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Die Beerdigung ist ein Werk der Barmherzigkeit

15. August 2023

Auf dem Friedhof „Ewiger Frieden“ der Hansestadt Herford in Ostwestfalen ist es am Donnerstagmorgen um 10 Uhr still. Nur ein hagerer, schwarz gekleideter junger Mann des Bestattungsinstituts schaut vom Eingangstor in Richtung der Einfahrtsstraße. In der kommenden Stunde wird hier ein 22-jähriger Gefangener beerdigt, der sich im Jugendvollzug suizidiert hat. „Die Beerdigung ist ein Werk der Barmherzigkeit“, sagt Holger Kasfeld von der Diakonie Herford. Er ist im Beirat der Justizvollzugsanstalt Herford und hat diese Bestattung in die Wege geleitet.

Betroffenheit und Trauer am Grab des verstorbenen jungen Mannes aus Somalia.

Ein Suizid im Jugendvollzug konfrontiert Mitgefangene wie Bedienstete mit vielen offenen Fragen: Habe ich zu wenig getan? Habe ich die Signale des Verstorbenen nicht erkannt? Manch einer der Inhaftierten äußert, dass „er es jetzt geschafft hat“. Doch ganz das Gegenteil ist der Fall. Ohnmacht und Trauer überwiegen. Die Staatsanwaltschaft eröffnet ein Todesermittlungsverfahren. Nach Abschluss der Untersuchungen wird der Leichnam freigegeben. Das Sozialamt der Stadt übernimmt die Kosten einer Beisetzung, wenn die Hinterbliebenen nicht bekannt sind. Die Justizvollzugsanstalt hat nach dem Tode des Inhaftierten, der aus Somalia stammt, formal nichts mehr zu tun. Dennoch beschäftigt dieser Tod weiter Mitgefangene und Bedienstete.

Anonyme Bestattung vermieden

Holger Kasfeld, evangelischer Pfarrer und Leiter des Diakonischen Werkes im Kirchenkreis Herford e.V., sah sich als Beiratsmitglied der JVA in der Verantwortung, eine Feuerbestattung abzuwenden. Bislang konnten die Angehörigen des jungen Mannes, trotz großer Anstrengung aller Behörden, nicht ermittelt werden. Kasfeld stoppte das gängige Verfahren: Wie kann ein gläubiger Muslim in Krematorium verbrannt werden, wenn dies den Richtlinien des muslimischen Glaubens widerspricht? Der Kontakt zur Moscheegemeinde vor Ort wurde geknüpft. Kurzerhand wurden Spenden für die Bestattungskosten gesammelt. Die Evangelisch-Lutherische Marien-Kirchengemeinde Stiftberg zu Herford beteiligt sich unter anderem finanziell. „Die Bestattung ist ein Werk der Barmherzigkeit“, betont Holger Kasfeld.

Würdig bestatten

So begrüßt er wenige Versammelte am Eingang des Friedhofes: Ein Bediensteter in Uniform, die Psychologin, drei SozialarbeiterInnen und die zwei Gefängnisseelsorger. „Es ist für uns alle eine ungewöhnliche Situation. Aber wir wollen den Verstorbenen würdigen und ihn würdig bestatten“, leitet Kasfeld seine Worte ein. Am geöffneten Grab wird Psalm 90 gelesen. Der muslimische Sozialarbeiter der Diakonie liest die erste Sure des Koran vor. Das Gebet „Vater unser“ folgt, das die meisten mitbeten. Ein Gefängnisseelsorger entzündet eine Kerze im Namen der Mitgefangen und der noch unbekannten Angehörigen. Nach muslimischem Ritus wird der in Tücher gewickelte Leichnam aus dem geöffneten Sarg genommen und behutsam in das Grab mit Hilfe von Seilen gelegt. Dies übernehmen zwei Mitarbeiter des Bestattungsinstituts und Anwesende der kleinen Trauerrunde. Der Verstorbene ist auf dem islamischen Gräberfeld Richtung Mekka ausgerichtet. Lange noch stehen die Beteiligten am offenen Grab. Ein Vater des benachbarten Grabes seiner Tochter stellt sich dazu. „War er Muslime?“ fragt dieser. „Ja“, bekommt er zur Antwort, auch wenn dieses Begräbnis nicht ganz dem Ritus des Islam entsprochen hat. Die Beteiligten haben das Beste getan, um eine anonyme Bestattung zu vermeiden.

Michael King

 

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