„Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter mir hergeht, kann nicht mein Jünger, meine Jüngerin sein“, so lässt das Evangelium Jesus sprechen zu denen, die ihm nachfolgen wollen. Ein radikaler Aufruf: alles oder nichts. Jünger oder Jüngerin Jesu sein geht nur ganz, da gehört alles hinein, was Menschsein ausmacht: Freude und Leid. Und dazu kommt, was von Jesus noch dazu gesagt wird: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben geringachtet, dann kann er oder sie nicht mein Jünger, meine Jüngerin sein.“
Jesus nachfolgen also mit allem, was das Leben ausmacht – und gleichzeitig dies doch geringachten, indem ich alle meine wesentlichen Verbindungen aufgebe? Wie kann dieser Gegensatz gelingen? Oder ist es gar kein Gegensatz? In den letzten Tagen eines einwöchigen Schweigeretreats stellte Bob, der Meditations-Lehrer, während der Meditation diese Frage: „Wer bin ich ohne meine Geschichte?“ Wer bin ich ohne all dem, was sich biografisch eingeprägt hat in Körper und Geist, die Konditionierungen, die familiären und persönlichen Gewohnheiten, Bedingtheiten, Abhängigkeiten, aber auch die Beschämungen und Verletzungen? Bin ich wirklich nur das? Oder gibt es darüber hinaus etwas, das mich ausmacht?
Immer wieder neu anfangen
Jesu Botschaft darin ist klar: Gott, die Liebe, durchwirkt die gesamte Schöpfung und befähigt den Menschen mit der Liebeskraft des Herzens – und dies gilt bedingungslos. „Was Jesus verkörperte, was er sagte und tat, lässt sich so zusammenfassen: er hat uns den Namen Gottes gelehrt“, schrieb der Theologe Eugen Drewermann einmal, und so ist „der Hintergrund der Welt kein dunkler Abgrund, und was diese Welt trägt und durchzieht, keine schweigende Macht, der wir gleichgültig sind, sondern das Antlitz Gottes. Wir dürfen inmitten unseres kurzen Lebens Vertrauen setzen in die Kraft, die will, dass wir sind, und die, ob wir es wissen oder nicht, es gut mit uns meint.“ Leben in dieser Zuversicht ermöglicht immer wieder wie neugeboren sein, neu anfangen. Wir können hinein in alles Zwielichtige und Dunkle in der Welt und in uns selbst jenes Licht leuchten lassen, das schon da ist im Herzen, das Licht des freundlichen Ansehens.
Mehr als mir zugeschrieben wird
Mit Nachfolge Jesu ist dann nicht Entsagung vom Leben gemeint oder ein sich selbst Kasteien, um das Leid eines Kreuz Tragens zu spüren zu bekommen. Auch ist Nachfolge Jesu kein Aufruf, sich aus familiären Beziehungen zu lösen, das können wir ohnehin nicht. Vielmehr bedeutet Nachfolge Jesu im Sinne dieser Verse im Lukasevangelium ein immer wieder neu ankommen in dem, was uns als Menschen ausmacht, nämlich menschlich uns selbst, einander und der Welt zu begegnen. Denn das ist die Botschaft des Evangeliums: Gott selbst, die Liebe, ist Mensch geworden. Das Immer-wieder-neu eröffnet eine Unabhängigkeit im Sinne eines Mehr, ich bin mehr als meine Geschichte mit der Möglichkeit, jeden Moment neu in Liebe zu begrüßen. Eine echte Herausforderung wird das da, wo ein Kreuz zu tragen ist, wo Scheitern und Schuld sind, wo zu Bruch gegangen ist, was als Verheißung schien, wo Kraft und Mut erlahmt sind.
Doch gerade hier, in diesen leidvollen menschlichen Erfahrungen, gilt die Zusage Jesu, dass Gott bedingungslos die entgegenkommende und neu aufsuchende Liebe ist. Vielleicht weil es so schwer zu glauben ist, sagt das Evangelium es so radikal deutlich: nur wer auch seine Leiderfahrung im Herzraum der Liebe aufgehoben sein lassen kann, ist wirklich und spürbar in der Nachfolge Jesu.
Christoph Kunz | Lukas 14, 25–33