Heute ist wieder Montag, und weil heute Montag ist, ist das Wochenende auch schon wieder vorbei. Viel öfter, als ich selbst im Radio spreche, bin ich auf der anderen Seite und höre zu – zum Beispiel eben dem Radio. Und neulich habe ich da von einem Verein gehört. Der heißt: Momo hört zu. Der Name ist klug gewählt. Momo, das ist dieses kleine Mädchen aus Michael Endes Buch, das nichts Besonderes konnte – außer zuhören.
Und genau das war ihre Superkraft. Sie konnte Menschen zuhören, bis sie sich selbst wieder verstanden haben. Den Verein Momo hört zu gibt’s wirklich. In München. Neben einer Kirche haben Menschen ein kleines Häuschen aufgebaut. Da kannst du hingehen – und dann hört jemand zu. Kein Coaching. Kein Therapievertrag. Keine AGB. Einfach: zuhören. Niemand fragt, ob du versichert bist oder ob du das auch in der App bestätigen möchtest. Es ist fast schon unanständig menschlich. Mich hat das beeindruckt.

Im Gespräch mit einem Häftling im Seelsorgebüro der JVA Herford.
Deine Geschichte ist wichtig
Ich meine: Zuhören ist ja eigentlich einfach. Man sitzt da, hält die Klappe – und ist da. Und trotzdem scheint das heutzutage so exotisch zu sein, dass es dafür schon einen Verein braucht. Ich kenne das von mir selbst. Meine Frau sagt etwas – und ich höre zu. Denke ich. In Wahrheit denke ich: Ob wir wohl noch genug Spülmaschinentabs haben? Und ob ich morgen den einen Text noch… Und zack, hab ich zwei Drittel verpasst. Dann sage ich: „Mhm.“ Sie sagt: „Du hast mir gar nicht zugehört.“ Und das stimmt. Und ich bin zerknirscht. Zuhören ist schwierig geworden. Unsere Welt ist voller Geräusche, aber arm an Aufmerksamkeit. Jeder redet. Wenige hören. Und wenn jemand redet, dann oft nicht, weil er was sagen will, sondern, weil er Angst hat, dass sonst niemand merkt, dass er da ist. Ich glaube, deshalb ist Momo hört zu tatsächlich ein Erfolgsmodell. Es kommen so viele Menschen, dass es inzwischen ein Team von 40 Menschen gibt, die dort zuhören. Offensichtlich, weil das ein Bedürfnis ist: Du darfst da sein. Deine Geschichte ist wichtig. Auch ohne Pointe.
„Was willst Du, was ich Dir tue?“
In der Bibel kommt das Zuhören übrigens ziemlich oft vor. Besonders bei Jesus. Der konnte das. Da kommt ein Zöllner oder ein Ehebrecher – und Jesus hört erstmal zu. „Was willst du, dass ich dir tue?“, fragt er mal einen Blinden. Er hätte ja auch sagen können: „Ach, ich weiß es eh schon – du willst sehen. Klassischer Fall. Zack, Heilung. Nächster!“ Aber nein. Er fragt was. Und hört dann nochmal. Vielleicht ist das der wahre Anfang jeder Heilung: Dass einer dich erstmal ernst nimmt, bevor er dir was erklärt. Zuhören ist wie Spazierengehen durch fremde Gärten. Man muss nichts anpflanzen. Nur staunen, was da wächst. Vielleicht ist das am Ende der tiefere Sinn der Nächstenliebe: nicht die große Tat, sondern das kleine Ohr. Und falls Sie jetzt denken: Was für ein schöner Gedanke – dann sagen Sie’s nicht. Hören Sie einfach jemandem zu. Zwei Minuten. Ohne Ratschlag. Und nicht nur an diesem Montagmorgen.
Peter Otten | Kirche im WDR