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Forderung der Todesstrafe bis hin zu „Gut, dass Sie da sind“

2. Juni 2024

Die „Kirchenmeile“ am 103. Katholikentag in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt am Domplatz sieht von oben aus wie eine weiße Zeltstadt. So sieht man sie an verschiedenen Plätzen im Stadtzentrum. Die Gefängnisseelsorge ist mittendrin. Das Knastzelt befindet sich gegenüber dem „Kreuzbund“, der suchtkranke Menschen begleitet. Nebenan „siedeln“ die Franziskaner, die grüne Jutebeutel mit dem Aufdruck „Wir helfen“ den Leuten in die Hand drücken. „Das Gefängnis-Zelt ist morgens als erstes offen“, sagt ein Passant mit süffisanter Miene. Für die Gefängnisseelsorge jedoch eher ein Kompliment und ein zutreffendes Bild.

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Die Gefängnisseelsorge öffnet in den Justizvollzugsanstalten mit ihrer Verschwiegenheitspflicht Räume für die Inhaftierten und den Bediensteten. Ein Gefangener ist stellvertretend am Stand in der Kirchenmeile präsent. Leider nur symbolisch in Form einer Kunstfigur in Anstaltskleidung und Badelatschen mit dem Aufdruck „JVA“ aus Nordrhein-Westfalen. GefängnisseelsorgerInnen aus den Justizvollzugsanstalten stehen im Wechsel für Gespräche zur Verfügung: Die KollegInnen aus der Jugendstrafanstalt (JSA) Arnstadt, der JVA Augsburg-Gablingen, dem Offenen Vollzug Bielefeld-Senne, der JVA Tonna, der Jugendanstalt (JA) Raßnitz in Sachsen-Anhalt und von der JVA Waldeck in Mecklenburg-Vorpommern. In der abwechselnden Stand-Präsenz zeigen sie die „Bettenkunst“ aus dem Jugendvollzug der nordrhein-westfälischen JVA Herford. Da werden Sperrholzplatten, die jahrelang von jugendlichen Inhaftierten wie auf einer Litfaßsäule beschriftet wurden, ausgestellt. Vom Gekritzel über sogenannte „Toilettensprüche“ bis hin zu politischen, teils verfassungsfeindlichen Parolen und Zeichen ist alles dabei. Die „Bettenkunst“ zeigt ein Bild der Gedanken, Enttäuschungen, Hoffnungen und Reaktionen der jeweiligen inhaftierten Jugendlichen durch die Jahrzehnte. Das provoziert. Ungeschminkt und korrekturlos spiegelt die Bettenkunst einen Ausschnitt der Gedankenwelten von Menschen im Knast. Ein Kontrast in der oftmals  „frommen“ Welt des Katholikentages.

Konträre Begegnungen

Dies bemerkt ein mdr-Reporter, der zielgerichtet auf den Stand der Gefängnisseelsorge zugeht und feststellt, dass es hier „ja so gar nichts Frommes gibt“. Das wolle er auf dem Vorplatz der Bühne in einer Live-Schaltung zeigen. In zwei bis drei Minuten soll die Gefängnisseelsorge erläutern, was sie hinter den Mauern so macht. Da sind aber noch andere Player. Das Radio Horeb sucht Kontakte, ebenso der Alpha-Kurs, der eher einem konservativ-offenen Kreis zuzuordnen ist. Genug Zündstoff für die Menschen, die keine Berührung mit dem Knast haben. „Die gehören weggesperrt und man muss die Todesstrafe wieder einführen“, meint ein Besucher, der lange in der Fachzeitschrift AndersOrt der Gefängnisseelsorge am Stehtisch blättert. Im Gespräch zeigt er sich dann doch etwas kleinlaut, als der Gefängnisseelsorger deutlich macht, dass sein Urteil nicht unbedingt die „Zwischentöne“ des Seelsorge-Dienstes hinter Gittern trifft. Sein jugendlicher Sohn studiert interessiert die Botschaften der „Bettenkunst“ und fotografiert eifrig die Aussagen.

