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Zellengefängnis in NS-Zeit in ein Zuchthaus umgewandelt

3. Februar 2021

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 übernehmen diese auch die Hoheit über die Rechtspflege. Die begonnenen Strafvollzugreformen in der Weimarer Republik sind damit zunichte gemacht worden. Der Charakter des Strafvollzuges verändert sich im Dritten Reich grundlegend. Aus dem Zellengefängnis im ostwestfälischen Herford wurde das Zuchthaus. Bereits damals gab es Einzelzellen, der Kontakt zu Mitgefangenen wurde auf das Notwendigste beschränkt. Inhaftierte sollten ihre „Untaten“ mit sich und Gott in der Vereinzelung ansehen. In den 1920er Jahre war der Fokus auf die Erziehung durch Arbeit im Mittelpunkt.

Das Zellengefängnis Herford um 1929.

Während im Deutschen Reich die Debatte über die Ausgestaltung des Strafvollzugs anhält, setzen die Verantwortlichen im ostwestfälischen Herford auf die Einzelhaft, ohne Unterscheidung zwischen den Häftlingen. Die „Königliche Gefangen-Anstalt“ hat die offizielle Bezeichnung „Zellengefängnis“. Sie ist Ausdruck des konsequenten Einzelhaftsystems, was zu Kaiserzeiten militärisch geordnet ist. Welche Ausprägung die Einzelhaft in den preußischen Strafanstalten hat, darüber gibt die Hausordnung der Anstalt in Münster Auskunft. So werden die Gefangenen nach der Einlieferung zunächst „Tag und Nacht von anderen Gefangenen getrennt gehalten“. Der Versuch einer Kommunikation mit anderen Häftlingen ist strikt verboten: „Jeder Versuch der Gefangenen der Einzelhaft, mit ihren Nachbarn durch Sprechen, Klopfen, Schreiben usw. in Verbindung zu treten, wird streng bestraft.“ Selbst während der gemeinsamen Haftzeit, z.B. in den Gefängnisbetrieben „haben die Gefangenen jeder auf seinem Platz schweigend zu arbeiten“. Der Häftling sollte „im ernsten Nachdenken über seine Vergangenheit gute Vorsätze für die Zukunft […] fassen.“

Strafvollzugsreform 1920er Jahre

In den 1920er Jahren weht ein Reformgeist durch den Strafvollzug. Im Mittelpunkt sollen die Bedürfnisse der Gefangenen und ihre individuelle Förderung stehen. Im Deutschen Reich zeichnet sich eine Abkehr vom strengen Einzelhaftsystem ab. Der spätere Justizminister in der Weimarer Republik, der Jurist und Strafrechtsexperte Gustav Radbruch, veröffentlicht im gleichen Jahr in der „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft“ einen Aufsatz mit dem Titel „Die Psychologie der Gefangenschaft“. Radbruch fordert darin die Sozialisation der Gefangenen durch Vergesellschaftung, da die Lebensbedingungen in einer Zelle mit denen in der bürgerlichen Gesellschaft nicht vergleichbar seien: Die Einzelhaft verbessert, aber sie verbessert nur für die Anstalt, nicht für das Leben“, so Radbruch. Im demokratischen Rechtsstaat soll nicht länger ein rechtsfreier Raum außerhalb öffentlicher Kontrolle sein. Tragendes Prinzip war der Erziehungs- und Fürsorgegedanke des § 48 des Grundgesetzes der Weimarer Republik und „Erziehung durch Arbeit.“. Es wird auf einen respektvollen Umgang mit Gefangenen gelegt: Nach § 49 soll der Strafvollzug „ernst, gerecht und menschlich“ sein.

In Zuchthaus umgewandelt

Das Herforder Zellengefängnis wird mit Beginn des NS-Regimes zum Zuchthaus umgewandelt. Es änderten sich die Dienstbezeichnungen des Aufsichtspersonals. Mit diesen Maßnahmen entspricht Preußen den Zielvorgaben des NS-Regimes. Vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten hatten verschiedene Länder des Deutschen Reiches mit einer Politik der Haftverschärfung schleichend begonnen. Nach der Ernennung Hitlers setzte sich der Trend massiv fort. Preußen schränkt im Mai 1933 das Beschwerderecht der Gefangenen ein und schaffte die Anstaltsbeiräte ab. Diese wirkten bis dahin seit 1923 ehrenamtlich bei der Überwachung des Strafvollzugs mit und hatten das Recht, die Anstalt zu besichtigen und mit Gefangenen zu sprechen. Mehrere weitere Verordnungen schränkten die Hafterleichterungen für Strafgefangene ein. So wurde das Tabakrauchen untersagt und der Empfang von Geburtstagspaketen verboten. Bei Häftlingen der oberen Stufen im System wurde die Selbstverwaltung abgeschafft. Vorträge sowie Konzerte „unterhaltender Art“ hatten fortan zu unterbleiben.

Am 1. August 1933 verabschiedete der preußische Landtag ein „Strafvollstreckungs- und Gnadenrecht“. Die seit 1923 bestehende Strafvollzugsämter wurden aufgelöst, die Generalstaatsanwälte übernahmen die Aufsicht über die Strafanstalten. Der Stufenstrafvollzug – die allmähliche Gewährung von weitgehenden Hafterleichterungen – galt nur noch für nicht vorbestrafte Häftlinge. Vergünstigungen während des Strafvollzugs sollten die Ausnahme sein. Die zeitgleich in Kraft getretene Dienst- und Vollzugsordnung rückte für erwachsene Strafgefangene Sühne und Abschreckung als Vollzugsziel in den Vordergrund. Roland Freisler, Staatssekretär im Reichsjustizministerium und späterer berüchtigter Präsident des „Volksgerichtshofs“ formulierte 1936: „Endlich haben wir uns abgewandt von dem […] Anfassen des Rechtsbrechers mit Glacéhandschuhen, von der Sorge, ihm wohl gar wehzutun, von der Angst, seine Individualfreiheit und sein ursprüngliches Lebensrecht zugunsten nachhaltigen Schutzes seiner Mitmenschen einzuengen.“

Quelle: 125 Jahre JVA Herford, 2008

Anmerkung

„Wenn die Mauern erzählten könnten, würden sie uns viele Anekdoten zu berichten haben“, sagt ein Bediensteter. Noch heute zeigt sich die Geschichte der Justizvollzuganstalt in den sanierten Gebäuden. In Sprachausdrücken haben sich Begriffe aus vergangener Zeit bis heute erhalten.. „Zur Arbeit ausrücken“ kommt von der militärisch ausgerichteten Zeit des Zellengefängnisses. Ist die Arbeit beendet „rückt man ein.“ Das Wort „Revier“ für den medizinischen Bereich der JVA, hat seinen Ursprung ebenso aus der Zeit. Der „Sport-Kalfaktor“ ist die Bezeichnung für den Gefangenen, der im Sportbereich arbeitet. Das Wort stammt aus dem mittellateinischen calefactor, das „Heizer“ bedeutet. Es wurde im 16. Jahrhundert als Lehnwort ins Deutsche übernommen. Im Vollzug ist es ein Gefangener, der Hilfsdienste im Gefängnis leistet (unter Gefangenen in Deutschland meist „Kalli“, in Österreich „Fazi“). Im Hofgang mussten die Gefangenen hintereinander mit Abstand hergehen. Heute drehen Gefangene meist zu Zweit entgegen dem Uhrzeigersinn in der Freistunde ihre Runden.

Über die Gefängnisse in nationalsozialistischer Zeit ist wenig bekannt. Es gibt viele Informationen über Konzentrations- und Arbeitslager. Was sich in den Gefängnissen tatsächlich in der NS-Zeit abspielte, bleibt oft im Verborgenen. Einige Autoren widmen sich diesem Thema. Politische Gefangene oder Gefangene anderer Weltanschauungen sind Opfer einer Selbstjustiz von eigenmächtig handelnder Aufsichtspersonen geworden. So wird berichtet, dass ein Gefangener, der ausländische Wurzeln hat, nach Haft wegen Bagatelldelikten der Polizei oder der SS übergeben wurde. Damit begann die eigentliche menschenunwürdige Behandlung in Arbeitslagern oder der Tod im Vernichtungslager. Gefangene waren in den Kriegsjahren in der Kriegsmaschinerie eingebunden.

Michael King

 

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