Im Film „Verfehlung“ ist ein katholischer Gefängnisseelsorger innerlich zerrissen. Sein Kollege und langjähriger Freund Dominik wird des Missbrauchs an Jugendlichen verdächtigt. Als die Vorwürfe allerdings unter den Tisch fallen, zweifelt er an System und Selbstverständnis der Kirche. Da sitzen sie gemeinsam in der Kirchenbank, wie so oft, und doch ist nichts wie zuvor. Die zwei befreundeten Priester Jakob und Dominik können sich nicht mehr beruhigt in die Augen schauen. Blicke voller Skepsis: Was hat Dominik mit dem Jungen gemacht? Jakob will es wissen, und doch will er nicht wahrhaben, was er in einem Nebensatz erfährt. Die Luft bleibt ihm weg, als Dominik gesteht: „Es ist einfach passiert“.
Jakob ist sichtlich schockiert. Auf einmal erlebt er ihn im persönlichen Umfeld, was er als Pfarrer zuvor nur aus der Ferne mitbekommen hat. Der Dritte der Freunde, Pastor Oliver, versucht die Wogen zu glätten. Es gelingt. Dominik wir aus der Untersuchungshaft entlassen. Doch Jakobs Verantwortungsgefühl lässt ihm keine Ruhe. Er kann die Sache so nicht stehen lassen und begibt sich auf die Suche nach der Wahrheit – zur Missgunst von Oliver, der sich um das Image der Kirche sorgt. Man kann sich gut in den Hauptdarsteller Jakob, gespielt von Sebastian Blomberg, und seinen Gewissenkonflikt hineinversetzen: Einer seiner besten Freunde ist ein Straftäter, ein Pädophiler, und gleichzeitig Priester. Natürlich will er das Beste für seinen Freund, aber noch vielmehr will er Unrecht vermeiden. Der Film Verfehlung zeigt, wie eine kirchliche Institution damit umgehen kann, wenn es um Missbrauch durch einen Priester geht: soll man Vertuschen, sich Entschuldigen, jenem Kollegen helfen, oder ihn auflaufen lassen? Der Spielfilm zieht unübersehbar eine Parallele zur Realität der Kirche. Er macht nachvollziehbar, wie es während der Missbrauchsskandale vielleicht abgelaufen sein könnte. Nach innen hin treibt den Einzelnen im System ein Verantwortungsgefühl, das stärker ist als die Konformität. Nach außen hin ist da das Image der Kirche, das nicht beschädigt werden soll.
Das illustrieren unter anderem die eindringlichen Dialoge in Verfehlung. Sie zeigen, wie man Wortkontexte verdrehen kann: „Barmherzigkeit“, „Heilung“, „eine Mutter schlägt man nicht“ – all diese Worte werden verdreht, um eine Verfehlung zu rechtfertigen. Dabei wird auch deutlich, dass die Kirche auf dem richtigen Weg ist, wenn sie sich fehlbar zeigt. Gestalterisch ist die Kamera nah dran, an den Zweifel der Beteiligten: Sowohl der Angeklagte Dominik zweifelt, als auch doch niemand so sehr wie Hauptdarsteller Jakob. Seine Mimik ist durchgängig erstarrt. Dominik, gespielt von Kai Schumann ist die Herausforderung, einen Pädophilen zu spielen, gut gelungen. Im Vorfeld hat er viel Material gelesen und Kontakt mit der Organisation „Kein Täter werden“ aufgebaut.
Der Film ist sehr still, kommt fast ohne Musik aus, wodurch jedes Geräusch bedeutungsvoll wird, insbesondere die Flüsterstimmen beim Beten. Durch seine Stille wirkt der Film manchmal eher wie eine Tatort-Produktion als wie ein Spielfilm. Manchmal wäre ein bisschen mehr Musik dramaturgisch passend gewesen. Schade ist auch, dass man wenig über den Hintergrund des Pastors Jakob erfährt. Es ist das Debüt des Regisseurs Gerd Schneider. Er war selbst Priesteramtskandidat der Erzdiözese Köln. Mit dem Film hat er sich sieben Jahre Zeit gelassen – ein Herzensprojekt. In der Zeit musste Gerd Schneider einen langen Atem entwickeln und ist durch viele Täler gegangen.
Verfehlung ist kein unterhaltender Popkornfilm für Samstagabend, dafür ist er zu ernst, nachdenklich und beklemmend. Der Film veranschaulicht eine aktuelle Debatte. Dabei prangert er die Kirche nicht plakativ an, sondern lässt den Zuschauer selbst in einen Konflikt treten. Am Ende lässt sich kaum beurteilen, ob man die Kirche mit dem Film nun pessimistisch oder optimistisch betrachten soll. Er bietet vielmehr Fläche für beide Interpretationen und lässt somit den Zuschauer für sich entscheiden. Ein starkes und eindringliches Psychodrama, ein wichtiger und gelungener Beitrag zur Missbrauchsdebatte.
Caroline von Eichhorn | You Pax