Ein jugendlicher Gefangener kniet auf dem Boden der Anstaltskirche vor dem aufgestellten Bild eines verstorbenen Mitgefangenen. Er zündet seine Kerze an und formiert die bereits brennenden Kerzen auf dem Boden zu einem Herz. “Weil er ein guter Junge war”, sagt er. Die Rede ist von einem 22-jährigen Inhaftierten, der aus Somalia stammt. Er hat sich vor paar Tagen in seinem Haftraum suizidiert.
Für die inhaftierten Jugendlichen sowie für die Bediensteten löst der Suizid ein Schock- und Ohnmachtsgefühl aus. Anscheinend ohne Vorzeichen wählte der Verstorbene inmitten des Alltags im Jugendvollzug diesen endgültigen Weg. “Wir wissen nicht, was in ihm vorging. Wir können nur spekulieren und vermuten. Er kann uns nichts mehr über seine Beweggründe erzählen”, sagt einer der Gefängnisseelsorger. Sie holen die Mitgefangenen der betreffenden Abteilung in die Kirche, um über das Geschehene zu sprechen und des Verstorbenen zu gedenken. “Wir wollen nicht verschweigen, dass der Jugendliche diesen Weg gewählt hat. Es kann für uns Trauernden ein Spiegelbild sein, das Leben als kostbar zu erkennen und es zu schützen, meint der Gefängnisseelsorger.
Mitfühlendes Schweigen
Wie in solchen Fällen üblich, hat die Staatsanwaltschaft ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet. Der Körper wird obduziert, um Fremdverschulden auszuschließen. Die Gefangenen der betroffenen Abteilung werden durch die Gefängnisseelsorge informiert, um möglichen Gerüchten aus dem Weg zu gehen. Einige kannten den Verstorbenen näher. Hier ist der Ort, an dem man sich frei äußern kann: Ängste, Wut auf das Geschehene oder Erinnerungen an den Gefangenen können zur Sprache kommen. Als alle ihre Kerze angezündet und zum Bild gestellt haben, ist es still! Minutenlang ein mitfühlendes Schweigen.
Anstaltskirche ein ruhiger Ort
Um die Bediensteten in unmittelbarer Nähe kümmern sich die KollegInnen der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV), aber auch die Gefängnisseelsorger. Beide kommen sie aus der Notfallseelsorge und wissen, dass jetzt das Dasein und die unmittelbare Begleitung notwendig ist. Die Anstaltskirche ist ein Ort der Ruhe, da gibt es einen Kaffee oder Tee. Dies wird in der belasteten Situation gerne angenommen. “Warum haben wir uns nicht noch mehr mit dem Inhaftierten befasst”, solche Fragen tauchen unweigerlich bei den Bediensteten auf. Einige der Mitgefangenen sagen, er wäre immer so fröhlich gewesen. Der Jugendliche war seit 2021 in Haft. Lange hatte er nicht mehr bis zu seiner Entlassung. Umso unverständlicher sein Entschluss.
Michael King
Hilfe durch die Telefonseelsorge
Die Telefonseelsorge ist unter den Rufnummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222 sowie 116 123 rund um die Uhr erreichbar. Sie berät kostenfrei und in jeder Hinsicht anonym. Der Anruf hier findet sich weder auf Ihrer Telefonrechnung noch im Einzelverbindungsnachweis wieder. Menschen muslimischen Glaubens können sich an das muslimische Seelsorgetelefon wenden. Es ist ebenfalls kostenfrei und anonym 24 Stunden am Tag unter der Rufnummer 030 / 44 35 09 821 zu erreichen. Die Telefonseelsorge bietet die Möglichkeit an, sich Hilfe per Chat zu holen. Dazu meldet man sich auf deren Webseite an. Menschen mit Suizidgedanken können sich an die E-Mail Beratung der Telefonseelsorge wenden. In der Regel berichten wir nicht über Suizide. Wenn Sie sich selbst in einer Krisensituation befinden, suchen Sie sich bitte Hilfe bei der Telefonseelsorge oder seelsorgerlichen und psychologischen Beratungsstellen in Ihrer Nähe.