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Sitzen bleiben. Zen-Meditation mit Knastjungs

28. März 2019

Als ich im Jahr 2004 als Gefängnisseelsorger in der JVA Siegburg meinen Dienst antrat, hatte ich selbst schon einige Erfahrung in Meditation. Ich hatte mich über Jahre in verschiedene Formen der Meditation und Kontemplation eingeübt. Nach einer kirchlichen Zusatzausbildung in Geistlicher Begleitung und Exerzitienbegleitung engagierte ich mich in Kursen und Einzelbegleitung. Die Idee, im Gefängnis Meditation anzubieten, hatte ich vermutlich schon mit dorthin gebracht.

Jedenfalls reifte der Entschluss und schon nach einem halben Jahr begann ich mit ersten Kursen. War ich anfangs noch unsicher, welche Form ich wählen sollte, so entschied ich mich nach ersten Erfahrungen eindeutig für das Zazen, die Sitz- und Gehmeditation des Zen. Mit der Zeit stellte sich heraus, dass es die richtige Entscheidung war. Jahre zuvor lernte ich Zen kennen, eine Meditationsform, die sich im 6. Jahrhundert in China entwickelt hatte und durch christliche Ordensleute im 20. Jahrhundert in den Westen kam. Ich übte mich bei einem Zenlehrer in Bonn, wurde sein Schüler und 12 Jahre später sein Nachfolger in der Leitung dieser Gruppe.

Zen ist ein über die Religionen und Konfessionen hinausweisender Weg, sein Leben in Achtsamkeit, Gelassenheit und Vertrauen zu gestalten. Zen ist ein spiritueller Übungsweg, der in der Kurzformel „Stilles Sitzen – Achtsames Gehen“ beschrieben werden kann. Zen im Gefängnis ist ein spirituelles Angebot in einer „Totalen Institution“. Inmitten der repressiven Dynamik des Freiheitsentzuges setzt Zenmeditation natürliche Ressourcen humaner Existenz frei. Zen im Gefängnis ist eine Übung der Stille jenseits von Konsum, Berieselung, Reizüberflutung, ohne Hilfsmittel wie Texte, Musik, Medien. Es ist die Übung, ganz einfach da zu sein. Die Praxis des Zen, das so genannte Zazen, ist eine ungegenständliche Schweigemeditation. Sie verzichtet weitgehend auf religiöses Beiwerk. In unserer Gruppe gehören folgende Rituale zur Übung:

  • Die Verneigung. Wir legen die Hände aneinander, wie zum Gebet, und verneigen uns.
  • Die urmenschliche Gebärde bringt die Erfahrung von Würde und Respekt zum Ausdruck.
  • Das Ertönen der Klangschale am Anfang und Ende des Schweigens .
  • Die Rezitation des Abendrufs, in dem wir zur Achtsamkeit in jedem Moment eingeladen werden.

Diese wenigen Rituale verbinden die Teilnehmer untereinander. Sie sind transkonfessionell, wie es das Wesen des Zen ist. Damit eignet sich Zen als Übung für Teilnehmer aus unterschiedlichsten ethnischen und religiösen Bezügen. Das ist nach meiner Erfahrung die Stärke dieser Meditation im Vergleich mit anderen Formen. In den 12 Jahren nahmen hunderte Inhaftierte an der wöchentlichen Meditation teil: Jugendliche und Erwachsene mit dem ganzen Spektrum an Straftaten, die unsere Rechtsprechung kennt. Auf Initiative von Kolleginnen wird eine wöchentliche Sitzgruppe für Bedienstete angeboten, allerdings mit deutlich weniger Teilnehmern als bei den Inhaftierten.

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Zudem gibt es regelmäßige gemeinsame Meditationstreffen mit Ehrenamtlichen und Gästen, wobei auch Raum für gemeinsame Mahlzeiten und Begegnung gegeben ist. Die externen Teilnehmerinnen kommen mit Interesse an der Welt hinter Gittern und nutzten die Möglichkeit, mit Gefangenen gemeinsam im Gefängnis Meditation zu üben und damit die institutionalisierte Trennung zwischen Drinnen und Draußen, Freiheit und Gefangenschaft zumindest zeitweise aufzuheben. Die Intensität der gemeinsam vollzogenen Übung im Schweigen, die Disziplin und der Respekt im Umgang ist für Alle eine berührende Erfahrung.

Resümierend kann ich sagen, dass sich bei Seelsorgern, Psychologen, Sozialarbeitern und anderen Bediensteten im Strafvollzug ein Bewusstsein dafür bildet, dass ein weit verbreitetes Bedürfnis nach Spiritualität bei Menschen, die eine Zeit ihres Lebens hinter Gefängnismauern verbringen müssen, anzutreffen ist. Ich versuchte, durch das Angebot von Zenmeditation diese Sehnsucht der Menschen nach einem sinngebenden, erfüllenden Leben aufzugreifen und in einer authentischen spirituellen Übung für die Vertiefung und Transformation des eigenen Lebens fruchtbar zu machen.

Bruno Liesenfeld | JVA Siegburg

 

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