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Tiefe Zahnbürsten-Spiritualität in „Mein Leben mit Amanda“

30. September 2020

Im französischen Film “Mein Leben mit Amanda” werden wir ermutigt, Leichtigkeit und Trauer in unser Leben zu integrieren. Jenseits aller Klischees gelingt Regisseur Mikhaël Hers ein schwieriges Thema mit bemerkenswerter Leichtigkeit zu behandeln. Pierre Stutz zeigt im Kino der Lagerhalle in Osnabrück in einem Impuls nach dem Film auf, weshalb ihn dieser Spielfilm bestärkt, eine spirituelle Spur im Leben zu erkennen, in der lachen und weinen zusammengehören.

Der Film erzählt feinfühlig und berührend ganz „normale“ Alltagssituationen nach dem unnormalen Ereignis eines Terrorakts. Es ist Sommer in Paris. David (Vincent Lacoste), 24 Jahre alt, führt ein unbekümmertes Single-Leben, das er sich mit verschiedenen Jobs finanziert. Er arbeitet als Baumpfleger in Parks und außerdem für einen Vermieter von Ferienapartments; dafür wohnt er mietfrei in der Pariser Innenstadt. Gelegentlich schaut er auf einen Sprung bei seiner Schwester und ihrer kleinen Tochter Amanda (Isaure Multrier) vorbei. Und da ist noch seine neue Nachbarin und Klavierlehrerin Léna, in die er sich verlieben könnte. Doch von einem auf den anderen Tag findet die sommerliche Unbeschwertheit ein Ende. David ist nachdem Tod seiner Schwester Sandrine (Ophélia Kolb) gezwungen, eine große Entscheidung zu treffen und eine noch größere Verantwortung für seine Nichte zu übernehmen. Die clevere Kleine und das hochsensible Mädchen hat so ihre eigenen Vorstellungen, wie das aussehen soll.

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Hass bekommt ihr nicht

Mikhaël Hers verarbeitet in seinem Film den grausamen Terrorakt im Pariser Konzertsaal Bataclan, der am 13.11.2015 die Welt erschüttert. Er buchstabiert in seinem leisen Film die Hoffnung neu, wie es der 35 jährige Papa Antoine Leiris tat, als er vom Tode seiner Frau Helene erfuhr und auf Facebook schrieb: „Meinen Hass bekommt ihr nicht!“ Deshalb ist für mich „Mein Leben mit Amanda“ ein zutiefst spiritueller Film, auch weil ich darin Menschen begegne, deren unscheinbarer Alltag im ersten Drittel des Filmes gewürdigt wird. Wie würdige ich meinen Alltag, in dem ich dankbar entdecke, was mir jeden Tag neu geschenkt ist und nicht fixiert bleibe auf das, was fehlt, was mich ärgert?

Im Einklang mit sich selbst sein, ist eine wesentliche spirituelle Grundhaltung. David´s Schwester und die Mutter der 7 jährigen Amanda stirbt bei einem Terrorakt in einem Pariser Park. David ist im Einklang mit sich selbst, wenn er weint und seinem Freund Axel erzählt, dass er bis jetzt funktioniert hat: „Ich höre nie auf, mich zu bewegen. Scheiße. Ich habe Angst, ich weiß nicht, was die Zukunft bringt, ich bin nicht bereit, ein Kind aufzuziehen.“ Wann bin ich in Einklang mit mir selbst? Darf es im Lustvollen und auch im Schweren sein?

Sakrament der Zahnbürste

Das Sakrament der Zahnbürste, nach dem brasilianischen Theologen Leonardo Boff zeigt, dass unbedeutende Gegenstände uns zu einem Symbol werden, in dem sich uns verdichtet, was uns heilig ist. In der Wut des Mädchens Amanda spüre ich eine heilend-göttliche Kraft „Wo ist die Zahnbürste von Mama? Du hast kein Recht, sie wegzuwerfen, stell sie sofort zurück!“ Dies sagt sie, als ihr Onkel die Zahnbürste im Bad in den Mülleimer verschwinden lässt. Was ist mir heilig? Was lasse ich mir nicht wegnehmen?

Der Film strahlt für mich eine große Hoffnung aus: wir können am Schweren wachsen und reifen, wenn wir der Angst nicht die Regie überlassen und wenn wir ins Vertrauen hineinwachsen, dass das Leben sich unaufhaltsam zurückholt, was ihm gestohlen wurde. Unser Leben ist immer mehr als „Elvis has left the building“.  Dies ist eine Redensart, die oft von Sprechern nach Konzerten von Elvis Presley verwendet wurde, um auf eine Zugabe wartende Zuschauer zum Gehen zu veranlassen. Will heißen: „Vergiss es! Es bringt eh nichts.“ Das Zusammensein im Park mit David´s Mutter erzählt als Schlussbild von dieser ver-rückten Hoffnung. Als spiritueller Mensch frage ich mich nicht mehr zuerst, was ich tun muss, sondern welche Kraftquellen mir ermöglichen, Achtsamkeit und Mitgefühl zu entfalten in meinem Dasein. Cinema ist seit 50 Jahren eine meiner Kraftquellen, weil ich mich durch Filme besser kennen lernen kann und zugleich erinnert werde, dass ich als Beziehungswesen tief eingebunden bin in eine Wirklichkeit, die größer ist und mich auf eine göttliche Spur in allem verweist. Infos zum Film…

Pierre Stutz
Foto: © 2018 NORD-OUEST FILMS – ARTE FRANCE CINÉMA

 

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