parallax background

Weil die Wahrheit eben nicht gepachtet ist

20. Mai 2024

„Der Heilige Geist ist keine Zimmerlinde, vielmehr vergleicht die Schrift ihn mit dem Winde.“ Dieses Wort stammt von dem 2017 verstorbenen Pfarrer und Lyriker Kurt Marti. Wind weht nicht dort, wo wir es wollen. Der Heilige Geist ist kein Einrichtungsgegenstand, sein Wirken lässt sich nicht kanalisieren oder in Bahnen lenken. Er ist unberechenbar. Sein Wirken lässt sich nicht in ein Kirchenjahr integrieren, in dem er 50 Tage nach Ostern seinen großen Auftritt hat, gezähmt sozusagen, harmlos, in einer Dosis, die kaum etwas bewirkt.

Wahlwerbestand der AfD in der Fußgängerzone Hannovers am Pfingstsamstag. Dazu eine Gegendemonstration mit Sprechchören. Im Titelbild ist ein Stand von fundamentalistischen Christen entgegen des zur gleichen Zeit stattfindenden Christopher Street Day (CSD) in Hannover zu sehen.

Dieser Tage habe ich einige Texte der 2003 verstorbenen großen evangelischen Theologin Dorothee Sölle erneut gelesen, eine Frau, von der ihr Mann sagt: „Sie war eine gegensätzliche Frau. Sie war eine ebenso sanfte Frau, die sonntags in die Kirche gegangen ist, im Kirchenchor gesungen hat, Klavier gespielt hat, die Blumen geliebt hat. Und sie war eine zornige Frau. Und Zorn ist eine Begabung des Herzens. Wer Unrecht sieht und nicht zornig ist, der ist verstümmelt und sie konnte sehr in Rage geraten.“

Wo war Gott?

Für mich ist diese Frau ein Beispiel für den Wind, für das Sturmbrausen des Heiligen Geistes. Sie überprüfte gängiges Reden von Gott, ob es in der Gegenwart noch standhalten kann. Nach 1945 überwog auch in den Kirchen die Haltung, wieder da anzufangen, wo man 1933 aufhören musste. Dorothee Sölle hat nachdrücklich immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass sich die theologische Sprache nach den Verbrechen des Dritten Reiches ändern muss, dass man nicht einfach weiter machen kann. Sie sagt: „Für mich wichtigstes Thema war die Frage nach der Allmacht Gottes: Wo war Gott in Auschwitz? Warum hat er die Züge nicht angehalten? Wenn er doch alles kann per Knopfdruck? Wenn er da oben sitzt an seinem Schaltbrett und hat eine Milliarde Knöpfe, hätte er es doch machen können. Oder hatte er kein Interesse daran?

FreundInnen Jesu heute

Ich habe lange gerungen und ich denke, dass es eine falsche Vorstellung ist. Ich hab es auf die Formel gebracht: Gott war sehr klein in dieser Zeit in Deutschland. Er hatte fast keine Freunde und Freundinnen. Und Gott braucht uns. Ein Gedankengang: Wieviel FreundInnen hat Gott in unserer Zeit in einer Gesellschaft, die politisch tatsächlich von der AfD mittlerweile wenn nicht „gejagt“ aber doch arg beeinflusst wird? Und sind FreundInnen Gottes zwangsläufig in der Kirche, wenn eine jetzt veröffentlichte Priesterstudie sagt, jüngere katholische Priester seien bei Themen des „liberalen“ Synodalen Weges der deutschen Kirche eher skeptisch? Bei der Herkunft jüngerer Priester sei insgesamt eine erhebliche Milieuverengung zu beobachten. So kommen neu geweihte katholische Priester vorwiegend aus konventionell orientierten oder konservativen Milieus. Und wie groß ist mittlerweile die Schnittmenge konservativer Milieus mit der genannten Partei?

Was gesungen und gebetet wird

Es gibt Einschnitte, die verändern alles, stellen alles in Frage, verlangen nach einer neuen Sprache, weil die alte mit ihren Vorstellungen versagt hat oder entlarvt wurde. „Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret?“ Eine Allmacht Gottes, die jederzeit eingreifen kann Auch nach dem Aufdecken der schweren Missbrauchsverbrechen in der Kirche und ihrem Vertuschen ist eine Zeit angebrochen, die – ich finde – fragen lassen MUSS: Passt das noch alles, was wir singen und beten? Hält es der mitunter grausamen Wirklichkeit stand Schwingt nicht in vielem etwas mit, was Kirchenmänner mit einer Macht versehen und in ein System eingebunden hat, das anfällig ist für Machtmissbrauch? Fragen, unbequeme Fragen, sind Wehen des Heiligen Geistes.

