Die Geschichte im Lukasevangelium von Marta und Maria, die Jesus in ihr Haus einladen, erzählt von der Gratwanderung zwischen Geschäftig-sein und Verbundenheit. Marta ist die Aktive, sie nahm den Wanderprediger Jesus in ihr Haus auf und „musste sich schinden mit vielen Diensten“, wie es wörtlich übersetzt heißt. Maria aber, ihre Schwester, hatte sich Jesus zu Füßen gesetzt und hörte einfach nur zu.

Zwischen Himmel, Fluss und Erde: Rückspiegel eines Schiffes der Hunte/Weser-Schifffahrt. Foto: Hartmann
Menschen in helfenden Berufen kennen das Helfersyndrom, wenn jemand sich verausgabt im Für-den-anderen-da-sein. Dies verkörpert im Evangelium die Marta. Ein Burnout, ein innerliches Ausbrennen kann die Folge sein. Der Begriff Helfersyndrom suggeriert, dass ein Burnout von zu viel Helfen und Fürsorge käme – dem ist aber nicht so. Hier wirkt im Gegenteil eine Art Hybris, die Meinung, selbst zu wissen, was das Beste für den anderen ist, verbunden mit dem Drang, dies auch durchzusetzen. Dauerndes Geschäftig-sein erschöpft und vergrößert die Kluft zur anderen Person – obwohl ich doch meine, mich gerade für sie zu verausgaben.
Heilsame Verbundenheit
Die Schwester der Marta ist Maria, sie ist wie die andere Seite auf der Gratwanderung zwischen Geschäftig-sein und Verbundenheit. Sie ist einfach da im Moment und hört, sie ist wirklich präsent. Immer wieder sind wir in den vielen Begegnungen des Alltags auf dieser Gratwanderung unterwegs und geraten mal auf die eine, mal auf die andere Seite. Dabei kann die erfahrene Erschöpfung im sich Verausgaben ein deutlicher Hinweis sein, sich neu zu orientieren, um wieder „in die Mitte zu kommen“. Heilsame Verbundenheit weiß um das, was es im Moment wirklich braucht, und ist nicht dirigiert von den eigenen Ansprüchen, wie Leben zu sein hat. So sich zu begegnen ist eine Kunst, zumal in unserer von Schnelligkeit und Geschäftigkeit geprägten Welt.
Krankheit der Geschäftigkeit
Die Zen-Meisterin Joan Halifax zitiert in ihrem Buch „Gratwanderung – Achtsame Ethik für ein nachhaltig bewusstes Leben“ Omid Safi, Leiter des Zentrums für Islamwissenschaften an der Duke-University in Florida. Er schrieb in seinem Blog „On Being“ zum Thema „Die Krankheit der Geschäftigkeit“:
„Um sich zu erkundigen, wie es dem anderen geht, fragt man in vielen islamischen Kulturen: ‚Wie ist dein Haal?‘ Was ist dieses Haal, nach dem man sich erkundigt? Es ist der flüchtige Zustand des Herzens. Eigentlich fragt man also: ‚Wie geht es deinem Herzen in diesem Augenblick, in diesem Atemzug?‘ Wenn ich frage: ‚Wie geht es dir?‘, ist es in Wirklichkeit das, was ich wissen will. Ich frage nicht, wie viel du heute noch zu tun hast oder wie viele E-Mails in deinem Posteingang sind. Ich will wissen, wie es deinem Herzen geht, genau in diesem Augenblick. Sag es mir! Sag mir, ob dein Herz freudig ist, sag mir, ob dein Herz wehtut, sag mir, ob dein Herz traurig ist, sag mir, dass dein Herz sich nach einer menschlichen Berührung sehnt. Erforsche dein Herz, erforsche deine Seele, und erzähl mir dann etwas über dein Herz und deine Seele.
Sag mir, du erinnerst dich daran, dass du noch ein menschliches Wesen bist, nicht nur ein menschliches Tun. Sag mir, dass du mehr als bloß eine Maschine bist, die Punkte von der Aufgabenliste streicht. Sei bereit zu diesem Gesprãch, diesem Blick, dieser Berührung. Sei ein heilsames Gespräch, das von Anmut und Präsenz erfüllt ist. Leg mir die Hand auf den Arm, sieh mir in die Augen und nimm eine Sekunde lang Verbindung mit mir auf. Erzähl mir etwas über dein Herz und wecke mein eigenes Herz. Hilf mir, mich daran zu erinnern, dass auch ich ein vollständiges menschliches Wesen bin, ein menschliches Wesen, das sich ebenfalls nach einer menschlichen Berührung sehnt.“
Christoph Kunz | Lukas 10, 38–42