vollen Mülleimer heraus.
Gehhilfen da-lassen
Ein gelbes Papierschild mit dem Vor- und Nachnamen eines ehemaligen Inhaftierten verrät, dass dieser die Krücken bei seiner Entlassung in den überfüllten Müllbehälter gesteckt hat. Nicht mehr benötigte Krücken haben nichts im Restmüll zu suchen, sondern gehören eigentlich in die Wertstofftonne. Die schwarzen Gehilfen sehen neu aus und wurden sicher von einer Krankenkasse bezahlt, die sie zurückhaben will. Der Entlassene braucht diese Hilfsmittel wohl nicht mehr. In der Kammer der Anstalt ist am Entlassungstag der Gefangene darauf hingewiesen worden, dass er die noch neuen Gehilfen mitnehmen muss. Nun sind sie im Müll gelandet.
Nimm etwas mit, was Dich erinnert
Mir fallen biblische Heilungs-Geschichten ein, in denen Menschen ihre Trage oder Krücken nicht zurücklassen, sondern mitnehmen. „Steh auf, nimm Deine Trage und geh Deinen Weg…“ (Lukas 5, 15-26), so sagt Jesus zu dem Gelähmten. Ist es für den ehemaligen Gefangenen vielleicht eine Erleichterung, ab jetzt ohne Hilfsmittel auszukommen? Oft sind an diesem JVA-Abfallbehälter persönliche Gegenstände abgelegt, die wie eine „Befreiung“ in den Mülleimer oder daneben landen. Ein Symbol für den neuen Weg, der nach der Haft folgt? „Nimm etwas mit, was dich an das Gefängnis erinnert“, sagt einer der Gefängnisseelsorger. Verwunderte Gesichter löst solch eine Aussage bei den Inhaftierten aus. „Ich will doch nicht an den Knast erinnert werden“, wird entgegnet. Doch Menschen vergessen schnell. Jugendliche Inhaftierte haben nach der Entlassung manches Mal den Drang, alles nachholen zu müssen, was sie vermeintlich verpasst haben.
Symbol-Bild für Neuanfang
Schön wäre es gewesen, der Gefangene hätte seine Krücken wirklich mitgenommen. Hätte ihn das erinnert an die Zeit seiner Gehbehinderung und seiner freiheitlichen Einschränkung? Die Krücken können als Hilfsmittel dienen. Sie sind auf der anderen Seite aber auch lästige Gefährten. Letzteres hat sich dabei wohl der Entlassene gedacht und entledigt sich seiner zwei Stöcke. Wie ein Denkmal ragen sie aus dem Mülleimer heraus. Die Krücken mit Reflektoren könnten so manch Anderem noch eine Hilfe sein. Die Bediensteten sehen die zürückgelassenen Stecken, sie lassen das „Kunstwerk“ allerdings da wo es ist. Bis der Müllbehälter geleert wird, vergehen noch einige Tage oder gar Wochen. Kann es ein Symbol sein für die Widersprüchlichkeit im Leben oder ein Bild für einen Neuanfang? Einem anderen Gefangenen ist es wichtig, ein Erinnerungsbild an der Gefängnismauer außen anzubringen. „Nicht, dass ich stolz darauf bin, sondern dass ich weiß, dass ich niemals wieder hier einsitzen will“, sagt er und geht über die Straße zum Auto seiner wartenden Angehörigen.
Michael King






