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Szenen identifizieren und aus Dramen aussteigen

15. September 2023

„Seelsorge und die totale Institution“, so lautete der Titel des Ökumenischen Fortbildungstages auf der Bayerischen Konferenz der Gefängnisseelsorge, die Mitte September 2023 an der Vollzugsakademie in Straubing stattfand. Das Gefängnis empfinden viele, Gefangene und Personal, als ein krankmachendes System, in dem es notwendig ist, immer wieder den ureigenen Auftrag und den Arbeitsort der evangelischen und katholischen Gefängnisseelsorge zu reflektieren.

Diesmal standen drei ReferentInnen der Zusammenkunft von GefängnisseelsorgerInnen beider Konfessionen zur Seite: Am Vormittag arbeitete Dr. Ruth Sander zusammen mit den SeelsorgerInnen am Thema „Gesund bleiben im System Gefängnis“. Sie ist Systemische Beraterin, Supervisorin und Coach mit dem Schwerpunkt Teamentwicklung und Konfliktmoderation. Bei ihrer Arbeit geht es darum, „Rollen klar zu erkennen, immer wiederkehrende Szenen zu identifizieren und aus Dramen auszusteigen. Auch die größten, zähen und eingefahren Strukturen von Organisationen sind von Menschen veränderbar – denn sie sind von Menschen geschaffen“ sagt sie selbst. In einer systemischen Aufstellung mit sieben freiwilligen StellvertreterInnen, die ihre Rolle nicht kannten, wurde die Stellung als GefängnisseelsorgerIn im System „Justizvollzug“ näher beleuchtet.

Aufstellungsarbeit bei der Bayerisch-Ökumenischen Konferenz für Gefängnisseelsorge in Straubing. Die StellvertreterInnen für bestimmte Rollen geben ihren Gefühlen durch ihre Haltung Ausdruck.

Gefühlen Ausdruck verleihen

Die ersten vier Personen verkörperten dabei das System, die MitarbeiterInnen, die Gefangenen sowie die GefängnisseelsorgerInnen. Später kamen drei Personen mit ins Spiel, welche die „Ressourcen“ verkörperten. Die StellvertreterInnen suchten sich ihren Platz im Raum und gaben ihren Gefühlen durch ihre Haltung einen Ausdruck. Von der Referentin angeleitet und zu ihren Haltungen und ihrem Gefühl befragt, fielen Sätze wie: „Hier fühle ich mich wohl“, „Es tangiert mich nicht, was die anderen tun“, „Der Raum wird enger“, „Es zieht mich nicht hierhin, aber ich gehöre dazu“ oder „Ich will aus Überzeugung durchhalten, solange ich durchhalten kann“.

„Aufstellung“ nachspüren

Von der Referentin wurde zielgerichtet nachgefragt, ob das Gefühl stimmig ist, die Haltung noch passt oder die Spannung noch auszuhalten ist. So kam Dynamik in die Figuren, die sich noch verstärkte, als die „Ressourcen“ dazukamen. Die abschließende Frage an jeden der StellvertreterInnen war, was für sie wesentlich sei. Danach konnten alle Teilnehmenden ihre Rolle wieder verlassen. Nach einer kurzen Pause gab es für die SeelsorgerInnen die Möglichkeit, der „Aufstellung“ in drei Gruppen nachzuspüren und die eigenen, dabei selbst gemachten Beobachtungen und Erfahrungen einander mitzuteilen. Jeder hat persönliche Erfahrungen, die richtig und wichtig sind und es tat gut, diese miteinander zu teilen. Im Plenum fand ein letzter kurzer Austausch im „Fishbowl“ statt, wo einige Ergebnisse aus den Gruppen für alle benannt wurden.

Studie der Schweizer KollegInnen

Am Nachmittag machte sich der Krankenhauspfarrer i.R. Heinz Müller mit uns auf die Suche und ging der Frage nach, was die Seele der Seelsorge ist und Pfarrer Christian Anton gab uns abschließend einen Einblick in die Studie der Schweizer KollegInnen, über die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Gefängnisseelsorge. Die quantitative Studie lud die MitgliederInnen des Schweizerischen Vereins für Gefängnisseelsorge zur Teilnahme ein. Im Kanton Zürich sind beispielsweise ca. 30 Seelsorgepersonen reformiert, römisch-katholisch und muslimisch organisiert. Sie treffen sich zu regelmäßigen Erfahrungsaustauschsitzungen oder organisieren Fachtagungen. In einzelnen Kantonen hingegen gibt es je eine reformierte und eine katholische Gefängnisseelsorgeperson. Muslimische Seelsorge wird zum Teil nur auf ausdrücklichen Wunsch hin organisiert. So konnten die Teilnehmenden mit dem internationalen Austausch an diesem bayerischen Fortbildungstag etwas Gewinnbringendes für ihre Aufgabe als GefängnisseelsorgerIn in einem nicht ganz einfachen System erfahren und mitnehmen.

Michael Barnt | JVA Augsburg-Gablingen

 

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