Eigene Erfahrungen

Aber es besteht durchaus auch ein ehrliches Interesse von Menschen, die sich mit den Themen rund um das Gefängnis beschäftigen. Da ist eine junge Theologiestudentin, die sich den Aufgaben im Gefängnis nahe fühlt. Tiefgehende Fragen stellend, sucht sich nach „klaren“ Antworten. Doch diese können die hauptberuflichen GefängnisseelsorgerInnen nicht geben. Da ist eine Frau, die plötzlich erzählt, welche Erfahrungen sie mit ihrem Ex-Mann und seiner Inhaftierung gemacht hat. „Gut, dass es Sie in diesem System des Knastes gibt“, sagt sie zum Ende des Gespräches. Ein junger Familienvater mit Frau und Kinderwagen schlendert am Stand vorbei. „Das stimmt gar nicht, was Sie da ausstellen“, ruft er dem anwesendem Gefängnisseelsorger zu. „Na ja, die Bettenkonstruktion ist nicht so dünn aus Sperrholz“, sagt er. „Das weiß ich aus eigener Hafterfahrung“, führt der aus. Der grinst bestätigend und geht mit seiner Familie weiter.

Prominente Besucher

Plötzlich versammelt sich am Randes des Standes der Gefängnisseelsorge eine kleine Menschenmenge mit ihren Smartphones. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geht mit Personenschützern vom Stand des Hilfswerkes Renovabis hin zu Misereor. „Schade, das er uns hier nicht besucht“, sagt die Kollegin aus der JVA Tonna. Kurz darauf steht der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil (SPD), an der Bettenkunst: Er hätte mal eine Frage… Es geht um das Übergangsmanagement Entlassener zur Vermittlung in Arbeit. Der Vorsitzende Andreas Bär zeigt ihm das Modell eines Haftraumes und erläutert, dass es durchaus gelungene Projekte in den Bundesländern gebe. Der Personenschützer steht unauffällig im Hintergrund.

Ein alter Bekannter kommt auf den Stand zu: Weihbischof Otto Georgens aus dem Bistum Speyer. Herzlich ist die Begrüßung, war er doch bis vor einigen Jahren für die diakonische Pastoral der Deutschen Bischofskonferenz (dbk) zuständig. „Ich fühle mich nach wie vor der Gefängnisseelsorge sehr verbunden“, sagt er im Gespräch.

Virtueller Blick in Knastkirchen

Fast unscheinbar, eher doch im Mittelpunkt stehen die gefalteten Tauben in verschiedenen Farben. „Da kann man die Gebetsanliegen Gefangener mitnehmen und eigene für sie schreiben“, erläutert Sebastian Alt von der JSA Arnstadt. „Diese Idee finde ich super“, sagt eine Frau und nimmt eine Papiertaube mit. „Ich nehme die Menschen mit ins Gebet“, sagt sie überzeugend ehrlich. Die Fachzeitschrift AndersOrt, Poesie-Bücher aus der JVA Burg (Sachsen-Anhalt) und Broschüren sowie Postkarten wechseln den Besitzer. „Da wollen Sie sicher nicht hin“, ruft Michael Barnt von der bayerischen JVA Augsburg-Gablingen den Menschen zu und drückt ihnen die Postkarten aus dem Knast in die Hand. „Das sind Gesprächsaufhänger, manche bleiben stehen und man kommt ins Gespräch“, sagt Barnt.

Highlight sind die VR-Brillen, mit denen ein Einblick in Knastkirchen und deren Gefängnisseelsorger ermöglicht wird. Dreidimensional stehen die „BrillenträgerInnen“ plötzlich in einer Knastkirche und hören den Erläuterungen der dortigen Gefängnisseelsorger zu. Markus Herold von der Jugendanstalt Raßnitz (JA) betreut dieses Projekt. Seine Vorgängerin, die Dominikanerin Sr. Magdalena Schulting, will das auch sehen. Technische Probleme sind kein Hinderungsgrund, diesen Einblick zu gewähren. Und tatsächlich es gelingt. „Man steht plötzlich mitten in den Knastkirchen der JSA Arnstadt, der JVA Burg und der Kirche, in der ich gearbeitet habe“, erzählt die Dominikanerschwester begeistert. „Sogar von oben kann man die Jugendanstalt sehen“, sagt sie strahlend. Für die Gefängnisseelsorge ist der Blick von oben und nach oben besonders wichtig. Sie will den Menschen hinter den Mauern neuen Horizont vermitteln.

Michael King


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