Die Wahrheit nicht gepachtet

Sie wirbeln mitunter alles durcheinander, sie nötigen zu Korrekturen, manchmal rütteln sie auch an den Fundamenten. Bei Jesus war das so, mehr als ein Rütteln an Fundamenten, so dass er den Menschen mit den Zimmerlinden, so dass er allen, die sich eingerichtet haben im Glauben, mehr als nervig ist: Ausschalten und zum Schweigen bringen fortwährend, auch und gerade im Kreis der vermeintlich Frommen „Wenn jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten.“ Weil noch vieles aussteht, weil noch nicht alles erkannt ist, weil noch viel zu korrigieren ist, weil man nach schweren Ereignissen nie einfach so weiter machen kann, als wäre nichts gewesen, weil sich Vorstellungen von Gott ändern müssen durch das, was wir erleben, weil wir die Wahrheit nicht gepachtet haben.

Bernd Mönkebüscher | Joh 15,26-27; 16,12-15

 

1 Rückmeldung

  1. Robert Eitenneuer sagt:

    Kriege
    „Schwerter zu Pflugscharen!“ und „Frieden schaffen ohne Waffen!“, das waren meine Vision, meine politischen Ziele, als ich 1982 und 1983 gegen den Nato-Doppelbeschluss, gegen die Stationierung von Pershing 2 Raketen, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können, zusammen mit 300.000 Menschen auf der Hofgartenwiese in Bonn demonstriert habe. Über 2 Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und acht Monate nach dem Massaker der islamistischen Hamas auf jüdische Kibbuzim und Festivalbesucher unweit des Gazastreifens und dem Beginn der Raketenangriffe der Hamas und der Hisbollah auf israelische Städte und des anschließenden Verteidigungskrieges der israelischen Armee auf den Gazastreifen sehe mich und meine Friedensvision aufs schärfste in Frage gestellt. Die israelische Antwort darauf… Der Krieg auf die Hamas im Gazastreifen kostete bislang 35.000 unschuldigen palästinensischen Zivilisten das Leben.

    Waffen
    Frieden schaffen mit hochwirksamen Waffen? Pflugscharen umschmieden zu neuen Waffen? Darf ein Land, das von Terroristen oder von autokratisch geführten, imperialistisch denkenden und jegliche Demokratie und jegliches Selbstbestimmungsrecht der angegriffenen Völker leugnenden Machthabern überfallen wird, sich wirksam verteidigen? Darf unser Land Waffen liefern, um die Grundrechte, die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht der zu Unrecht angegriffenen befreundeten Staaten und Völker zu verteidigen? Waffen, die den Angreifer stoppen können? Waffen, die einen ungerechten, die Freiheit aller Menschen bedrohenden Krieg beenden können? Ich bin ratlos. Meine Vision von einem Frieden für alle Völker ohne Waffen zerfällt, scheitert an der Realität. Menschenrechte ganzer Völker fallen dem Völkermord zum Opfer. Selbstbestimmung, Meinungsfreiheit, demokratische Grundrechte geraten zunehmend in die Defensive. Fluchtursachen werden nicht mehr bekämpft, sondern verstärkt, um demokratische Staaten zu destabilisieren.

    Umdenken
    Ist Selbstverteidigung erlaubt, oder muss ich mit töten lassen, wenn mein Feind die Waffen auf mich richtet? Es ist zum Verzweifeln. Nein, nicht verzweifeln! Umdenken! Den Weg zum Frieden neu definieren! Meine Vision vom Frieden nicht aufgeben, aber einen neuen Weg zum Frieden suchen! Mit anderen, die genauso träumten und genauso dachten wie ich, an einem Frieden bauen, der in einer Welt der Gewalt gegen Andersdenkende, der Unterdrückung ganzer Völker, der grenzenlosen Gier nach Macht-Erweiterung, eine Chance hat! Frieden schaffen ohne Waffen geht nicht mehr. Aber die Hoffnung auf Frieden aufgeben geht auch nicht…

Feedback 💬

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert